Munitionsmangel bei der Marine: Experten fordern Kurswechsel
Die Bundeswehr und damit auch die Deutsche Marine hat ein Munitionsproblem: Angesichts der angespannten Sicherheitslage mit Russland sorgt das für Bedenken. Dabei fordern Marine-Experten und Bundespolitiker schon seit Jahren, die Bestände aufzustocken.
Wie eine lange Antenne ragt am Kieler Ostufer ein rund hundert Meter langer Pier in die Kieler Förde. Er ist flach, mit vielen Laternen, aus Beton gegossen. Er wirkt unscheinbar - wären da nicht die hohen Zäune, der Stacheldraht, die unzähligen Warnschilder. "Betreten verboten" steht auf ihnen, "Militärischer Sicherheitsbereich".
Der Grund: Hinter der Absperrung, versteckt in einem Waldstück, befindet sich das einzige Munitionsdepot der Deutschen Marine in der Ostsee. Wie viel Munition dort genau lagert, ist nicht bekannt. Doch die Bestände, so heißt es von Marine-Experten, seien zum Teil veraltet und vor allem zu klein.
Nicht das Geld ist das Problem
Nicht nur die Deutsche Marine, sondern die Bundeswehr im Allgemeinen, hat ein Munitionsproblem. Das bereitet Experten angesichts der angespannten Sicherheitslage mit Russland Sorgen. Schon seit Jahren fordern sie im Einklang mit Bundespolitikern, die Bestände aufzustocken.
"Der Gedanke, dass Munition fehlt und wir sie dringend nachbeschaffen müssen, ist vielerorts präsent. Aber die Umsetzung findet eben noch nicht statt", sagt Marco Thiele, Marine-Beauftragter beim Deutschen Bundeswehrverband. Dabei seien weder das Geld noch fehlende Kapazitäten der Industrie das Problem. So kündigte der Rüstungskonzern Rheinmetall an, ein neues Munitionswerk in der Lüneburger Heide zu bauen. Nach etwa einem Jahr Bauzeit sollen dort ab 2025 jährlich bis zu 200.000 Artilleriegranaten hergestellt werden.
Vielmehr kommt die Bundesregierung laut Thiele bei den Bestellungen nicht voran. "Wir sind nicht die einzige Nation, die momentan Munition braucht. Wenn man den Prozess nicht anfängt, ist es wie an der Supermarkt-Kasse: Wer zuletzt kommt, stellt sich hinten an und wartet."
Wadephul: "Wir fühlten uns zu sicher"
Ein weiteres Problem sei, dass in den letzten Jahren zu wenig produziert worden sei, sagt Johann Wadephul. Er ist CDU-Abgeordneter im Bundestag und Mitglied im Verteidigungsausschuss. "Wir fühlten uns zu sicher. Außerdem sind Munitionsfabriken keine schöne Sache, die will niemand unbedingt ansiedeln. Aber wir müssen umdenken, Zeitenwende heißt auch Munition", sagt er.
2022 hatte die Bundesregierung unter dem Schlagwort "Zeitenwende" unter anderem das Sondervermögen Bundeswehr ins Leben gerufen. 100 Milliarden Euro wurden so für umfassende Investitionen bereitgestellt. Für das Munitionsproblem hilft das Sondervermögen allerdings wenig. Denn Verbrauchsgüter, zu denen Munition gehört, würden über den Bundeswehretat und damit über den Haushalt finanziert, sagt Johann Wadephul. "Das heißt: Wir müssen den steigern, damit wir das bezahlen können."
Weniger Ausgaben als möglich
Dabei hat das Verteidigungsministerium weniger Geld für Munition ausgegeben, als ihm zur Verfügung stand. 2023 wurden 845 Millionen Euro für Munition ausgegeben, obwohl 280 Millionen mehr zur Verfügung gestanden hätten. Das geht aus einer Antwort des Verteidigungsministeriums auf eine schriftliche Frage des Bundestagsabgeordneten Ingo Gädechens (CDU) hervor. "Die Zahlen zur Munitionsbeschaffung 2023 lassen alle Alarmglocken schrillen. Obwohl Boris Pistorius das Thema Munition zur Chefsache machen wollte, ist praktisch nichts passiert", so Gädechens.
Einsatzfähig, aber nicht durchhaltefähig
Wie durchhaltefähig die Deutsche Marine angesichts des Munitionsmangels ist, darüber könne man nur spekulieren, sagt Johannes Peters vom Kieler Institut für Sicherheitspolitik. Die genauen Bestände seien klassifiziert. Zudem würden mehr Faktoren als nur die Munition die Durchhaltefähigkeiten bestimmen. Peters: "Wenn man aber auf die Munition guckt, sind wir sicherlich nicht da, wo wir sein müssten." So sieht es auch der Bundestagsabgeordnete Wadephul. Die Marine sei derzeit zwar einsatzfähig, aber nicht langfristig durchhaltefähig.
"Es fehlt einfach an der Munition, deswegen müssen wir schnell umschalten. Denn wir müssen uns gerade auf der Ostsee darauf einstellen, dass der Krieg länger dauern wird und wir mehrere Wochen, wenn nicht Monate in der Lage sein müssen, unsere Schiffe entsprechend auszustatten." Johann Wadephul (CDU)
Derzeit sei das allerdings nicht möglich.
Militärischer Konflikt unrealistisch
Dass es in der Ostsee zu einem militärischen Konflikt mit Russland kommen könnte, hält Johannes Peters vom Kieler Institut für Sicherheitspolitik unterdessen für unrealistisch. Die Sicherheitslage sei angespannt, aber in militärischer Hinsicht nicht kritischer als 2017 oder 2018.
Dass bald Schwung in die Beschaffung von Munition kommt, ist nicht absehbar. Zum Beispiel fordert die NATO seit einigen Jahren von ihren Mitgliedstaaten, dass sie Vorrat an Munition für 30 Tage anlegen soll. Die Bundesregierung hat 2017 angekündigt, dieses Ziel 2031 erreichen zu wollen. Bis dahin ist noch viel Zeit und es wird sicherlich noch das ein oder andere Schiff am Ladepier des Kieler Ostufers beladen.