Alkoholismus: Wie ein trockener Alkoholiker Suchtkranken hilft
Wie kann man Menschen mit Alkoholsucht helfen, trocken zu werden? In Schleswig-Holstein gibt es ein Projekt mit sogenannten Suchtlotsen - Michael Wolff ist einer von ihnen.
Die Regio Kliniken in Elmshorn (Kreis Pinneberg) sind ein ganz normales Krankenhaus. Eigentlich. Für Michael Wolff steht dieser Ort aber für den Tiefpunkt seines früheren Lebens. Er ist trockener Alkoholiker und erzählt, dass er 2004 das erste Mal zur Entgiftung hierher kam. "Qualifizierte Entgiftung", betont er. Dann sei er drei Jahre später wieder rückfällig geworden und kam auf die Intensivstation. Da habe er fast sein Leben verloren "und jetzt auch gerade dieses Interview, es wühlt auf, weil man doch wieder in diese Vergangenheit denkt."
Raus aus der Sucht: Begegnung auf Augenhöhe
Seit 16 Jahren lebt Michael Wolff abstinent. "Jetzt stell ich mich hier in der Psychiatrie alle zwei Wochen als Suchtlotse vor." Immer abends, wenn die Patienten im Speiseraum zum Essen zusammenkommen, "und da erzähle ich erstmal meine Geschichte, dass ich auch einer von denen bin. So bricht auch gleich das Eis. Das merken die sofort: 'Ah, einer, der weiß, wovon er redet, einer, der da war, wo wir sind." Ein Jahr lang macht er das hier schon. Er bietet den Patienten an, sie auf ihrem Weg aus der Sucht zu begleiten.
Alkoholsucht: Rückfälle sorgen für "Schuld und Scham"
Heute zieht Michael Wolff eine erste Bilanz mit dem Chefarzt der Psychiatrie Dr. Raul Sarkar. "Die Gefühle, die die Patienten haben, sind häufig Scham und Schuld," sagt er, weil sie nicht zum ersten Mal in der Entgiftung und zum wiederholten Mal rückfällig geworden sind. "Und dann kommt da so ein Arzt, der weiß, was jetzt richtig ist."
Arzt: Suchtbehandlung und Selbsthilfe - beides wichtig
Er wisse, dass das keine ideale Situation für einen Süchtigen ist, sagt Mediziner Sarkar. "Im Grunde genommen lebt die Suchtbehandlung auch von der Selbsthilfe und von denen, die sich damit auskennen," sagt er - und er meint die, die süchtig gewesen sind, so wie Michael Wolff. Dass ehemals Betroffene Betroffenen helfen, "das ist unglaublich wichtig," weiß der Chefarzt: "Denn ich sag mal so: Medizinisch kann ich das Problem nicht lösen."
Alkohol: zu billig und zu leicht zu bekommen
Deutschland ist, was den Alkohol angeht, ein Hochkonsumland, sagt Björn Malchow von der Landesstelle für Suchtfragen Schleswig-Holstein. Er meint, "Alkohol ist zu billig und zu leicht zu bekommen. Im Grunde ja rund um die Uhr." Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) trinken etwa 15 Prozent der erwachsenen Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren so viel Alkohol, dass es gesundheitlich riskant ist.
Fast ein Fünftel einmal pro Monat im Rausch
"In einer Erhebung im Jahr 2021 gaben rund 23,5 Prozent der Befragten an, innerhalb des vergangenen Monats mindestens einmal bis zum Rausch getrunken zu haben", sagt Björn Malchow. "Bei den Männern sind das mit rund 31 Prozent deutlich mehr als bei den Frauen." In Schleswig-Holstein liege der Konsum beim Männern leicht über dem bundesdeutschen Durchschnitt und bei Frauen leicht darunter, so Malchow.
Hilfe zur Selbsthilfe
"2008 kam ich zum Ahornhof", erzählt Suchtlotse Michael Wolff, "mit wenig Überlebenschancen." 2009 habe er dann eine Langzeittherapie gemacht und lebte danach ein Jahr zur Nachsorge auf dem Hof. Seit er stabil ist, engagiert er sich in diversen Suchthilfe-Projekten. Vor drei Jahren hat er bei der Landesstelle für Suchtfragen die Ausbildung zum Suchtlotsen gemacht.
Niedrigschweilliger Einstieg in Suchthilfe
Björn Malchow erzählt, worum es bei dem Projekt "Lotsennetzwerk" geht: "Die Hauptidee dahinter ist, Betroffene, die ein Alkohol-, ein Suchtproblem haben, so niedrigschwellig wie möglich in das Suchthilfe-System zu führen." Dafür bildet die Landesstelle für Suchtfragen regelmäßig ehemalig Betroffene aus, die eine längere Zeit abstinent leben, "um eben den Betroffenen die Hand zu reichen, ihnen Hilfe anzubieten." Suchtlotsen wie Michael Wolff begleiten die Betroffenen dann auf Zeit, bis das professionelle Hilfe-System übernehmen kann. 60 Suchtlotsen gibt es derzeit. Sie leben über ganz Schleswig-Holstein verteilt.
Angst, jemand könnte von der Sucht erfahren, ist da
Einer von denen, die Michael Wolffs Hilfe in Anspruch nehmen, ist bereit, zu erzählen. Allerdings will er anonym bleiben, aus Angst davor, irgendjemand könnte herausfinden, dass er ein Alkoholproblem hat. Seine Frau hatte ihn dazu gebracht, seine Alkoholsucht anzuerkennen. Er will sich jetzt helfen lassen.
Begleitung zu Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen
Der Mann hat erst vor ein paar Wochen Kontakt zu Michael Wolff aufgenommen. "Man redet da natürlich nicht gerne drüber, aber schon das erste Telefonat mit ihm hat mir geholfen. Er war einfach verständnisvoll. Ich glaube, er kann zu hundert Prozent nachempfinden, wie es mir geht. Das fühlte sich für mich total großartig an. Er hat mir angeboten, wir können uns auch mal treffen. Das hat mit Halt gegeben." Michael Wolf hat ihn in die Beratungsstelle der Diakonie Rantzau-Münsterdorf und in eine Selbsthilfegruppe vermittelt. Und er bleibt für ihn erreichbar. Das haben sie verabredet.
Rückfälle kommen vor
Nicht alle schaffen es, trocken zu werden. Auch Rückfälle kommen immer wieder vor. Das weiß Michael Wolff nur zu gut. Auch er habe zwei Anläufe gebraucht. Aber: Vier Betroffene hat er bereits erfolgreich gelotst.
"Jetzt bin ich glücklich, zufrieden und trocken"
Lotse zu sein, für Betroffene da zu sein, ihnen helfen zu können, das sei für ihn "ein neuer Lebensabschnitt, ein komplett neues Leben, das ich mir aufgebaut habe." Für ihn ist es ein zweites Leben. "Jetzt bin ich glücklich, zufrieden, trocken und genieße meine Arbeit. Die macht mir Spaß!" Er sagt, es ist ganz einfach, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Man muss es nur wollen - und den Hörer in die Hand nehmen.