HIV-positive Menschen in SH - integriert oder diskriminiert?

Stand: 04.09.2024 20:17 Uhr

Anfang der 1980er Jahre wurde das HI-Virus entdeckt. Aids, eine völlig neue Krankheit veränderte plötzlich die Welt. Zwei Schleswig-Holsteiner erzählen, wie sich ihr Leben nach der Diagnose verändert hat.

von Christiane Stauß

"Mein schlimmstes Erlebnis war, dass mich der Pfleger bei der Blutabnahme in der Notaufnahme nach meinen Diagnosen fragte, obwohl ich die vorher schon angegeben hatte. Und als ich ihm dann sagte, dass ich positiv bin, hat er mir die Nadel aus dem Arm gerissen und mich vor allen Patienten angeschrien. Und alle haben geguckt, so nach dem Motto "Oh Vorsicht, der hat Aids."

"Eigenstigma ist das schlimmste"

Von diesen Erfahrungen sollte Ingo Buck noch einige in seinem Leben machen. 2017 bekam der homosexuelle, 46-jährige Lübecker die Diagnose "HIV-positiv". "Als ich das Ergebnis bekam, hatte ich natürlich Panik, Angst, Wut, Ekel vor mir selber. Ich dachte, ich hätte besser aufpassen können, ich war ja aufgeklärt. Und ja, das ist das Schlimmste: Dieses Eigenstigma, was man dann, teils über Jahre, entwickelt."

In seiner Überforderung suchte Ingo Hilfe bei der Aidshilfe Lübeck für sexuelle Gesundheit. "Ich habe einen anonymen Termin gemacht, mit unterdrückter Rufnummer und einem falschen Namen. Ich war eine halbe Stunde eher da und habe dann wirklich an einer Straßenecke gestanden und immer nach links rechts geguckt und gehofft, dass mich keiner sieht. Kurz vor dem Termin bin ich dann rüber gerannt, habe geklingelt. Dann ging die Tür auf und ich war nur froh, dass ich drin war und mich keiner gesehen hat."

Ingo Buck und Katjana Zunft von der "Aidshilfe Lübeck für sexuelle Gesundheit e.V." © NDR Foto: Christiane Stauss
Ingo Buck und Katjana Zunft von der "Aidshilfe Lübeck für sexuelle Gesundheit e.V."
Nach wie vor gibt es viele Vorurteile und Unwissenheit

Mittlerweile kann Ingo offen über sein "Positiv-Sein" sprechen. Er arbeitet jetzt selbst bei der Aidshilfe als sogenannter 'Buddy'; unterstützt frisch Diagnostizierte, klärt in Schulen und Seniorenheimen auf. "Die denken immer noch, man stirbt, man hat nur noch soundso viele Jahre, man ist ansteckend. Und dann gehen die meisten auf Distanz. Aber das stimmt ja alles nicht mehr. Man kann alt werden, man ist nicht mehr ansteckend. Ich könnte Kinder zeugen. Ich könnte alles machen, was ein normaler Mensch auch macht." Doch das Wissen sei leider noch nicht so angekommen, dass es ausreichend wäre, sagt er. Durch die richtigen Medikamente ist das Virus bei Ingo unter Kontrolle.

Heilungserfolge sind kein großes Thema

Weltweit gelten nicht mal zehn Menschen als von Aids geheilt. Dank Stammzellentransplantation. Erst kürzlich gab die Charité in Berlin wieder einen weiteren Heilungserfolg bekannt. "Für mich käme so ein Eingriff nicht in Frage", erklärt Ingo. "Der Eingriff wäre mir zu groß, zu weitreichend. Ich nehme lieber eine Pille am Tag, die meinen Virus in Schach hält." Bei den HIV-positiven Menschen fällt eine Gruppe oft aus dem Raster, erklärt Katjana Zunft von der Aidshilfe. "Wir reden immer noch ungern über Sexualität. Das ist ein Thema, das die Gesellschaft nicht gerne annimmt. Beziehungsweise, wo es immer noch heißt: 'wenn du dich anständig verhalten würdest, dann hättest du es nicht bekommen'. Da sind wir immer noch im Mittelalter - gerade bei Frauen."

Der Schockmoment bei der Blutabnahme

Insbesondere bei älteren, heterosexuellen Frauen, wie Hildegard W. Die 77-jährige Mutter bekam ihre Diagnose 1996. Mit 50 Jahren von einem Arzt beim Blutspenden. "Es ist der totale Schock, zumal der Arzt sagte: 'Wir reden hier von zwei bis vier Jahren, ich weiß gar nicht, warum sie sich so aufregen.' Also, zwei bis vier Jahre und dann tot. Und Tod war überhaupt nicht in meinem gesunden Verständnis. Das war überhaupt nicht vorhanden und es hat mich total schockartig getroffen. Danach kam diese Selbststigmatisierungs-Phase. 13 Jahre! Eigentlich fiel ich in einen nebulösen Angsttraum."

Hildegard W. von der "Aidshilfe Lübeck für sexuelle Gesundheit e.V." © NDR Foto: Christiane Stauss
Hildegard W. bekam ihre Diagnose mit 50 Jahren
Es kommt immer noch zu Diskriminierungen

So wie Ingo erfuhr auch Hildegard immer wieder Diskriminierung. Wie etwa, als Ärzte sie aus dem Krankenhaus schickten, weil die geplante OP doch "zu blutig" sei. "Dann bin ich da im offenen OP-Hemdchen wieder über den Flur getapert und bin in mein Zimmer, mach die Tür auf, bin gerade halb im Zimmer, kommt die Krankenschwester hinter mir her und schreit: 'Denken Sie daran, dass Sie Ihre Aids-Binde in den Aids-Eimer entsorgen?!' Ja, und da waren halt noch drei andere Frauen, schwerkranke Frauen, und ich dachte: Hoffentlich falle ich jetzt in Ohnmacht. Hoffentlich falle ich jetzt um und kriege nix mehr mit."

Es gibt berechtigte Hoffnung auf Besserung

Doch beide haben auch schon schöne Momente "trotz" Diagnose erlebt. "Wenn wir im Seniorenheim sind und dort das Pflegepersonal schulen und alle wissbegierig und offen sind, das ist schön. Oder wenn wir vor Schülern sprechen, die interessiert sind", sagt Ingo. "Ich war mal auf einer Feier und konnte mich mit den Menschen, mit denen ich am Tisch saß, ohne Hemmungen über meine Diagnose unterhalten. Die waren offen und neugierig und hatten gar keine Vorurteile", erzählt Hildegard.

"Wir müssen weiter dran bleiben"

Vielfach sei das Wissen über Aids noch in den 80er-Jahren stecken geblieben, sagen Hildegard, Ingo und Katjana Zunft von der Aidshilfe Lübeck. Darum werden sie sich weiter dafür stark machen, dass Diskriminierung, Vorurteile und Unwissenheit Platz machen, für Toleranz und Gleichberechtigung.

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NDR Info | 26.08.2024 | 11:07 Uhr

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