Dritter großer "Reichsbürger"-Prozess in München gestartet
In München hat am Dienstag der dritte große Terror-Prozess gegen die mutmaßliche Reichsbürger-Gruppe um Prinz Reuß begonnen. Mit auf der Anklagebank: eine Hausärztin aus Vechelde im Landkreis Peine.
Die 58-Jährige sollte laut Anklage nach dem geplanten Putsch Gesundheitsministerin werden. Nun muss sich die Ärztin mit sieben weiteren Angeklagten in einem der größten Terror-Prozesse verantworten, den es in der Bundesrepublik je gab. Laut Anklageschrift schloss sich Melanie R. der Reichsbürger-Vereinigung spätestens im Februar 2022 als Mitglied an. Sie gehörte demnach dem "Rat" an und war in diesem Gremium für die Leitung des Ressorts "Gesundheit" vorgesehen. Aus ihrem Privatvermögen soll sie der Vereinigung rund 47.000 Euro zur Verfügung gestellt haben, die unter anderem für Schießtrainings verwendet wurden. Die insgesamt 26 Angeklagten in drei Verfahren sollen einen Putsch gegen die Bundesregierung geplant und dabei bewusst Tote in Kauf genommen haben.
Verteidiger: "Sie ist keine Reichsbürgerin"
Die Terrorvorwürfe wies ihr Verteidiger Volkmar Wissgott deutlich zurück. Melanie R. wollte den Staat nicht abschaffen, sagte er dem NDR Niedersachsen. Sie sei keine "Reichsbürgerin". Vielmehr sei die Medizinerin in eine "Verschwörungstheorie hineingeraten". Seine Mandantin sei offenbar dafür empfänglich gewesen. "Das war aber nach unserer Auffassung noch nicht strafbar gewesen", so Wissgott.
Verfassungsschutz: Menschen verfangen sich in Theorien
Der Chef des Verfassungsschutzes in Niedersachsen, Dirk Pejril, schätzt es so ein: "Wir haben festgestellt, wenn man auch ein bisschen auf die Historie der Corona-Krise zurück guckt, dass über alle Gesellschaftsschichten hinweg, Menschen sich verfangen in bestimmten Themen, in bestimmten Theorien." Dabei spiele auch die Frage eine Rolle , "wo informiere ich mich, wo kriege ich meine Informationen, meine Nachrichten her", so Pejril. Ob die Ärztin Melanie R. und Anwalt Paul G. wirklich nur in etwas hineingeraten sind, wie die Anwälte sagen, oder doch mutmaßliche Terroristen sind, wie die Bundesanwaltschaft es einordnet - das muss der Gerichtsprozess in München nun aufklären.
Wie kommt eine Ärztin in Kontakt mit der Gruppe Reuß?
Der deutsch-polnische Historiker Bogdan Musial aus Alfeld hat mit Melanie R. an einem gemeinsamen Projekt gearbeitet. Ihre Verhaftung Ende 2022 hat ihn überrascht. Er hat sie als gute Allgemeinmedizinerin erlebt, gleichzeitig habe sie aber auch einen "Hang zur Esoterik" gehabt, so Musial. Sie habe sich als Medium verstanden, das sogenannte “Durchsagen” aus der geistigen Welt erhalte. Nach seiner Darstellung hatte Melanie R. ihn um einen Kontakt zu Prinz Reuß gebeten und sei fasziniert davon gewesen, Kontakte in die High Society zu haben und bei Veranstaltungen in Bayern mit Adeligen und reichen Menschen zu verkehren. Wie der Kontakt zwischen den beiden weiterging, weiß Musial nicht, da er sich mit Melanie R. ab 2017 aufgrund eines Rechtsstreits entfremdete.
Anwalt aus Hannover sollte "Außenminister" werden
Melanie R. hat laut Anklageschrift Paul G. als neues Mitglied für die Vereinigung vorgeschlagen, er arbeitete damals als Rechtsanwalt in Hannover. Laut Anklage sollte er nach dem geplanten Umsturz eine Art Außenminister werden. Bei einer Sitzung soll er seinen Plan für die künftige deutsche Außenpolitik vorgestellt haben. Sein Verteidiger Björn Nordmann schreibt dem NDR auf Anfrage, dass Paul G. die erhobenen Vorwürfe abstreite.
Historisches Verfahren
Melanie R. und Paul G. sind am Oberlandesgericht München mit sechs weiteren mutmaßlichen Verschwörern und Verschwörerinnen angeklagt. Es ist nach Stuttgart und Frankfurt der bundesweit dritte Terrorprozess gegen die "Reichsbürger"-Gruppe um Reuß. In Frankfurt stehen Reuß und die mutmaßlichen Rädelsführer vor Gericht. In Stuttgart hat die Bundesanwaltschaft mutmaßliche Mitglieder des "militärischen Arms" angeklagt. Mit einem Putsch habe die Gruppe rund um Prinz Reuß die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland gewaltsam beseitigen und durch eine eigene ersetzen wollen, so die Anklage der Bundesanwaltschaft. Vier Männer müssen sich in München zudem wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat verantworten, einer wegen Verstößen gegen das Waffengesetz.