Medizinschrank in der Handtasche - Leben mit Endometriose
Schmerzen während der Regelblutung kennen viele Frauen. Doch bis zu welchem Punkt sind diese noch normal? Die Elmshornerin Cassandra Passig hat jahrelang stärkste Schmerzen. Bis klar ist: Sie hat Endometriose.
Schätzungsweise fünf bis sechs Millionen Frauen sind in Deutschland von Endometriose betroffen. Dennoch ist die Krankheit vielen unbekannt. Bis zur Diagnose haben Betroffene teils einen Ärztemarathon hinter sich. So auch Cassandra Passig aus Elmshorn (Kreis Pinneberg). Zahlreiche Untersuchungen waren ohne Befund. "Man fühlt sich wirklich sehr hilflos", so die 23-Jährige. "Irgendwann mit der Zeit fragt man sich: Halluziniere ich vielleicht?" Dabei waren ihre Schmerzen teilweise so schlimm, dass sie in die Notaufnahme musste. "Man geht wortwörtlich in die Knie. Wenn das einmal erst anfängt, dann bleibt es ja nicht beim Unterbauch. Das strahlt ganz fies in die Beine, in den Rücken, in den Oberbauch, überall hin mit aus."
Was ist Endometriose?
Bei einer Endometriose bildet sich Gewebe ähnlich der Gebärmutterschleimhaut außerhalb der Gebärmutter, beispielsweise an Eierstöcken, Darm, Blase oder Bauchfell. Während sich normalerweise im weiblichen Zyklus die Schleimhaut auf- und abbaut und dann über die Scheide mit dem Menstruationsblut abgestoßen wird, hat das Blut an diesen Stellen im Bauchraum keine Möglichkeit abzufließen. Teilweise sammeln sich dort nur geringe Mengen an Schleimhautzellen und Blut. Versucht der Körper aber diese Endometrioseherde mit natürlichen Abwehrmechanismen abzubauen, kann es zu Entzündungen kommen, Reste oder Narben bleiben und es können Verwachsungen mit angrenzenden Organen entstehen.
Vielfältige Symptome - schwierige Diagnose
Die Folgen davon sind nicht bei allen Betroffenen gleich. Manche haben keine Beschwerden, andere stärkste Schmerzen. Das Problem: Wenn Symptome wie Unterbauchkrämpfe, Kreislaufbeschwerden, Übelkeit oder Schmerzen beim Wasserlassen synchron zur Regelblutung auftreten, seien sie zunächst oft nur schwer von "normalen" Regelschmerzen zu unterscheiden, erklärt Ibrahim Alkatout. Er ist Professor und Leiter des Endometriosezentrums am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Und: Der Schmerz kann nicht immer eindeutig zugeordnet werden. "Die Patientinnen nehmen ja nicht nicht wahr: Hier habe ich einen Tropfen Menstruationsblut oder hier habe ich eine kleine Narbe."
Betroffene gingen deshalb erst mal zum Allgemeinmediziner, zum Urologen bei Blasenschmerzen oder zum Orthopäden bei Rückenschmerzen. Fehlende Sensibilität bei Ärzten aber auch in der öffentlichen Wahrnehmung würden so dazu beitragen, dass eine Diagnose im Schnitt sechs bis acht Jahre dauert.
Behandlung: Es gibt keine Pauschallösung
Sicher diagnostiziert werden kann die chronische Erkrankung nur im Rahmen einer Operation - einer Bauchspiegelung, bei der die Endometrioseherde auch entfernt werden können. Wegen der Risiken einer OP sei es aber nicht immer sinnvoll, die Endometriose schwarz auf weiß zu diagnostizieren, so der Experte. Welche Behandlung für eine Patientin die richtige ist, sei ganz individuell. "Es bedarf unheimlich viel Zeit und Energie, die man sich für jede einzelne Person nehmen muss."
Damit wird eine gute Behandlung auch zur Kostenfrage. Bei Verdachtsfällen könne zunächst ein Hormonpräparat wie die Pille das Richtige sein, bei Frauen mit Kinderwunsch die Operation, für manche seien auch ganzheitliche Ansätze mit Physiotherapie und Ernährungsberatung das beste. Letzteres bieten spezialisierte Reha-Kliniken.
Medizinschrank in der Handtasche
In einem solchen Zentrum des Ameos-Reha-Klinikums in Ratzeburg (Kreis Herzogtum Lauenburg) hat auch Cassandra Passig Hilfe bekommen. Meditieren, Atemübungen, Beckenbodentraining und spezielle Ernährung - all das hilft ihr. Nach einer zweiten Operation ist sie momentan auch weitestgehend schmerzfrei. Planen muss sie trotzdem - ob sie im Restaurant ein Gericht findet, das sie verträgt, ob sie beim Tagesausflug genug Ruhepause einbauen kann. Und zur Not hat sie immer einen ganzen Medizinschrank in der Handtasche: "Diverse kleine Täschchen voller Medikamente und auch Antiallergika. Ohne die gehe ich eigentlich gar nicht mehr aus dem Haus."
"EndoBabes": Betroffenen Mut machen
Was Cassandra außerdem geholfen hat, ihren Leidensweg und das Gefühl der Hilflosigkeit zu verarbeiten: Sie hat einen persönlichen Ratgeber geschrieben. In "#EndoBabes" berichtet sie über ihre eigene OP, vom Reha-Alltag und von Übungen, die ihr beispielsweise helfen, Verspannungen zu lösen. Mit ihrem Buch will sie anderen Betroffenen helfen, mit der Erkrankung zu leben, aber auch Aufmerksamkeit schaffen - damit andere schneller merken, wenn Regelschmerzen nicht mehr "normal" sind.