Experte zu Mädchen-Gewalt in Heide: Taten zerstören Grundvertrauen der Opfer
Eine mutmaßliche Gewalttat an einem 13-jährigen Mädchen in Heide beschäftigt die Behörden. Eltern, die mitbekommen, dass ihre Kinder unter Gewalt leiden, sollten frühzeitig Hilfe holen, raten Experten vom Kinderschutzbund. Aber auch Jugendliche, die Übergriffe begehen, brauchen Unterstützung.
In Heide ermittelt die Polizei, nachdem eine Gruppe Mädchen eine 13-Jährige drangsaliert und die Taten gefilmt haben soll. Der Vorfall erschüttert auch deshalb, weil einige der mutmaßlichen Täterinnen selbst noch unter 14 Jahre alt sind. Laut Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) haben Gewalttaten bei den unter 14-Jährigen tatsächlich zugenommen. "Da ist tatsächliche eine Zunahme der Zahlen der Gewaltstraftaten - wir nennen das Rohheitsdelikte - in den Jahren 2019 bis 2022 zu erkennen", sagte die Innenministerin.
Experte: Grundvertrauen von Opfern völlig zerstört
Martin Sanders vom Kinderschutzzentrum Westküste rechnet damit, dass die Tat eine traumatische Erfahrung ist, die große Auswirkungen auf die Psyche des Opfers hat. Es sei davon auszugehen, dass es ein massives Erlebnis von Ohnmacht gebe, ein massives Erlebnis von Schutzlosigkeit. Daraus würde das Grundvertrauen, dass die Welt gut ist und in die eigene Unverletzbarkeit, absolut erschüttert werden. Es sei für das Mädchen schwer, die Situation angemessen zu bewältigen, erklärte Sanders.
Aus seiner Sicht ist es wichtig, "ein Maximum an Sicherheit zu vermitteln, also deutlich zu machen: 'Jetzt zumindest bist Du geschützt.'" Außerdem müsse das Vertrauen in andere Menschen und zwischenmenschliche Beziehungen wieder hergestellt werden, das häufig völlig zerstört sei. Daher müsse auch ein therapeutisches Angebot gemacht werden, sagte Sanders. Betroffenen von Gewalt müsse deutlich gemacht werden, "dass das, was da geschehen ist, nicht in Ordnung ist".
"Die Gesellschaft, die Mitmenschen müssen klarmachen, dass etwas dafür getan wird, dass so etwas nicht wieder geschieht."
Kinderschutzzentrum: Täter haben häufig selbst Gewalt erfahren
Für Moritz Stahl vom Kinderschutzzentrum in Bad Segeberg ist die mutmaßliche Tat von Heide ein absoluter Einzelfall. "Es ist jetzt nicht so, dass es an der Tagesordnung wäre, das Mädchen oder Jungs in einer Gruppe so dermaßen übergriffig agieren", sagt der Fachberater für sexualisierte Gewalt. Im Arbeitsalltag begleitet er Familien, Kinder und Jugendliche, denen Gewalt angetan wurde. Die Hintergründe von Heide kennt er zwar nicht, wie er sagt. Aber aus seiner Erfahrung weiß er, dass man sich auf der Suche nach Erklärungen die Lebensumstände der gewaltbereiten Kinder und Jugendlichen ansehen müsse, unter denen sie aufgewachsen sind.
"Wenn man auf deren eigenen Biografie schaut, dann kann man ganz deutlich sehen, dass es ganz viele Beziehungsabbrüche gab, dass diese Kinder häufig selber Opfer waren von Gewaltsituationen, von sexuellen Übergriffigkeiten. Dass es Trennung gab im Elternhaus", sagte Stahl und erklärte weiter: In so einer Situation könnten sie jetzt Macht ausüben. Außerdem könnte eine Gruppendynamik und der Wunsch nach Anerkennung in der Gruppe für die Taten gesorgt haben.
Opfer und Täter benötigen Hilfe
Sanders und Stahl appellieren an Eltern, die mitbekommen, dass ihrer Kinder Gewalt ausüben oder unter Gewalt leiden, sich frühzeitig Hilfe zu holen. Dabei sei die Polizei ein richtiger Ansprechpartner. Stahl machte aber auch deutlich, dass es beim Kinderschutzbund viele niedergelassene Beratungsstellen gibt, bei denen man sich informieren kann. Und in Bezug auf Gewalt gibt es die Kinderschutzzentren. Dort wird Unterstützung für die Opfer und Eltern angeboten, aber auch für die Jugendlichen, die den Übergriff begangen haben, und deren Eltern.