AKW Brunsbüttel: Lagerkapazitäten für Deponie-Müll schwinden

Stand: 30.01.2023 13:31 Uhr

Das stillgelegte AKW Brunsbüttel wird seit einigen Jahren zurückgebaut. Eine Klage verhindert, dass der angefallene Bauschutt zu Deponien gebracht werden kann. Aber viel Platz zum Lagern ist nicht mehr. Der nächste Verwaltungsakt droht.

von Sven Brosda

Ingo Neuhaus, technischer Geschäftsführer von Vattenfall, hat ein Müllproblem. Er muss dafür sorgen, dass das stillgelegte AKW Brunsbüttel (Kreis Dithmarschen) zurückgebaut wird, aber keine Deponie will den Bauschutt haben, der anfällt und nicht mehr verwertet werden kann. Da geht es zum Beispiel um Isolierwolle, Asbest oder um Steine mit Farbresten. Alle Stoffe, die das Gelände verlassen sollen, werden laut Neuhaus intensiv auf ihre Strahlung überprüft, es gelten strenge Grenzwerte.

Eine Fläche rund um das AKW Brunsbüttel wird für das Deponieren von Abfällen aufbereitet. © NDR
AUDIO: Bauschutt AKW Brunsbüttel: Noch immer keine Lösung (2 Min)

Bereits vor rund zwei Jahren hatte Schleswig-Holsteins damaliger Umweltminister Jan Philipp Albrecht (Grüne) ein "Müll-Machtwort" gesprochen. Er hatte nach einem langen Prüfverfahren angeordnet, dass einige Tausend Tonnen Bauschutt, die bis Ende vergangenen Jahres in Brunsbüttel zusammenkommen, auf Deponien nach Lübeck und Ostholstein gebracht werden sollen. Der Ex-Minister ist mittlerweile im Vorstand einer Stiftung in Berlin, der Müll noch in Brunsbüttel. Die Hansestadt Lübeck zum Beispiel will die Entscheidung des Landes nicht akzeptieren und klagt dagegen vor dem Verwaltungsgericht in Schleswig.

Container stapeln sich

Blaue und graue Container stehen auf dem Gelände des AKW Brunsbüttel. © NDR
Der Platz wird eng: Auf dem Gelände stapeln sich Container mit Müll aus dem Rückbau.

Ungeachtet der juristischen Auseinandersetzung läuft der AKW Rückbau in Brunsbüttel weiter. Arbeiter in Schutzanzügen klopfen Farbe von den Wänden, zersägen alte Rohre oder arbeiten Metallschrott auf. Im Gebäude stehen Hunderte sogenannte Mulden, eine Art Aufbewahrungsbox. Draußen dasselbe Bild: Große Container mit Bauschutt stehen neben- und übereinander. Viel Lagerplatz ist laut Geschäftsführer Neuhaus nicht mehr da. "Es ist schon sehr, sehr eng auf dem Gelände." Er lässt gerade die letzte größere Fläche herrichten, wo er noch weitere Container lagern könnte. "Wir tun alles, um uns Flexibilität zu kaufen, um Zeit zu gewinnen, bis uns Deponien zur Verfügung stehen." Er schränkt aber auch ein: "Viel Spielraum ist nicht mehr da."

Nächste Möglichkeit: Sofortvollzug

Neuhaus hat trotz Müll-Klage noch ein Ass im Ärmel. Er könnte den "sofortigen Vollzug" beantragen. Dann müsste umgehend entschieden werden, ob der Müll nach Lübeck und Ostholstein kommt. Der Vattenfall-Manager will während des laufenden Klageverfahrens aber eigentlich keine Fakten schaffen. Dass die Rückbau-Arbeiten eingestellt werden, weil es keinen Lagerplatz mehr auf dem AKW-Gelände gibt, kommt für ihn nicht in Frage. "Bevor wir mit dem Rückbau aufhören müssen, wird diese Ultima Ratio von unserer Seite gezogen werden müssen." Wann genau das passieren könnte, darauf will sich der Vattenfall-Geschäftsführer noch nicht festlegen. Das hängt nach seinen Angaben unter anderem davon ab, wie schnell seine Rückbau-Mannschaft ist und wie lange sich das Klageverfahren in Schleswig hinzieht, bis es eine Entscheidung gibt.

Minister Goldschmidt: Da kommt noch mehr Bauschutt

Im Kieler Umweltministerium hat Minister Tobias Goldschmidt (Grüne) nach dem Regierungswechsel das Ruder übernommen. Die Müllproblematik kennt er gut: Goldschmidt war vor seinem Ministeramt jahrelang Staatssekretär im Kieler Umweltministerium. Goldschmidt hält den "Sofortvollzug" als letztes Mittel für gerechtfertigt. "Auch wir bekommen Signale vom Gericht aus Schleswig, dass es keine schnelle Entscheidung bei der Klage geben wird. In solchen Fällen hat ein Unternehmen, das zum Beispiel am Rückbau gehindert wird, die Möglichkeit, den Sofortvollzug zu beantragen. Der wird dann beschieden und am Ende deutlich schneller vor Gericht überprüft." Es sei dann möglich, trotz Klage solche Abfälle auf Deponien zu bringen, betont der Minister und ergänzt: "Das finde ich absolut richtig so."

Neben dem AKW Brunsbüttel sollen auch noch die AKW Standorte Krümmel und Brokdorf zurückgebaut werden. Goldschmidt appelliert in diesem Zusammenhang an die Deponiebetreiber vor Ort, die "ungefährlichen" Abfälle wie Bauschutt anzunehmen. Sollten sich auch in Zukunft keine Deponien finden, die den Müll annehmen, dann schließt Minister Goldschmidt weitere Zwangszuweisungen nicht aus.

Umweltsenator Hinsen: Rechtliche Möglichkeiten ausschöpfen

Lübeck will den AKW-Bauschutt aus Brunsbüttel nicht auf der Deponie Niemark einlagern. Die Bürgerschaft hatte Umweltsenator Ludger Hinsen damit beauftragt, juristisch gegen die Zuweisung vorzugehen. "Sollte es zu einem Sofortvollzug kommen, werden wir auch dagegen vorgehen", sagt der CDU-Politiker. Seiner Meinung nach ist der Kreis Dithmarschen für den Müll zuständig, weil das AKW dort steht. Dabei bereitet sich die Deponie Niemark bereits auf den freigemessenen Bauschutt vor. Auf dem Gelände wurden zwei Mess-Sonden angebracht, eine dritte steht auf einem anderen Gelände. "Die Aufgabe dieser Sonden besteht darin, die Hintergrundstrahlung - insbesondere die Gammastrahlung - zu messen, um dann die Grundlage dafür zu haben, festzustellen, was verändert sich, wenn irgendwann einmal dieser Bauschutt bei uns angeliefert werden sollte", sagt Umweltsenator Hinsen.

Vattenfall: Energiewende gesellschaftliche Aufgabe

Die Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 hatte in Deutschland für ein Umdenken in Sachen Atomstrom gesorgt. Die damalige Bundesregierung beschloss daraufhin den Ausstieg aus der Atomenergie und in der Folge den Rückbau der Kraftwerke in Deutschland. "Wir können das Ziel der Energiewende in dieser Generation möglich machen", ist sich Vattenfall-Geschäftsführer Ingo Neuhaus sicher. "Dazu gehört aber auch der Rückbau der Kraftwerke. Das lässt sich aber nur erreichen, wenn auch die Abfälle, die auf eine Deponie müssen, dorthin kommen." Mögliche Ängste von Anwohnern, die in der Nähe von Deponien wohnen, auf denen AKW-Bauschutt landen könnte, nimmt er nach eigenen Angaben ernst. Er bedauert, dass "Menschen kein Sinnesorgan für Strahlung haben. Das würde eine Diskussion über den Abfall sehr schnell versachlichen", meint er. Weil das nun mal nicht möglich ist, will Neuhaus weiterhin mit guten Argumenten antreten.

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Collage: Ein Arbeiter mit einem Sicherheitshelm und einer festanliegenden Atemmaske, die das ganze Gesicht bedeckt bei Arbeiten an einem Rohr in der Wand. Funken sprühen. Auf der Rückwand ist das Radioaktivitätssignal montiert. © Foto: NDR/Tim Boehme | Logo: colourbox.de | Design: Nicole Arndt-Scherm Foto: Tim Boehme
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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 30.01.2023 | 12:00 Uhr

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