Ein Reichsbürger-Pass liegt neben einer Waffe und einem Nummernschild. © picture alliance/Christian Ohde Foto: Christian Ohde

Szene in Niedersachsen: Was wollen "Reichsbürger" und "Selbstverwalter"?

Stand: 18.08.2023 15:38 Uhr

Der Verfassungsschutz beobachtet in Niedersachsen unter anderem "Reichsbürger". Das sind Einzelpersonen, Gruppen, Netzwerke, die die Bundesrepublik Deutschland fundamental ablehnen. Welche Ziele verfolgen sie?

von Marc Wichert

Sogenannte Reichsbürger haben in der Regel ein verschwörungsideologisches Weltbild. Für sie ist die Bundesrepublik Deutschland kein souveräner Staat. Stattdessen gebe es weiterhin ein "Deutsches Reich", wie es in den Jahren 1871, 1914 oder 1937 Bestand hatte - also als Deutschland keine Demokratie, sondern Kaiserreich beziehungsweise nationalsozialistische Diktatur war. Das heißt folgerichtig auch, dass damit Grenzverläufe als Hoheitsgebiet angesehen werden, die deutlich über das heutige deutsche Staatsgebiet hinausgehen.

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Einige "Selbstverwalter" rufen einen eigenen Staat aus

Auch sogenannte Selbstverwalter beobachtet der Verfassungsschutz Niedersachsen. Dies sind Einzelpersonen, die im Gegensatz zu den "Reichsbürgern" nicht das Fortbestehen des Deutschen Reichs propagieren. Die "Selbstverwalter" behaupten aber, sie könnten durch eine einfache Erklärung aus der Bundesrepublik Deutschland austreten. Manche behaupten auch, dass es die Bundesrepublik gar nicht gebe. Einige sogenannte Selbstverwalter gehen so weit, eigene Staatsgebilde auszurufen und ihr Haus oder Grundstück als souveränes Staatsgebiet zu proklamieren.

"Reichspersonenausweise": "Reichsbürger" nutzen Fantasiedokumente

Vieles ist "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" allerdings gemeinsam, lehnen sie doch alle den Staat in seiner jetzigen Form ab. So verweigern manche von ihnen, Steuern, Gebühren und Abgaben zu zahlen. Mancher "Reichsbürger" verwendet selbst produzierte "Reichsführerscheine" oder "Reichspersonenausweise" im offiziellen Rechtsverkehr und verkauft sogar solche Fantasiedokumente an Gleichgesinnte.

"Reichsbürger" wenden immer wieder Gewalt gegen Repräsentanten des Staats an

Immer wieder kommt es auch zu Gewalt gegenüber Vertretern des Staates. So hat ein selbsternannter Reichsbürger im Jahr 2016 in Bayern einen Polizisten erschossen. In Niedersachsen war eine Familie aus dem Landkreis Hameln-Pyrmont in den Jahren 2018 und 2019 wiederholt mit Behördenvertretern in Konflikt geraten. Zwei Familienmitglieder wurden im Februar 2020 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, gefährlicher Körperverletzung und versuchter Gefangenenbefreiung zu Freiheitsstrafen verurteilt. Im April wurde in Cadenberge im Landkreis Cuxhaven ein Polizist bei einem Einsatz schwer verletzt. Er wollte einen 60-Jährigen festnehmen, der laut Polizei der "Reichsbürger"-Szene angehört.

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Niedersachsens Verfassungsschutz geht davon aus, dass sich aggressives bis gewalttätiges Handeln wiederholen dürfte, zumal Angehörige der Szene oftmals waffenaffin seien. Daher sollen waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen werden, sobald eine Zugehörigkeit zur Szene bekannt wird. Seit 2016 seien bundesweit mehr als 1.000 waffenrechtliche Erlaubnisse von "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" eingezogen oder widerrufen worden.

Verschwörer um Prinz Reuß wollten Regierung stürzen

Prominentestes Beispiel für Ideologie und Gewaltbereitschaft sind die Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegen mehrere Dutzend Personen wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung. Im Dezember 2022 gab es bundesweit Durchsuchungen und Festnahmen, auch in Niedersachsen. Festgenommen wurden drei Personen aus Hannover, Vechelde (Landkreis Peine) und Alfeld (Landkreis Hildesheim), die nach einer beabsichtigten Regierungsübernahme einflussreiche Positionen übernehmen sollten. Darunter befand sich sogar ein ehemaliger Polizist. Die Gruppe um den mutmaßlichen Anführer Heinrich XIII. Prinz Reuß soll laut Ermittlern den Aufbau einer "Neuen deutschen Armee" samt 286 "Heimatschutzkompanien" im ganzen Land geplant haben. Diese sollten lokale Politiker verhaften oder gar hinrichten, wie Ermittler laut "Spiegel" Abgeordneten des Bundestags schilderten.

900 "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" in Niedersachsen

Der Anteil an Personen mit einem geschlossenen rechtsextremistischen Weltbild liege bei "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" bei etwa fünf Prozent, heißt es vom Verfassungsschutz. Allerdings verbreitet ein größerer Teil der "Reichsbürger" durchaus rechtsextremistische Ideologie. "Insgesamt lebt die Szene der 'Reichsbürger' und 'Selbstverwalter' in einer Parallelwelt geprägt von Verschwörungstheorien, die sich verfestigt und gegenüber der Außenwelt weitgehend verschließt", konstatiert der Verfassungsschutz. Die Behörde schätzt, dass es in Niedersachsen etwa 900 auffällig gewordene "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" gibt.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 16.08.2023 | 12:00 Uhr

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Rechtsextremismus

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