Norddeutsche Industrie setzt wenig Hoffnung in Gipfel mit Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat für Dienstagnachmittag zu einem Industriegipfel eingeladen, um mit Verbänden, Unternehmen und Gewerkschaften über Unterstützung zu sprechen. Die Initiative stößt in Norddeutschland auf unterschiedliche Reaktionen.
Andreas Pfaffenberg, Vorstandsvorsitzer des Industrieverbands Hamburg, wird deutlich: "Es gibt nichts zu beschönigen. Die Deindustrialisierung ist ein reales Risiko, auch in Hamburg." Die Mitgliedsunternehmen des Industrieverbandes litten immer stärker unter den hohen Energiekosten, unnötiger Bürokratie und langsamen Genehmigungsverfahren. Um Hamburg als größte Industriestadt Deutschlands weiterentwickeln zu können, bräuchte es aus Pfaffenbergs Sicht vor allem innerhalb der Regierung abgestimmte Vorschläge und einen gemeinsamen Willen, die Wachstumsschwäche anzugehen. Der Hamburger Industrieverband beurteilt die Erfolgsaussichten des Industriegipfels des Kanzlers zwar skeptisch, sein Dachverband, der Bundesverband der Industrie (BDI), wird aber an dem Treffen teilnehmen.
Norddeutsche Wirtschaft sieht dringenden Handlungsbedarf
Nicht eingeladen dagegen sind Vertreter der Metall- und Elektroindustrie - unverständlich für den niedersächsischen Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall. Hauptgeschäftsführer Volker Schmidt vermutet deshalb, dass der Termin vor allem dem aufkommenden Bundestagswahlkampf dienen solle. Dabei sieht auch er, wie der Hamburger Industrieverband, dringenden Handlungsbedarf: "Der Standort Deutschland ist durch hohe Steuern und Abgabenlasten, teure Energie, ausufernde Bürokratie und durch die nicht zuletzt völlig zerstrittene Bundesregierung nur noch bedingt wettbewerbsfähig", sagt Schmidt. Die Industrie benötige endlich den großen Wurf anstatt nicht abgesprochener Vorschläge.
VW-Chef Blume wird dabei sein
Volkswagen-Chef Oliver Blume wird am Industriegipfel im Kanzleramt teilnehmen. Das bestätigte ein VW-Sprecher am Montag dem ARD Hauptstadtstudio. Man erhoffe sich konstruktive Beratungen und konkrete Maßnahmen, die die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland fördern, teilte VW mit. Genauso wie bessere Rahmenbedingungen für die E-Mobilität. Laut VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo plant Volkswagen in Deutschland mindestens drei Werke zu schließen. Kanzler Scholz hatte daraufhin den Wolfsburger Autobauer am Montag aufgefordert, Arbeitsplätze zu erhalten. "Mögliche falsche Managemententscheidungen aus der Vergangenheit dürften nicht zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen", so ein Regierungssprecher.
Weil fordert niedrigere Energiepreise
Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hofft bei dem Industriegipfel unter anderem auf Entscheidungen, um die Wirtschaft bei den Energiekosten zu entlasten, etwa, indem die Netzentgelte verringert werden. Weil begrüßt deshalb die Initiative des Kanzlers zu dem Gipfel, ebenso wie die Hamburger Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD). Denn, so Leonhard, die Industrie müsse in der Transformation eine wichtige Rolle spielen.
Wirtschaftswissenschaftler sieht Gefahr der Deindustrialisierung
Auch Professor Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht politischen Handlungsbedarf. Die hohen Energiepreise sind aus seiner Sicht aber nur ein Teil des Problems. Denn sie seien nur für die energieintensive Industrie ein entscheidender Kostenfaktor. Er fände es wichtiger, dass die Wirtschaft wieder mehr investiert. Gornig spricht von einem "technologischen Patt". Auf der einen Seite hätten Investitionen in fossile Technologien - wie dem Verbrennungsmotor - keine Zukunft mehr. Auf der anderen Seite seien Investitionen in klimafreundliche Technologie noch mit hohen Risiken verbunden. Die Folge: Die Unternehmen hielten sich mit Investitionen zurück. Das könne im schlimmsten Fall zur Deindustrialisierung führen. Für Gornig wären unter anderem weniger Bürokratie und gezielte Förderungen hilfreich. Seine Erwartungen an den Industriegipfel des Kanzlers sind begrenzt.