Kiffen erlaubt: Polizei und Justiz in SH vor großen Herausforderungen
Ein Gesetz kommt - und niemand ist so richtig darauf vorbereitet: Kiffen in Deutschland ist für Erwachsene nun begrenzt erlaubt. Die zuständigen Behörden und Ministerien sind nach eigenen Angaben aber bisher noch nicht gut vorbereitet. Auch nicht in Schleswig-Holstein.
Ein süßlicher Geruch weht von der Parkbank herüber. Zwei junge Erwachsene ziehen genüsslich an ihren Joints. Dürfen sie das? Wie viel Gramm Cannabis haben sie dabei? Mehr als die jetzt erlaubten 25 Gramm? Und wo haben sie das Rauschgift gekauft? Legal bei sogenannten nicht-kommerziellen Anbauvereinigungen oder doch illegal auf dem Schwarzmarkt? Haben sie vielleicht zu Hause auf dem Balkon mehr als die drei erlaubten Pflanzen angebaut?
Viele Bürger werden sich nun diese Frage stellen, wenn sie Marihuana-Konsum auf der Straße beobachten. Und vor allem die Polizisten im Land müssen die Lage einschätzen. Torsten Jäger von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Schleswig-Holstein kommt zu der nüchternen Einschätzung: "Wir fragen uns allen Ernstes, wie diese Regularien kontrolliert werden sollen. Das ist fast ein Ding der Unmöglichkeit."
Eine Option: Polizisten bekommen Feinwaagen
Wie viel Gramm hat das Pärchen auf der Parkbank nun wirklich dabei? Sind es 25 Gramm oder 30 Gramm? Ist es zu viel, dann gilt das nach dem neuen Gesetz als eine Ordnungswidrigkeit. "Wir fragen uns, ob Polizistinnen und Polizisten zukünftig mit Feinwaagen ausgestattet werden", sagt Jäger von der GdP. Tatsächlich ist das eine Option, bestätigt der Sprecher des Landespolizeiamtes Schleswig-Holstein, Jan Winkler. "Kann jeder Streifenwagen eine Feinwaage bekommen oder nicht? Da gibt es noch keine Entscheidung."
Schwierige Abstandsregeln: Polizei hat noch keine Antworten
Ein anderes heikles Thema ist der vorgegebene Abstand zu Schulen, Kitas, öffentlichen Sportstätten und Spielplätzen. Das Gesetz besagt, dass der Cannabis-Konsum jeweils in einem Umkreis von 100 Metern zu diesen Gebäuden verboten ist. Was passiert nun, wenn beispielsweise zwei 18-Jährige versteckt im Gebüsch nahe einer Schule stehen und Joints rauchen? Wer misst ab, ob es 80 Meter oder 100 Meter bis zum Gebäude sind? Jan Winkler von der Landespolizei räumt ein: "Es gibt für uns derzeit noch keine Karten, die das alles abbilden." Kein abgesteckter Radius, keine Verbotszonen also. Viele Fragen habe der Gesetzgeber hier noch nicht beantwortet: Zählt zum Beispiel die Grenze bei einem Kindergarten ab dem Zaun oder ab der Eingangstür? "Und was ist mit Kindertagesstätten, die ich gar nicht erkenne, weil die in einem Mehrfamilienhaus sind oder bei Tagesmüttern?", fragt sich Winkler.
Innenministerium: Wenig Zeit für konkrete Vorbereitung
Fragen über Fragen. Die Landespolizei macht kein Geheimnis daraus, dass sie die Teil-Legalisierung von Cannabis von Anfang an grundsätzlich abgelehnt hat. Aber nun ist es so. "Nun setzen wir natürlich das Gesetz auch so um, wie es erwartet wird." Doch eine optimale Vorbereitung hat es bei Weitem nicht gegeben. Das bestätigt auch das Innenministerium. Dort heißt es wörtlich: "Es ist vor allem bei weitreichenden Gesetzen sehr unüblich, dass den Ländern nur wenige Tage zwischen Verabschiedung eines Bundesgesetzes und Inkrafttreten zur konkreten Vorbereitung und Umsetzung eingeräumt werden." Heißt im Klartext: Wie um Himmels willen soll ein Gesetz so schnell auf allen Ebenen praktisch umgesetzt werden? "Das ist wirklich sehr schwer händelbar, und die Polizei ist da vor große Herausforderungen gestellt", sagt Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU).
THC-Werte kontrollieren, Kriminelle im Blick haben
Hinzu kommen die gesamten Kontrollen der THC-Werte - also der Werte, die durch den Cannabis-Konsum ausgestoßen werden und im Urin nachgewiesen werden können. "Ich war mal bei so einer Kontrolle dabei und habe gesehen, wie schwer das ist, das rauszufinden", erzählt die Innenministerin.
All diese Kontrollen müssen Sütterlin-Waack zufolge nun verstärkt werden. Die Polizisten müssen dazulernen - kein leichtes Unterfangen, so die Politikerin. Im Blick haben müssen die Beamten weiterhin natürlich auch den gesamten Schwarzmarkt. Die kriminellen Banden, die nun wahrscheinlich noch mehr als zuvor Cannabis besorgen und unter die Leute bringen. "Unser Schwerpunkt ist ganz klar die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität im organisierten Bereich", macht Jan Winkler vom Landespolizeiamt deutlich.
Eine Menge Ministerien sind involviert
In der Tat betrifft die Legalisierung des Rauschgifts sehr, sehr viele Behörden und Ressorts: Das Innenministerium, das Justizministerium und auch das Sozialministerium, denn der Kinder- und Jugendschutz wird bei dem heiklen Thema Kiffen in Zukunft noch wichtiger sein als zuvor. Auch das Landwirtschaftsministerium ist beteiligt, denn es geht um Fragen des Anbaus von Pflanzen und um Verbraucherschutz.
Fragt man die Kommunen - zum Beispiel die Stadt Kiel - wie künftig mit der Teil-Legalisierung von Cannabis umgegangen wird, dann herrscht ein bisschen Ratlosigkeit. "Eigentlich ist es keine kommunale Aufgabe", meint Arne Gloy vom Presseamt der Stadt Kiel. "Das liegt jetzt bei den Ministerien, bei der Polizei. Das ist noch nicht figelinsch durchdacht." Gloy ist sich sicher: Etwas später werden sich Sozialarbeiter und Jugendämter der Städte häufiger mit der Problematik beschäftigen müssen.
Justizexperten haben alle Hände voll zu tun
Auch im Justizministerium wird seit Monaten daran gearbeitet, die neue Gesetzeslage aufzubereiten. Cannabis fällt nicht mehr unter den Anwendungsbereich des Betäubungsmittelgesetzes. Nun gilt ein neues sogenanntes Sanktionsregime. Und es stellen sich auch Fragen wie: Können Strafen rückwirkend erlassen werden? Staatsanwaltschaften und Gerichte sind gefordert, Amnestie-Regelungen müssen überprüft werden - und das händisch und mit viel Aufwand. Neue Leitfäden wurden von der Generalstaatsanwaltschaft erarbeitet. Alles in allem heißt es aus dem Justizministerium: "Da es noch viele ungeklärte Fragen im Zusammenhang mit der neuen Gesetzeslage gibt, wird auch die Rechtsprechung vor Herausforderungen gestellt sein."
GdP: Es könnte ein rechtsfreier Raum entstehen
Während sich Befürworter von Cannabis nun also freuen und sich vielleicht - ganz demonstrativ - am Ostermontag auf eine Parkbank setzen und öffentlich einen Joint rauchen, ist im Hintergrund noch ziemlich viel Chaos angesagt. Torsten Jäger von der Gewerkschaft der Polizei ist sich ziemlich sicher: Am Ende wird wahrscheinlich nicht sehr viel kontrolliert werden. Ihm zufolge fehlt auch das entsprechende Personal. "Und wenn nicht kontrolliert wird, dann hält sich keiner dran. Und dann entsteht so etwas wie - in Anführungszeichen gesetzt natürlich - ein rechtsfreier Raum."