Mädchen-Gewalt: Polizeiliche Ermittlungen kurz vor Abschluss

Stand: 24.03.2023 20:46 Uhr

Das Land will sein Präventionsangebot überarbeiten, die Oberstaatsanwaltschaft steckt in den letzten Zügen der Ermittlungen und Heides Bürgermeister Oliver Schmidt-Gutzat (SPD) will gemeinsam mit Polizei, Jugendamt, Schulen und Streetworkern die Jugendkriminalität bekämpfen.

Eine Gruppe von Mädchen im Alter von 12 bis 17 Jahren hat dort nach Polizeiangaben ein 13-jähriges Mädchen geschlagen und gedemütigt. Die Taten, die sich bereits Ende Februar ereigneten, sind per Smartphone gefilmt worden. Ein Video liegt NDR Schleswig-Holstein vor. Darauf ist zu sehen, wie die Betroffene geschubst, ins Gesicht geschlagen und bespuckt wurde - auch erkennt man Kaugummi in ihrem Haar. Die Sprecherin der zuständigen Polizeidirektion Itzehoe, Astrid Heidorn ergänzte zunächst, dass das Mädchen mit Cola überschüttet worden ist. Später bestätigte die Polizei, dass die Mädchengruppe auch die Haare der Schülerin angezündet und ihr eine Zigarette im Gesicht ausgedrückt hat. Außerdem ist auch zu sehen, dass männliche Jugendliche die Szene beobachtet haben.

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Polizeiliche Ermittlungen kurz vor dem Abschluss

Da der Fall sich schon am 21. Februar ereignete, stehen die polizeilichen Ermittlungen kurz vor dem Abschluss. Die Staatsanwaltschaft Itzehoe prüft die Akten derzeit noch einmal ganz genau. Laut Oberstaatsanwältin Jonna Ziemer lauten die möglichen Vorwürfe gefährliche Körperverletzungen, Nötigung, Eigentumsdelikte, Freiheitsberaubung und Sachbeschädigung: "Das ist im Einzelfall genau zu prüfen, auch für jeden einzelnen Tatbeteiligten", so Ziemer. Die Oberstaatsanwältin verwies noch einmal darauf, dass das Teilen des Videos strafbar sein könnte, wenn die Hilflosigkeit einer Person zur Schau gestellt werde. "Es gibt für mich durchaus schon Anhaltspunkte, dass sich da auch andere Personen strafbar machen könnten, die so etwas einfach weiterleiten", sagte Ziemer.

Jugendamt erarbeitet mit kooperativen Eltern Angebote

Dass zwei der drei Haupttäterinnen jünger als 14 Jahre sind, bedeute nicht, dass gar keine Reaktion von staatlicher Seite erfolge, so Ziemer. Laut der Oberstaatsanwältin ist das Jugendamt eingeschaltet und auch tätig: "Die werden Angebote machen und Erziehungshilfen anbieten." In extremen Fällen könne man auch zum Familiengericht gehen. "Ich weiß nicht, ob das hier schon soweit ist. Ich glaube nicht", bewertete Ziemer die Situation. Solange Eltern mit dem Jugendamt zusammenarbeiten, werden gemeinsam sinnvolle Lösungsangebote erarbeitet.

Land will Präventionsangebot überprüfen

Bildungsministerin Karin Prien (CDU) bezeichnete im Interview mit NDR Schleswig-Holstein den Fall als "grausame Tat". Die Jugendkriminalität sei in den vergangenen Jahren zwar nicht insgesamt angestiegen, bei den unter 14-jährigen und bei den Mädchen allerdings schon. "Und deshalb ist es notwendig, dass wir uns um diese Gruppe, insbesondere die Mädchen und die Jüngeren noch intensiver kümmern als bisher", sagte Prien. Sie wolle überprüfen, ob die Präventionsangebote der Entwicklung gerecht werden. Zusätzlich soll der aktuelle Forschungsstand bei Gewalt von Mädchen gegen Mädchen auch genauer betrachtet werden und die Angebote dementsprechend erweitert werden.

Treffen der weiterführenden Schulen in Heide geplant

Prien erläuterte, dass die Gruppe der mutmaßlichen Täterinnen verschiedene weiterführende Schulen besuche, also nicht alle mit dem Opfer auf dieselbe Schule gingen. Die zuständige Schulrätin habe für den kommenden Freitag eine Runde aller weiterführenden Schulen in Heide einberufen, "um über den konkreten Fall und die Konsequenzen daraus, aber auch über das Gewalt-Thema insgesamt in Heide zu sprechen".

Bürgermeister: Heide hat ein Problem mit Jugendgewalt

"Ja, die Stadt Heide hat ganz klar - spätestens seit vergangenem Jahr - ein Problem mit Jugendgewalt und auch Jugendkriminalität", sagte Heides Bürgermeister Oliver Schmidt-Gutzat NDR Schleswig-Holstein. Im vergangenen Jahr galten Teile der Innenstadt deswegen als sogenannter gefährlicher Ort und wurden zeitweise per Video überwacht. Durch den Einsatz von Stadt, Jugendzentrum, Polizei und anderen Akteuren konnte die Situation verbessert werden. "Die Videoüberwachung würde ich gerne wieder anschalten. Dürfen wir aber sehr wahrscheinlich aufgrund der gesetzlichen Lage nicht", so der Bürgermeister, denn im letzten Jahr hätte das das Sicherheitsgefühl der Bürger aller Alterklassen gesteigert.

Mit besserer Vernetzung und Bürgerhilfe

Er bemängelt, dass die Polizei personell nicht gut genug aufgestellt sei. Die Stadt Heide werde in Kürze einen Streetworker einstellen. Zusätzlich wolle die Stadt prüfen, ob und wie sie neue Stellen im Bereich der Schulsozialarbeit schaffen kann. Dann sollen Schulen, Jugendamt, der Streetworker und die Polizei miteinander vernetzt werden. Die Situation könne laut Schmidt-Gutzat aber nur gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern verbessert werden: "Ich bitte dann auch darum, alles zur Anzeige zu bringen, was man sieht, und nicht wegzugucken und auch sich nicht einschüchtern zu lassen."

Konsequenzen trotz Strafunmündigkeit

Auch im aktuellen Fall schauten die Stadt und ihre Institutionen nicht einfach nur zu, so Schmidt-Gutzat. Er selbst habe bereits kurz nach der Tat vor einem Monat mit der Mutter der 13-Jährigen gesprochen. Auch das Jugendamt beschäftigt sich mit Opfer und den drei Haupttäterin, von denen zwei nicht strafmündig sind. "Zum Phänomen der Strafunmündigkeit: Das heißt ja nicht, dass es keine Konsequenzen gibt", sagte der Bürgermeister, führte diese aber nicht weiter aus. Er verwies aber darauf, dass die Stadt zeitnahe Gespräche mit den Schulen zum Thema Jugendgewalt führen möchte.

Strafmündigkeitsgrenze auf den Prüfstand stellen

Frank Matthiesen, Chef der Polizeidirektion Itzehoe, warnte davor, in der öffentlichen Debatte zu übertreiben, denn das könne Selbstjustizgedanken befeuern. Auch er sprach von einem sehr, sehr seltenen Einzelfall und sagte, auch die Täterinnen hätten Anspruch darauf, dass sie geschützt sind. Allerdings sprach er sich dafür aus, die Grenze der Strafmündigkeit von 14 Jahren auf den Prüfstand zu stellen, denn 13-Jährige von heute seien nicht mit denen von vor 30 Jahren zu vergleichen: "Die Intensivtäter-Eigenschaft im tatsächlichen Sinne fängt nicht erst ab 14 an, sondern beginnt teilweise auch schon vorher." Es sei zwar Bundesgesetzgebung, aber nach Nordrhein-Westfalen denke nun auch Schleswig-Holstein darüber nach, die Altersgrenze zu senken. "Aus Polizeipraktiker-Sicht, ich kann nur für meine Ermittlerinnen und Ermittler sprechen, wird so etwas sehr stark begrüßt", sagte der Leiter der Polizeidirektion Itzehoe.

Heider Bürger fühlen sich unsicher

Auf den Straßen Heides ist eine gewissen Unsicherheit zu spüren. Eine Passantin sagte NDR Schleswig-Holstein, dass sie ihr Pfefferspray schon länger dabei habe. Die Situation sei für sie beängstigend, dabei sei Heide immer friedlich gewesen. Ein junger Mann sagte, er würde aktuell mehr auf seine Umgebung achten und bei Rangeleien auch eingreifen. Eine Heiderin, die das Video gesehen hatte, erzählte im Interview, sie gehe abends nicht mehr auf die Straße und nachts habe sie nicht schlafen können, aus Sorge, so etwas könnte ihren Enkelkindern passieren.

Inzwischen hat die Bikervereinigung Bike SH für den kommenden Sonnabend eine Mahnwache auf dem Heider Südermarkt angekündigt. Dabei soll ein Zeichen gegen Jugendgewalt gesetzt werden. Es werden bis zu 250 Teilnehmende erwartet.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 21.03.2023 | 17:00 Uhr

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