AKW Emsland ist vom Netz - aber noch längst nicht Geschichte
Das AKW Emsland in Lingen geht nun in den Nachbetrieb und wird dann zurückgebaut. Wie lange dauert das? Und ist die Gefahr der Radioaktivität nun gebannt?
Mitte des kommenden Jahrzehnts ist das Atomkraftwerk Emsland frei von Radioaktivität - davon geht der Betreiber RWE aus. Bis dahin soll also alles, was irgendwie radioaktiv ist, vom Kraftwerksgelände verschwunden sein. Christoph Pistner vom Öko-Institut hält das für realistisch. Aber die Radioaktivität sei mitnichten weg, sagt der Physiker, der beim Öko-Institut den Bereich Nukleartechnik und Anlagensicherheit leitet. Nur in Lingen kann man dann vielleicht aufatmen. Und der Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), Wolfram König, erklärt, dass mit Blick auf grenznahe Atomkraftwerke im Ausland und die Lagerung der radioaktiven Abfälle Risiken bestehen blieben. Und zwar über viele Jahrtausende.
Die Brennelemente sind der gefährlichste Teil eines AKW
Es ist zwar tatsächlich so, dass mit dem Rückbau der allergrößte Teil des Kraftwerks - gemessen an Gewicht - entweder recycelt oder wie gewöhnlicher Abfall entsorgt wird. Und nur etwa ein Prozent des gesamten Abfalls ist nicht dekontaminierbar und bleibt hochradioaktiv, sodass dieser Anteil endgelagert werden muss, erklärt Kraftwerksbetreiber RWE. Doch in diesem einen Prozent stecken eben 99,9 Prozent der gesamten Radioaktivität eines AKW, so Pistner vom Öko-Institut. Dazu gehören vor allem die Brennelemente. Und natürlich die Bauteile, die den sogenannten Reaktorkern bilden. Sie sind die zentralen Komponenten eines Kernkraftwerks - und der Umgang mit ihnen ist und bleibt hochgefährlich.
Brennelemente müssen weiter gekühlt werden
Die Brennelemente sind schon während ihres Betriebs permanent von Kühlwasser umgeben, damit keine radioaktive Strahlung in die Umgebung gelangt. Und auch, wenn das AKW Emsland nun vom Netz genommen wird, erzeugen die Brennelemente weiter Wärme und müssen deshalb weiterhin gekühlt werden, damit es nicht zu einer Kernschmelze kommt. Bevor also überhaupt mit dem eigentlichen Rückbau begonnen werden kann, kommen die Brennelemente in das sogenannte Abklingbecken - laut Pistner drei bis sechs Jahre - bevor sie schließlich in sogenannte Castoren verpackt und in ein Zwischenlager kommen - ein Endlager gibt es in Deutschland noch nicht.
Ein Endlager für die Castoren ist noch nicht gefunden
Von nun an ist der Bund zuständig, genauer gesagt die BGZ Gesellschaft für Zwischenlagerung, später dann die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) mit Sitz in Peine - inklusive aller Kosten. Für die kommt allerdings ein Fond auf, in den die AKW-Betreiber im Jahr 2017 gut 24 Milliarden Euro einzahlen mussten. Die Zwischenlagerung direkt neben dem AKW in Lingen ist somit nur eine Übergangslösung: Von den hochradioaktiven Brennelementen geht noch Hunderttausende von Jahren eine Gefahr aus, die mit einer sicheren Endlagerung tief in Gestein, Ton oder Salz unter unseren Füßen gebannt werden soll. Geplant ist, dass etwa ab Mitte des Jahrhunderts damit begonnen wird - wo, ist weiter unklar, nachdem der Salzstock Gorleben als Standort nicht mehr in Frage kommt. Bis dahin stehen überall im Land die tonnenschweren Castoren in den Zwischenlagern - weit mehr als 200 sind es allein in Niedersachsen.
RWE beantragt Stilllegung des AKW Emsland beim Land Niedersachsen
Während die Brennelemente nach dem 15. April im Abklingbecken lagern, wird die Stilllegung des AKW Emsland geplant, auch Nachbetriebsphase genannt. Dafür muss der Betreiber RWE dem Land Niedersachsen, das für die Genehmigung zuständig ist, Unterlagen und Informationen vorlegen. Dabei geht es um die genaue Erfassung des radioaktiven Inventars und sämtlicher Anlagenteile, die radioaktiver Strahlung ausgesetzt waren. Aus dem Antrag muss zudem hervorgehen, wie der geplante Abbau zeitlich ablaufen soll und wie welche Stoffe entsorgt werden sollen.
Tausende Tonnen Abfall müssen kontrolliert werden
Ist die Stilllegung schließlich genehmigt - was laut RWE erst nach einigen Jahren passiert - beginnt die Abbauphase. Dafür werden Kreisläufe und Räume dekontaminiert, um die Strahlenbelastung für das Personal zu reduzieren. Schließlich durchlaufen "jeder Stein und jede Schraube" aus dem ehemaligen Kontrollbereich ein Prüfverfahren. Was RWE mit "jeder Stein und jede Schraube" beschreibt, ist in Wirklichkeit eine ungeheure Menge: Insgesamt müssen die Mitarbeitenden im AKW Emsland 38.000 Tonnen Material prüfen und wenn nötig dekontaminieren - darunter: Pumpen, Rohrleitungen, Bauwerksteile aus Glas, Stahl oder Beton, aber auch Schutzkleidung, Filter, Reinigungsmittel. Knapp 4.000 Tonnen davon sind schwach- und mittelradioaktiver Abfall und müssen endgelagert werden. RWE rühmt sich, analog zur Fließbandproduktion ein eigenes Verfahren für alle Schritte implementiert zu haben. Erfahrung hat der Energiekonzern aus Essen: Mehrere Meiler befanden sich oder befinden sich noch im Rückbau, mit dem AKW Lingen sogar einer direkt neben dem jetzt abgeschalteten AKW Emsland.
Ein Teil des AKW-Abfalls wird recycelt
In diesem "Integrierten Rückbauprozess" teilen die Planer das Kraftwerk Raum für Raum auf. Dann wird gesägt, geschnitten, gefräst, zerlegt, Teil für Teil. Nach Dekontamination, Freigabe und Verlassen des Kontrollbereichs in einer ein mal ein Meter großen Transportbox wird jeder abgebaute Reststoff entsorgt oder recycelt. Auch vieles andere außerhalb des Kontrollbereichs, was nicht radioaktiver Strahlung ausgesetzt war, etwa der Beton des Kühlturms, wird später wiederverwendet. Nicht nur aus ökologischen Gründen ergibt die "Rückführung in den Materialkreislauf" Sinn. Zwar kostet der Rückbau eines Atomkraftwerks bis zu einer Milliarde Euro. Aber immerhin kann der Konzern durch den Verkauf des AKW-Schrotts all seiner Anlagen in Deutschland auf einen dreistelligen Millionenbetrag hoffen, wie Konzernsprecher Jan Peter Cirkel dem NDR Niedersachsen sagt.