Ist die Jugend in SH wirklich rechts? Landtag will mehr politische Bildung

Stand: 19.06.2024 19:42 Uhr

Die Gewinner der diesjährigen Europawahl waren die rechten Parteien. Vor allem die AfD hat von den vielen Stimmen junger Wählerinnen und Wähler profitiert. Das ist ein Grund, warum das Thema "Politische Bildung an Schulen" im Landtag diskutiert wurde.

von Fabian Boerger

Wie kann politische Bildung an Schleswig-Holsteins Schulen besser gelingen? Unter anderem darüber wurde am Mittwoch im Landtag debattiert. Die SPD fordert mit einem Antrag ein Rahmenkonzept zur besseren Demokratiebildung an Schulen. Insgesamt zwölf Punkte enthält das eingebrachte Konzept, mit dem sie die Landesregierung zum Handeln auffordern will. Für das Alter der Jugendlichen angepasst, soll vermittelt werden, wie politische Mitwirkung funktioniert. Das soll durch mehr Wirtschafts-Politik-Unterricht oder eine selbst erstellte Schulverfassung gelingen.  

16 Prozent der Jugendlichen wählen bei Europawahl die AfD

Denn eins ist klar: "Was ist nur los mit der Jugend?" dürften sich in den vergangenen Wochen viele gefragt haben. In einer Bar auf Sylt, einem Elite-Internat an der Schlei und in mehreren Diskotheken im Norden grölen Jugendliche Nazi-Parolen. Politik und Öffentlichkeit sind empört.

Dann kommt die Europawahl - und schon wieder ist es "die Jugend", die mit der Nähe nach rechts für Aufmerksamkeit sorgt. 16 Prozent der 16- bis 24-Jährigen wählten bei der Europawahl laut einer Umfrage des Instituts infratest dimap die AfD. Eine Partei, die der Verfassungsschutz zuletzt als rechtsextremen Verdachtsfall eingestuft hat.

Doch ist diese Jugend, der man stets eine Tendenz zu linker oder grüner Politik nachsagte, so stark nach rechts außen gerutscht?

Die Krisen-geplagte Jugend

Aktuelle Studien und Experten widersprechen in Teilen. Für sie sind die Ursachen für das Wahlverhalten vielschichtiger. Sie zeichnen ein Bild von einer durch Krisen geplagten Jugend: Statt eines rechten Weltbildes seien es Unzufriedenheit und das Gefühl, von etablierten Parteien weder gehört noch ernst genommen zu werden.

Das geht zum Beispiel aus der aktuellen Studie "Wie ticken Jugendliche" des Sinus-Instituts hervor. So sagt Marc Calmbach, Autor der Studie und Sinus-Geschäftsführer, dass das Wahlverhalten in dem Alter insgesamt sehr sprunghaft sei. Jugendliche hätten kein geschlossenes Weltbild. Sie probierten aus. Gleichzeitig trauten sie der Politik immer weniger zu, Lösungen für aktuelle Probleme zu finden. Das habe sich seit 2020 deutlich verringert, sagt Calmbach.

Der Studie zufolge sind die befragten Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren angesichts andauernder Krisen besorgter, problembewusster und ernster denn je. Dabei sind Inflation, Krieg und Klimawandel die Sorgen, die sie am meisten prägen würden. Dem folgen der Mangel an bezahlbaren Wohnraum und die soziale Ungleichheit. Allerdings glaubt Calmbach nicht, dass diese Sorgen die Jugendlichen in die Arme rechter Parteien treiben.

Krieg, Wohnraum, Klimawandel

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die Studie "Jugend in Deutschland". Sie wird seit 2020 regelmäßig durchgeführt und untersucht Einstellungen, Trends und Perspektiven der sogenannten Generation Z. Mehr als 2.000 junge Menschen im Alter von 14 bis 29 Jahren wurden bei der repräsentativen Studie befragt.

Diese Sorgen führten zu hoher Unzufriedenheit unter den Jugendlichen, heißt es in der Studie. Sei es mit ihrer Lebenssituation oder mit den politischen Verhältnissen. Studienleiter Simon Schnetzer sagt: "Es gibt einen Verlust des Vertrauens in die Beeinflussbarkeit der persönlichen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen." Das führe zu einem Ohnmachtsgefühl, in dessen Folge viele unter psychischen Belastungen leiden würden.

Unsicherheit kann zu Rechtspopulismus führen

Es sei eine Dynamik, die auch Hauke Petersen, stellvertretender Landesbeauftragter für politische Bildung, beobachtet. "Wir wissen aus verschiedenen Studien, dass die Unsicherheit dazu führt, dass mehr rechtsextreme und rechtspopulistische Themen im Vordergrund stehen." Entsprechend würden jene Parteien gewählt, die diese Themen vertreten. Gleichzeitig würden die etablierten Parteien ihre Themen nicht gut genug kommunizieren, so Petersen.

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Ein Umstand, der vor allem der AfD in die Hände spiele. Sie ist sehr aktiv in den sozialen Netzwerken - vor allem auf TikTok. Einer Plattform, die bei jungen Menschen besonders beliebt ist. Sie zeichnet sich laut Petersen dadurch aus, dass möglichst kurze Clips mit möglichst prägnanten, meinungsstarken Aussagen vom Algorithmus belohnt und mehr verbreitet werden. Das habe die AfD erfolgreich ausgenutzt, so Petersen, was wiederum zu dem hohen Wahlergebnis beigetragen habe.

Soziale Netzwerke wichtigste Informationsquelle

Stefan Wallaschek, Politikwissenschaftler der Europa-Universität Flensburg, sieht ebenfalls einen hohen Einfluss sozialer Netzwerke bei der politischen Meinungsbildung. Das hänge damit zusammen, dass soziale Netzwerke vor allem bei jungen Wählern als die wichtigste Quelle gelten, um sich über Politik zu informieren.

Allerdings erkläre die hohe Präsenz der AfD auf TikTok nicht allein ihren Wahlerfolg, so Wallaschek. "Es kommt eine Kommunikationsstrategie hinzu, die sehr stark emotionalisiert und provoziert." Und das in einem für junge Menschen wichtigem Umfeld, so Wallaschek.

Warum die AfD auf TikTok punktet

Allerdings ist die Frage, nach den Ursachen für den Wahlerfolg der AfD, damit nicht beendet. Das wird durch eine Untersuchung der Bildungsstätte Anne Frank deutlich. Darin sind die Autoren eben jener Frage nachgegangen, warum die AfD bei TikTok so punkten konnte. Die Ergebnisse haben sie in einem Report festgehalten.

Darin heißt es: Die Partei …

… findet einfache Antworten auf komplexe Fragen

… nutzt einen einfach gehaltenen, mit populistischen Narrativen arbeitenden Kommunikationsstil

… arbeitet mit klar definierten Feindbildern

… postet Videos, die ein Wir-gegen-sie-Gefühl erzeugen

AfD-Inhalte liefern keine Lösungen

Allerdings - und das führt die zuvor genannten Gründe fort - würden die untersuchten Posts wenig Antworten auf die Probleme finden, die der Jugend besonders relevant erscheinen - also Inflation, Krieg, Wohnraum. Die Autoren vermuten, ob vielleicht eben darin die Stärke liegt: mit sich wiederholenden Inhalten und den immer selben Antworten auf unterschiedliche Probleme zu reagieren.

"Natürlich vermögen vereinfachte politische Botschaften und populistische Narrative speziell in Krisenzeiten zu verfangen, doch würden wir die Jugend für dumm verkaufen, wenn diese holzschnittartigen Inhalte den Erfolg der AfD hinreichend erklären würden." Report „Das TikTok-Universum der (extremen) Rechten“

"Feuerteufel und Feuerwehr in Personalunion"

Dennoch könne das den Eindruck erklären, so die Autoren des Reports, dass sich die Jugend durch die AfD gehört fühlt und eben nicht durch andere, etablierte Parteien. Sie würden sich weniger auf den Kanälen der Jugendlichen aufhalten und Inhalte deutlich komplizierter vermitteln. Die AfD sei wiederum "Feuerteufel und Feuerwehr in Personalunion", schreiben die Autoren, und sie präsentiere sich als Katastrophen-Manager, während sie selbst die Katastrophe befeuere.

"Soziale Netzwerke ernst nehmen"

Politikwissenschaftler Wallaschek: "Etablierte Parteien müssen stärker ernst nehmen, dass soziale Netzwerke Teil der Lebensrealität junger Menschen sind." Es dürfe nicht als etwas externes gesehen werden, was man machen muss.

Stattdessen müsse es als etwas begriffen werden, dass gar Interesse an Politik wecken kann und neue Möglichkeiten schafft, so Wallaschek. Bisher sei das noch nicht in Gänze angekommen.

Mehr Demokratiebildung an Schulen  - Thema im Landtag

In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder über mehr politische Bildung in Schleswig-Holsteins Schulen gesprochen. Der Landtag hat am Mittwoch über das Thema debattiert. Die SPD forderte mit einem Antrag ein Rahmenkonzept zur besseren Demokratiebildung an Schulen.

Insgesamt zwölf Punkte enthält das eingebrachte Konzept, mit dem sie die Landesregierung zum Handeln auffordern will. Für das Alter der Jugendlichen angepasst, soll vermittelt werden, wie politische Mitwirkung funktioniert. Das soll zum Beispiel durch mehr Wirtschafts-Politik-Unterricht oder eine selbst erstellte Schulverfassung gelingen.  

CDU und Grüne bringen Alternativantrag ein

Unterstützung für den Antrag kam vom SSW und der FDP. Zukunftssorgen machten die Jugend anfällig für Rechtspopulismus, sagte Jette Waldinger-Thiering (SSW). Deswegen müsse man die Jugend mehr unterstützen.

Bildungsministerin Karin Prien (CDU) widersprach: Es gebe schon viele gute Ansätze, man wolle keine neuen Vorschriften machen. Gemeinsam mit den Grünen brachte die CDU einen Alternativantrag ein, der vorsieht, bestehende Bildungskonzepte zu aktualisieren. Einstimmig wurden beide Anträge an den Bildungsausschuss überwiesen.

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Schleswig-Holstein Magazin | 19.06.2024 | 19:30 Uhr

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