Ja. Das ist aber an bestimmte Voraussetzungen geknüpft.
Ein Arzt kann seinen Patienten bei den Behörden melden, wenn medizinisch belegbar ist, dass diese Person kein Auto mehr fahren sollte. Allerdings gibt es noch die ärztliche Schweigepflicht, an die Mediziner gebunden sind. Es gebe keine gesonderte gesetzliche Regelung, die es Ärzten erlaube, ihre Patienten in puncto Fahreignung als auffällig zu melden, bemängelt Straf- und Medizinrechtler Duttge. Will ein Arzt einen Patienten melden, müsse er auf den allgemeinen "rechtfertigenden Notstand" zurückgreifen. Das ist Paragraf 34 im Strafgesetzbuch. Er erlaubt es Ärzten nur unter bestimmten, sehr allgemein gehaltenen Voraussetzungen, ihre Schweigepflicht zu brechen, kritisiert Duttge. Das Gesetz nennt eine "gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr" - zum Beispiel für Leib und Leben anderer - als eine solche Voraussetzung. Meldet ein Arzt seinen Patienten aus diesem Grund bei den Behörden, handelt er nicht rechtswidrig. Viel genauer wird der Gesetzgeber in dem zwei Sätze umfassenden Passus nicht.
Will ein Arzt einen Patienten melden, muss bei diesem also ein aktueller und signifikanter Mangel feststellbar sein. Welche körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen darunter fallen, listet die Anlage 4 der Fahrerlaubnis-Verordnung auf. Als ungeeignet gilt demnach, wer tagsüber auffällig und messbar müde ist. Dagegen darf man noch Auto fahren, wenn man hochgradig schwerhörig ist - vorausgesetzt man hat keine weiteren schwerwiegenden Mängel.
Das Hauptproblem ist, dass eine Prüfung der Fahrtauglichkeit in erster Linie vom Arzt angestoßen werden muss. Wenn die Fahrerlaubnisbehörde nichts von dem auffälligen Patienten weiß, kann sie nichts tun. Duttge würde es bevorzugen, wenn die Behörde sich diese Informationen selbst von den Medizinern einholen würde. Das sei eine Holschuld, argumentiert er. Außerdem wüssten manche Ärzte nicht, dass sie die Möglichkeit haben, fahruntüchtige Patienten zu melden. Oder sie tun es nicht. "Wegen der Unbestimmtheit des rechtfertigenden Notstands gibt es nicht immer die erforderlichen Hinweise von ärztlicher Seite", erläutert Duttge. "Es ist anzunehmen, dass Ärzte sich scheuen, auf Basis einer so vagen Gesetzesvorschrift aktiv zu werden."
Dass eigens geschaffene rechtliche Vorgaben zu mehr Meldungen durch Ärzte führen, habe das Beispiel Kindeswohlgefährdung gezeigt. Damit Jugendämter in gewalttätigen Familien nicht laufend zu spät kommen, wurde vor einigen Jahren das "Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz" vor rund zehn Jahren überarbeitet. Es erlaubt Ärzten nun ausdrücklich, bei begründetem Verdacht auf zum Beispiel Misshandlung das Jugendamt zu einzuschalten. Beim Thema Fahrtauglichkeit gebe es keine solche Regelung, kritisiert Duttge. Stattdessen müssten sich Ärzte mit dem weit gefassten Paragrafen 34 im Strafgesetzbuch behelfen.
Wenn die Fahrerlaubnisbehörde einen Hinweis auf einen möglicherweise fahruntüchtigen Menschen bekommt, muss sie reagieren. "Das ist eine richtige Staffelung, es gibt fünf verschiedene Stufen", erklärt Duttge. Die erste Möglichkeit ist, dass die Behörde vom Patienten ein ärztliches Gutachten über dessen Fahrtauglichkeit verlangt. Das Gutachten soll nicht vom behandelnden Arzt des Patienten erstellt werden, wie es in der zu Grunde liegenden Fahrerlaubnis-Verordnung heißt.
Die nächstschärfere Anordnung durch die Behörde wäre, dass ein Amtsarzt dieses Gutachten erstellt. Als nächste Möglichkeit kann dazu ein Arzt mit der Gebietsbezeichnung "Arbeitsmedizin" oder der Zusatzbezeichnung "Betriebsmedizin" herangezogen werden, gefolgt von einem Rechtsmediziner. Als schärfste Anordnung kann die Behörde ein medizinisch-psychologisches Gutachten verlangen (umgangssprachlich "Idiotentest"). Am Ende entscheide die Straßenverkehrsbehörde über die Fahrtauglichkeit, so Duttge. Entweder man behält seinen Führerschein oder die Fahrerlaubnis wird eingeschränkt oder - wenn man erwiesenermaßen ungeeignet ist - entzogen.
Aus Sicht des Straf- und Medizinrechtlers Duttge könnten zwei Dinge Abhilfe schaffen. Man könnte erstens eine rechtliche Spezialbefugnis einführen, ähnlich zu der im Kinderschutz. So hätten Ärzte eine klare Rechtsgrundlage für das Melden von Patienten. Duttge würde aber noch einen Schritt weitergehen: "Ich hätte eine Regel wie in Japan eingeführt, dass man ab 65 Jahren wieder eine Fahrprüfung absolvieren muss." Im Abstand von drei oder Jahren würde die Eignung für den Straßenverkehr dann erneut geprüft. "Dann hätte man die Problematik mit der Meldepflicht von Ärzten nicht."
In der Schweiz etwa sind Fahrprüfungen im Alter Pflicht. Ab 70 Jahren müssen Autofahrer alle zwei Jahre zum Eignungstest. Dass das auch in Deutschland eingeführt werden könnte, bezweifelt Duttge: "Ich denke, das ist politisch keine mehrheitsfähige Auffassung." In Deutschland scheue man sich, die individuelle Mobilität einzuschränken. Gerade in Bezug auf ältere Autofahrer werde oft mit dem Selbstbestimmungsrecht argumentiert. In Hamburg wurde jüngst darüber diskutiert. Ein Gegenargument lautete: Pauschale Eignungstests für Alte wären diskriminierend.
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