Schäfchenwolken über einem Kornfeld. © NDR Foto: Maike Lachmann

Kolumne: Kontrolle ist gut. Vertrauen ist besser!

Stand: 15.06.2024 10:00 Uhr

Viele meinen, die Europawahlen 2024 wären eine Denkzettelwahl. Gegen linke Positionen, für mehr Sicherheit, vermeintlich. Unsere Kolumnistin schreibt hier auch einen "Denk-Zettel": nämlich warum uns die Angst vor der Zukunft alle so im Griff hat - und was wir dagegen tun können.

von Stella Kennedy

Zu viele politische Analysen fluten momentan das Internet. Die Frage, wie es so weit kommen konnte, schwebt über jeder "Einordnung". Der wachsende Erfolg der AfD wird seit Jahren von vielen Menschen recht fassungslos beobachtet, nach dem Motto: Was nicht sein darf, wird nicht sein. Jedes kopfschüttelnde Rationalisieren dieses rechten Aufschwungs kann die Tatsachen allerdings nicht ändern.

1. Wir haben alle irgendwie Angst vor der Zukunft und 2. Immer mehr glauben, dass Lösungsvorschläge aus dem rechten Spektrum diese Angst bezwingen werden. Ich bin für die Recherchen zu diesem Text nach längerer Zeit mal wieder ganz bewusst durch die virtuellen Räume gelaufen, in denen die Welt und unsere Gesellschaft auf eine Art betrachtet werden, die mir fremd ist. Trotzdem habe ich gebannt zugehört.

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Der Versuch, das Unkontrollierbare zu kontrollieren.

Aufgehorcht habe ich vor allem dann, wenn dort wieder und wieder gesagt wurde: "Glaubt ihren Lügen nicht." Oder: "Sie wollen euch verbieten, so zu reden und so zu leben, wie ihr wollt" und vor allem: "So zerstören sie all das, was euch lieb und heilig ist". Denn während ich da diesen Politikerinnen und (selbst ernannten) Experten zuhörte, wurde mir einiges klar. Einerseits hat sich mit Begriffen wie "Überfremdung, Lügenpresse und Volksverräter", um nur einige zu nennen, die Sprache der Nazis dort komplett etabliert. Andererseits wird hier mit der Sorge vor Bevormundung gearbeitet. Nach dem Motto: Lass dir nicht mehr vorschreiben, wie du zu leben hast!

Das ist keine neue Erkenntnis, aber die Angst von anderen bevormundet zu werden funktioniert am besten, wenn man selbst in Unsicherheit und Sorge lebt. Das zumindest lese ich auf Ratgeberforen und in schlauen Büchern, die ich mir genauso gegeben habe, wie die digitalen Stammkneipen der Wahlgewinner. Rechtskonservative, trotzige Auflehnungsideen verdecken das pochende Gefühl von Angst (in Deutschland nachgewiesen viel Abstiegsangst) nur. Sie lösen die Angst nicht, sie halten sie nur in Schach und kontrollieren sie vermeintlich.

Und leider gilt bei Unsicherheit immer noch der Spruch, Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Das ist falsch. Eine Lösung also: sich selbst mündig zu machen. Wer mündig ist, ist auch immun - oder zumindest "immuner" gegen Mahnungen, sich aufzulehnen. Und auch generell immuner gegen Zukunftsangst.

 

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Die mangelnde Fähigkeit, die guten Dinge um uns herum zu erkennen

In Bezug aber auf das Schüren von Ängsten von Seiten politischer Agitatoren, handelt es sich zumeist nicht um Dinge, die gerade geschehen, sondern um Szenarien, die möglicherweise geschehen könnten. Wir sind also im Hier und Jetzt, während unsere Gedanken in der Zukunft weilen, beziehungsweise dorthin gezerrt werden. Das Perfideste daran ist: dass es "Die Zukunft" ja gar nicht gibt. Es gibt nur die Gegenwart, also den Moment, in dem wir uns gerade befinden.

Der Plan zum Beispiel, mir später Spaghetti zu kochen, ist erstmal nur ein gedankliches Konstrukt. Wenn ich es dann allerdings tue, ist es dann ja wieder die Gegenwart. Im Umkehrschluss heißt das ja dann aber auch, dass die Kraft für eine bessere Zukunft im gegenwärtigen Moment enthalten ist. Irgendwie finde ich das einen absolut tröstenden Gedanken. Denn manchmal können Angstszenarien im Kopf überhandnehmen. In solchen Moment halte ich mich dann an irgendetwas fest, an dem Stuhl auf dem ich sitze, oder der Kaffeetasse in meiner Hand. Einfach, um mich ganz kurz mal darauf zu besinnen, was echt ist und was nur in meinem Kopf.

Die Lösung liegt nicht in der "Zukunft", sondern im Jetzt

Es bestehen also, laut den Weisheiten schlauer Menschen, viel mehr Möglichkeiten, die Angst zu kontrollieren als mit mehr Angst, oder Trotz. Sie plädieren für das Vertrauen. Dafür, dass wir uns eine gute Zukunft erschaffen, indem wir uns den gegenwärtigen Moment so kreieren, wie wir es mögen - denn der wird ja "in der Verlängerung" zur Zukunft. Dabei müssen wir natürlich auch darauf schauen, was überhaupt schon alles um uns herum gut läuft. Also zu schauen, was wir auf gesellschaftlicher Ebene bereits erreicht haben. Wie gut es uns in Deutschland geht (auch wenn im gleichen Moment, in dem ich dies schreibe, ein riesiges "ABER..." aufploppt).

Dieses "Aber" mal beiseite; wir können nur immuner werden gegen Zukunftsangst, also mündiger, wenn wir anfangen, die guten Dinge um uns herum zu erkennen! Auf das zu schauen, was wir haben, als auf das, was uns fehlt. Ein Freund stellte mir letztens die Frage, in welche Zeit der Menschheitsgeschichte ich mich am liebsten wünschen würde. Also ganz wirklich: In welcher Zeit ich gerne in Deutschland leben würde. Als ich so nachdachte über die europäische Vergangenheit (ohne Penicillin, Hygiene oder Menschenrechte - mit Kindersterblichkeit, Hunger und Krieg) konnte ich nicht anders, als zu antworten: heute, jetzt. In diesem Moment.

 

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