50 Jahre nach ihrer ersten Landung: Zwei "Sea Kings" zurück in Kiel

Stand: 20.03.2024 20:46 Uhr

50 Jahre nach ihrer ersten Landung kommen zwei "Sea Kings" zurück nach Kiel. Es ist ein Abschiedsgruß, denn im August werden die Könige der See fast alle außer Dienst genommen.

von Lisa Pandelaki

Vor einem wolkigen Himmel zeichnen sich schon von weitem die Silhouetten der Hubschrauber ab. Zwei von ihnen waren noch vor ein paar Jahren regelmäßig am Himmel über der Förde zu sehen: die "Sea Kings Mk 41". Sie kommen für einen letzten Abschiedsgruß in die Landeshauptstadt. Fast zeitgleich setzen die beiden Maschinen dort auf, wo sie 1974 zum ersten mal gelandet sind. Kurz drehen sich die Rotorblätter weiter, dann verstummt das Brummen ganz. Die Ankunft der beiden Seekönige auf dem Gelände des ehemaligen Marinefliegergeschwader 5 (MFG 5) in Kiel-Holtenau wird von viel Kameraklicken begleitet. Unter den Zuschauern sind neben vielen Plane-Spottern vor allem ehemalige Piloten und andere Crew-Mitglieder. Sie erinnern sich noch genau an die Zeit, als die "Sea Kings" noch in Kiel stationiert waren.

Ulrich Cramer brachte die "Sea Kings" nach Kiel

Ulrich Cramer, ehemaliger Pilot, steht vor einer der "Sea Kings". © NDR Foto: Lisa Pandelaki
Ulrich Cramer erinnert sich gerne an seine Flüge mit der "Sea King".

Unter ihnen ist Ulrich Cramer. Der 81-Jährige war einer der Piloten, der die "Sea Kings" am 20. März 1974 nach Kiel brachte. "Man hatte der Presse gesagt, die ersten vier Maschinen kommen am 28.", erinnert sich der pensionierte Marineflieger. Warum zwei Maschinen schon acht Tage früher Kieler Boden berührten, weiß er nicht. Um der Presse trotzdem ein schönes Ankunftsbild zu zeigen, hebt er mit einem Kollegen am 28. März 1974 früh ab, steuert eine Runde über Dänemark, sammelt bei St. Peter Ording zwei weitere "Sea Kings" ein und fliegt in Formation zurück zur offiziellen Ankunft nach Kiel. "Das Schöne war, ich musste bei allen Plätzen, wo wir drübergeflogen sind, anrufen und sagen: 'Das war keine 'Sea King', das war eine modifizierte 'CH-53'", erzählt Cramer mit einem Schmunzeln. "Es ging mit einem Beschiss los."

Vor allem für Such- und Rettungseinsätze vorgesehen

Am 20. März 1974 landet also zunächst inoffiziell die erste "Sea King" in Kiel. Sie wiegt rund neun Tonnen, fliegt mit einer Höchstgeschwindigkeit von 250 Kilometern pro Stunde und hat eine maximale Flugzeit von fünfeinhalb Stunden. Damit ist sie damals der modernste Hubschrauber der Welt. Wie zuvor die "H 34" soll der Mehrzweck-Transporthubschrauber "Sea King Mk 41" vor allem Such- und Rettungseinsätze fliegen - auf See und an Land. Bis zu sechs Tragen oder 18 sitzende Passagiere kann der Hubschrauber neben der vierköpfigen Besatzung aufnehmen. 22 "Sea Kings" wurden Teil der Deutschen Marine und blieben bis zum Abzug des MFG 5 2012 in Kiel-Holtenau.

"Wir hatten anfangs sogar eine Kaffeemaschine an Bord", erzählt Cramer. Die hätte dann aber aus hygienischen Gründen wieder rausgenommen werden müssen. Die Aschenbecher, für deren Einbau Cramer selbst gesorgt hat, wie er erzählt, gibt es aber immer noch.

Lebensretter in der Sturmflut 1976

In den 70er-Jahren stehen schon bald die ersten großen Einsätze für die "Sea Kings" an. Im Januar 1976 wütet Orkan "Capella" über Norddeutschland. Bis zu 17 Meter hoch schlagen die Wellen, brechen die Deiche und überfluten große Landstriche. Die "Sea Kings" kommen zum Einsatz, um vom Wasser eingeschlossene Menschen auszufliegen. In über 70 Flugstunden retten sie mehr als 45 Personen aus teilweise kritischen Lagen.

Geburtshilfe in der Schneekatastrophe 1978/79

Fast drei Jahre später versinkt der Norden im Schnee. Meterhoch türmen sich die weißen Massen, machen die Straßen unpassierbar und sorgen für Strom- und Telefonausfälle. 80 Gemeinden in Schleswig-Holstein werden von der Außenwelt abgeschnitten. Die "Sea Kings" versorgen die Eingeschlossenen aus der Luft, fliegen pausenlos Kranken- und Versorgungstransporte, bringen Lebensmittel, Windeln und Medikamente. "Man ahnt ja gar nicht, wieviele Frauen in Schleswig-Holstein gleichzeitig schwanger sind", erinnert sich Cramer an seine Einsätze während der Schneekatastrophe. Denn um sie zum Entbinden ins Krankenhaus zu bringen, werden auch die "Sea Kings" gerufen.

Tragische Rettungsaktion in der Sturmnacht 1993

Im Sturm des Orkantiefs "Verena" sinkt am 14. Januar 1993 die polnische Fähre "Jan Heweliusz" vor Rügen. Eine Herausforderung für die zwei "Sea Kings", die zur Hilfe fliegen. Sie fliegen bei völliger Dunkelheit, Wind mit einer Geschwindigkeit von bis zu 65 Knoten und sechs Meter hohen Wellen. Als sie bei dem Schiff ankommen, ist es bereits gekentert - eine Rettung der eingeschlossenen Menschen an Bord nicht mehr möglich. Nur neun der insgesamt 63 Menschen an Bord können von der Hubschrauberbesatzung aus dem eisigen Wasser gerettet werden.

1993 fliegt auch Ulrich Cramer ein letztes Mal in einer "Sea King", bevor er sich zur Ruhe setzt. Zu dem Zeitpunkt ist er erst 50 Jahre alt, doch fliegen darf er in dem Alter nicht mehr und ein Schreibtischjob kommt für ihn nicht in Frage. "Schreibtische sind aerodynamisch ungünstig", kommentiert er.

Absturz vor Helgoland

Auch außerhalb Deutschlands sind die "Sea Kings" für das Militär im Einsatz: Eindämmung terroristischer Bedrohung am Horn von Afrika, Evakuierungsoperationen in Libyen, Einsatzgruppenversorgung im Mittelmeer und humanitäre Hilfe nach einem Tsunami in Indonesien.

Doch es passiert in heimischen Gefilden, dass die Staffel eine Maschine verliert. Im November 1998 soll ein "Sea King" mit Hauptgetriebestörung von Helgoland zur Reparatur auf das Festland transportiert werden. Dafür wird er - unbemannt und ohne Rotorblätter - an einen Transporthubschrauber des Typs CH-53 angehängt. Doch über dem Wasser beginnt die "Sea King" so zu schaukeln, dass die Besatzung der CH-53 einen Absturz fürchtet und ihre Last abwirft. Bei dem Aufprall auf das Wasser wird die "Sea King" komplett zerstört. Fortan fliegen nur doch 21 "Sea Kings" im Dienst der Marine.

"Sea Kings" verlassen Kiel

Die letzten Seaking-Hubschrauber des Marinefliegergeschwaders 5 verlassen den Standort Kiel. © NDR Foto: Janina Fago
Die letzten "Sea King"-Hubschrauber des Marinefliegergeschwaders 5 verlassen 2012 den Standort Kiel.

2012 wird das Marinefliegergeschwader 5 aus Kiel nach Nordholz in Niedersachsen verlegt. Die "Sea Kings" verlassen die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt bei strahlendem Wetter.

Am Mittwoch waren die "Sea Kings" mit der Kennung "89+63" und "89+58" zum letzten Mal in die Stadt an der Förde. Nach 50 Jahren ist es jetzt ein Abschied für immer. Nach zahllosen Einsätzen in Deutschland haben die Seekönige ausgedient. Ihre Nachfolger sind die "NH-90 Sea Lions".

Ungewisse Zukunft

Einige "Sea Kings" wurden bereits auseinandergenommen, um daraus hochwertige Ersatzteile für den Rest der Staffel entnehmen zu können, erklärt Carsten Holtgreve, Kommodore des Marinefliegergeschwaders 5 in Nordholz. Einige andere haben schon so viele Flugstunden abgeleistet, dass der Aufwand zu groß wäre, sie weiter flugtüchtig zu halten. Für die verbleibenden sechs der alten Seekönige geht es demnächst weiter in Richtung Osten. Sie werden dem ukrainischen Militär zur Verfügung gestellt. Vorher sollen sie aber noch ein letztes Mal gewartet werden, um noch möglichst lange treue Dienste leisten zu können. Welche Einsätze die "Sea Kings" demnächst in ihrer zweiten Dienstzeit erwartet, ist ungewiss. Aber in Kiel und Nordholz wird man die "Sea Kings" in positiver Erinnerung behalten.

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Schleswig-Holstein Magazin | 20.03.2024 | 19:30 Uhr

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