Das Leben nach dem AKW: "Wir müssen uns fast neu erfinden"
Mit dem Atomkraftwerk Emsland ist das letzte AKW in Niedersachsen vom Netz gegangen. Die AKW Grohnde, Stade und Unterweser sind zum Teil schon lange aus - doch ihr Einfluss auf die Standorte bleibt.
Seit 2011 wird im AKW Unterweser in der Gemeinde Stadland (Landkreis Wesermarsch) kein Atomstrom mehr produziert. Das ist zwölf Jahre her, doch vor Ort erscheint das nicht besonders lang. "Die geänderte Situation ist noch nicht bei allen angekommen", sagt Bürgermeister Harald Stindt (parteilos) dem NDR in Niedersachsen. Das Ende der Atomkraft in Stadland sei ein Prozess, der dauere - und der spannend sei: "Wir müssen die Dinge insgesamt neu denken und bewerten. Im Grunde müssen wir uns neu entwickeln und fast neu erfinden."
Gewerbesteuer fehlt, Rückzahlungen belasten Stadland
Ein entscheidender Teil dieses Prozesses: Ausgaben müssten mit Augenmaß und sozial verträglich reduziert sowie neue Einnahmequellen entwickelt werden. "Die finanziellen Folgen sind in der Gemeinde spürbar. Die aufgebaute Infrastruktur ist geblieben, die erforderlichen Mittel zur Unterhaltung und für den Betrieb leider nicht", so Stindt. Nicht nur fehlten die Einnahmen aus der Gewerbesteuer, die Gemeinde müsse darüber hinaus zu viel erhaltene Gewerbesteuer zurückzahlen. Stadland stehe damit allein da: "Die Einnahmen haben durch die Kreisumlage auch den gesamten Landkreis bereichert. Die Rückzahlung von zu viel erhaltener Gewerbesteuer belastet dagegen allein den Haushalt der Gemeinde Stadland. Leider greift das Solidarprinzip hier nur in eine Richtung", kritisiert der Bürgermeister.
Das Atomkraftwerk: "Noch immer ein sicherer Arbeitgeber"
In anderen Bereichen läuft es wirtschaftlich gut in der Gemeinde Stadland - weil das Kraftwerk noch steht. Seit 2018 wird es zurückgebaut, weitere zehn Jahre ist dort zu tun. "Das Kraftwerk ist noch immer ein sicherer Arbeitgeber", sagt Stindt. Hotels und Ferienunterkünfte seien sehr gut gebucht, was auch mit den Firmen zu tun habe, die am Rückbau beteiligt seien. Doch was kommt danach? "Die Frage nach der Zukunft stellt sich gerade bei den jüngeren Menschen. Hier versucht die Gemeinde, durch neue Gewerbebetriebe eine Zukunft zu ermöglichen", berichtet Stindt.
Nach dem AKW Grohnde: Emmerthal blickt auf erneuerbare Energien
Recht neu ist die Situation noch in der Gemeinde Emmerthal im Landkreis Hameln-Pyrmont: Erst Ende 2021 wurde dort das AKW Grohnde abgeschaltet. Bürgermeister Dominik Petters (SPD) zeigt sich mit Blick auf die Zukunft zuversichtlich. Ja, die Steuereinnahmen seien zurückgegangen, das habe man aber vorher gewusst. Der Weg führe hin zu erneuerbaren Energien. "Als ehemaliger Kraftwerksstandort haben wir nach meiner Auffassung sehr gute Voraussetzungen, gerade im Bereich der Netzinfrastruktur, auf die wir in der Energiewende aufbauen können", so Petters.
Emmerthal steht noch am Anfang der Entwicklung
Und auch in Emmerthal hat sich noch nicht wirklich viel verändert. Denn das AKW steht, wo es immer stand. "Das Kraftwerk und seine Beschäftigten sind ja noch präsent wie auch in der Phase des Betriebs." Die Einwohner beschäftigen laut Petters derzeit hauptsächlich Fragen zum Rückbau: Wie läuft der ab? Wie belastet er den Verkehr - und nicht zuletzt: Wie und für wie lange werden die radioaktiven Brennelemente am Kraftwerk zwischengelagert?
In finanzieller Hinsicht muss auch Emmerthal umplanen, wenn auch noch nicht sofort. Natürlich stelle sich die Frage, "wie sich die Gemeinde Emmerthal wirtschaftlich in den kommenden Jahren aufstellt und welche Entwicklung wir nehmen wollen", sagt der Bürgermeister.
Jetzt ist im AKW Emsland Schluss: Wie weiter in Lingen?
Was raten die Bürgermeister ihrem Amtskollegen in Lingen, wo die Brennelementefabrik zwar noch bleibt, der Prozess des Lebens ohne das AKW Emsland aber jetzt erst beginnt? "Ich würde zu rechtzeitigen Rücklagen für mögliche Steuerrückzahlungen raten. Weiter gilt es zu prüfen, welche Infrastruktur und in welchem Umfang unterhalten werden kann", so Harald Stindt aus Stadland. Dominik Petters plädiert dafür, bewusst optimistisch in die neue Phase einzusteigen: "Wir haben uns in Emmerthal dafür entschieden, die Energiewende für uns vor allem als Chance zu nutzen. Ich persönlich möchte mich mit der Zukunft und neuen Perspektiven für unsere Gemeinde beschäftigen und sehe die vielfältig vorhandene Infrastruktur als besondere Chance für die weitere Entwicklung."