Die Kieler Synagoge. © NDR Foto: Friederike Hoppe

Kiel hat wieder eine Synagoge: "Raus aus der Unsichtbarkeit"

Stand: 26.05.2024 20:40 Uhr

86 Jahre nach Zerstörung des alten Gotteshauses hat die Jüdische Gemeinde in Kiel wieder ein Wahrzeichen. Mit einem Festakt wurde am Sonntag das neue Gotteshaus eingeweiht. Die Zeremonie fand unter verstärkten Sicherheitsvorkehrungen statt.

von Friederike Hoppe

Ein "Leuchtturm des Friedens", ein "Zeichen des Lichts in dunkler Zeit", ein "Segen des Ewigen": Die Einweihung der neuen Synagoge stand am Sonntagnachmittag ganz im Zeichen der Hoffnung. 100 geladene Gäste feierten die Eröffnung des Hauses, darunter die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU) und Landtagspräsidentin Kristina Herbst (CDU) sowie die Landesbischöfin der Nordkirche, Kristina Kühnbaum-Schmidt.

Prien war die Bedeutung der Veranstaltung besonders anzumerken. Beim Gesang der Kantorin und Rabbinerin kamen ihr die Tränen. Als Nachkommin einer jüdischen Familie sei das Ereignis besonders ergreifend für sie gewesen, sagte die Ministerin im Gespräch mit dem NDR: "Ich musste an meine Familie denken, an meine Urgroßeltern, wie froh und stolz sie gewesen wären, dass heute eine solche Synagoge eingeweiht werden kann." Sie sei sehr stolz. "Dieser ungebrochene Wille, auch heute ein sichtbarer Teil der Gesellschaft zu sein. Ich kann nur sagen: Gerade in dieser dunklen Zeit ist das auch ein trotziges Zeichen und ein 'Jetzt erst recht'." Prien positionierte sich während der Zeremonie ganz vorne.

Fröhliche und traurige Momente zugleich

Die Befestigung der heiligen Schriftrolle, der sogenannten Mesusa, an der Wand stand im Mittelpunkt der feierlichen Eröffnungszeremonie. Unter lautem Gesang wurden anschließend die Thorarollen gebracht. Damit gilt die Synagoge ab sofort als heilig.

Fröhliche Momente wechselten sich bei den Feierlichkeiten ab mit ernsten und traurigen. Während der Loblieder sah man viele lachende Gesichter, dann wieder sorgenvolle Mienen bei den Klageliedern für die Befreiung der jüdischen Geiseln im Gazastreifen. Die Gesänge waren in weiten Teilen der Waitzstraße zu hören.

Die alte Synagoge um 1939 (links) und die neue Synagoge "Mishkan Shalom" (rechts):

Eine historische Aufnahme zeigt die zerstörten Fenster der Kieler Synagoge nach der Pogromnacht aus der Fotosammlung des Stadtarchivs Kiel. © picture alliance/dpa/Stadtarchiv kiel Licht strahlt aus zwei Fenstern der jüdischen Synagoge in der Waitzstraße in Kiel. © picture alliance/dpa | Axel Heimken

"Wir lassen uns nicht von der Landkarte entfernen"

"Wir haben diese Feier in einem schwierigen Moment", sagte Walter Joshua Pannbacker, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Kiel. "Wer Jüdinnen und Juden angreift, greift uns an", mahnte Prien in ihrer Rede. "Setzen wir dem Hass unsere Fröhlichkeit entgegen."

Großen Beifall im Saal gab es auch nach den Worten von Irith Michelsohn, Vorsitzende der Union progressiver Juden: "Wir lassen uns nicht von der Landkarte entfernen, wir sind hier und bleiben hier." In den weiteren Ansprachen am Nachmittag hieß es unter anderem: "Jüdinnen und Juden im Land sollen die Sehnsucht nicht aufgeben, irgendwann ohne Angst beten zu können."

Herbst: Vorurteile abbauen und Neugier wecken

Auch Landtagspräsidentin Herbst mahnte zum Zusammenhalt. Jüdisches Leben gehöre zu Schleswig-Holstein und zu Deutschland. Dies immer wieder zu betonen, sei "angesichts einer dramatisch wachsenden antisemitischen Haltung wichtiger denn je", sagte sie in ihrer Rede. "Das verlangt nach weit mehr als nur Worten." Es dürfe kein Schweigen geben. Jede und jeder sei in der Verantwortung, sich klar gegen Hass und Ausgrenzung zu positionieren. Ein Schlüssel dafür sei es, die Neugier auf jüdisches Leben zu wecken. Herbst lobte das Engagement der jüdischen Gemeinde, doch es sei immer noch viel zu tun.

Zeremonie mit erhöhten Sicherheitsmaßnahmen

Das war auch vor den Türen der Synagoge zu sehen. Die Einweihung erfolgte unter erhöhten Sicherheitsmaßnahmen. Seit Jahren häufen sich die antisemitischen Vorfälle im Land. Am Sonntag schützten sechs Polizisten das Haus und die Gäste. Ob mit der Einweihung der Synagoge eine veränderte Sicherheitslage erwartet wird, dazu gab die Polizei auf Anfrage des NDR keine Auskunft. Für den Gemeinde-Vorsitzenden Pannbacker gibt es ohnehin keinen Grund, sich zu verstecken. Die Einweihung der neuen Synagoge sei für ihn "ein Hoffnungsanker".

"Wir wollen uns nicht verstecken, dann haben die anderen gewonnen." Walter Joshua Pannbacker, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Kiel

Einweihung zum "richtigen Zeitpunkt"

Die Eröffnung komme im richtigen Moment, sagte Irith Michelsohn. "Jetzt eine Synagoge zu bauen ist ein wunderbares Zeichen, wenn man sieht, wie es in Deutschland zugeht." Viele Gemeindemitglieder haben Angst, sagte sie. "Diese Angst kann ihnen nur genommen werden, wenn die Zivilgesellschaft zur Synagoge steht." Zudem müsse es eine Veränderung in den Schutzmaßnahmen geben.

Derzeit werde die Sicherheit der jüdischen Gemeinde in Kiel im großen Teil im Ehrenamt geleistet, so Michelsohn. Im Bundesland Nordrhein-Westfalen beispielsweise ist das anders. Dort finanziert die Staatskanzlei die Wachdienste der jüdischen Gemeinden. Das müsse in Schleswig-Holstein und in weiteren Bundesländern folgen, appellierte Michelsohn.

Synagoge durch Nationalsozialisten zerstört

Die neue Synagoge liegt anderthalb Kilometer entfernt von dem alten jüdischen Gotteshaus, das auf Geheiß der Nationalsozialisten 1938 zerstört wurde. Ein Mahnmal erinnert bis heute daran.

Mit der Einweihung der neuen Synagoge endet für das jüdische Gemeindeleben die lange Suche nach einer eigenen Heimstätte in Kiel. Bis zu ihrer Zerstörung am 9. November 1938 betete die jüdische Gemeinde in der Synagoge in der Goethestraße.

Die lange Suche der jüdischen Gemeinde nach einer Heimstätte

Über zehn Jahre lang suchte der Vorstand nach einem neuen Standort, mit dem Wunsch nach einem Gebäude in zentraler Lage, das sich für einen Gemeindebetrieb eignet. Bei einem "runden Tisch" berieten sich Finanzministerin Monika Heinold (Grüne), Bildungsministerin Karin Prien (CDU), Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer und der evangelische Bischof Gothart Magaard mit der Jüdischen Gemeinde. Schließlich bot ein Privateigentümer der jüdischen Gemeinde das Haus in der Waitzstraße 43 an. "Ein Geschenk des Himmels", so Pannbacker. Die Gemeinde will das Haus spätestens im Jahr 2029 selbst kaufen.

Das Gebäude mit den hohen Bogen- und Rundfenstern steht in Nachbarschaft zur Stadtkirche St. Ansgar und unter Denkmalschutz. 1891 errichtete die Burschenschaft Teutonia das Haus und musste es während des Ersten Weltkriegs wieder verkaufen. Die letzten 100 Jahre nutzte eine Freikirche das Gebäude, die Inschrift an der Fassade "Jesus Christus gibt ewiges Leben" erinnerte einige Zeit noch daran. Inzwischen wurde sie entfernt.

Landesregierung und Stadt unterstützen

Seit 2019 sanierte die jüdische Gemeinde das Haus. Das Land, die Stadt Kiel und die Evangelische Kirche beteiligen sich an den Kosten. 2019 hatte die Landesregierung einen Zuschuss von 500.000 Euro an die jüdischen Landesverbände für Bau- und Sanierungsmaßnahmen der jüdischen Gemeinden zugesagt. Zusätzlich gewähren die Landesregierung sowie die Stadt Kiel jeweils einen Mietzuschuss von 50.000 Euro. Künftig sollen unter dem Dach der neuen Synagoge unterschiedliche Aktivitäten stattfinden, darunter Seniorentreffs, Religionsunterricht und Konzerte.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 26.05.2024 | 16:00 Uhr

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