Das AKW Grohnde - Ein von Pannen geplagter "Weltmeister"

Stand: 02.02.2024 21:39 Uhr

Vor rund zwei Jahren wurde das Atomkraftwerk (AKW) Grohnde abgeschaltet. Am Freitag haben die Rückbauarbeiten begonnen. Das AKW stellte gemessen an seiner Stromproduktion Rekorde auf, war aber auch von Pannen geplagt.

von Lisa Marie Simmack

Der Rückbau des Kernkraftwerkes Grohnde, das am linken Weserufer in der Nähe von Hameln in Niedersachsen liegt, wird wohl mehrere Jahre dauern. Das AKW, dessen Betreiber Preussen Elektra ist, war 1984 ans Netz gegangen. Knapp 350 Mitarbeitende waren in dem Atomkraftwerk beschäftigt. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 wurde beschlossen, auch das AKW in Grohnde 2021 vom Netz zu nehmen. So kam es dann auch - entgegen den Forderungen von Atomkraft-Gegnern, die wegen der Zwischenfälle ein früheres Aus wollten.

Das AKW Grohnde: Ein Weltmeister, der von Pannen geplagt ist

Zeitweise war das AKW Grohnde, gemessen an seiner produzierten Jahresstrommenge, mit seinem Druckwasserreaktor das leistungsfähigste Kernkraftwerk der Welt. Im Durchschnitt produzierte der Meiler seinem Betreiber zufolge jährlich elf Milliarden Kilowattstunden Strom. Mit dieser Menge habe Grohnde einen Anteil von 15 Prozent an der gesamten Stromerzeugung in Niedersachsen gehabt. In den vergangenen Jahren gab es aber auch etliche Vorfälle und Pannen:

  • 19. März 1977: Das AKW Grohnde war von Beginn an umstritten. Im März 1977 wurden bei Auseinandersetzungen am Bauplatz Hunderte Demonstrierende und Dutzende Polizistinnen und Polizisten teils schwer verletzt.

Das schwarz/weiß Foto zeigt Demonstranten und Polizisten bei einer Straßenschlacht auf dem Gelände des Atomkraftwerks Grohnde. © picture-alliance / Dieter Klar Foto: Dieter Klar
Wegen des geplanten AKW kommt es in Grohnde 1977 zwischen Demonstrierenden und Polizisten zu einer wahren Schlacht.


  • 5. September 1984: Das AKW Grohnde in Emmerthal (Landkreis Hameln-Pyrmont) geht ans Netz. In den darauffolgenden Jahren 1985, 1986, 1987, 1989, 1990, 1995, 1997 und 1998 ist der Druckwasserreaktor nach Angaben des Betreibers jeweils "Weltmeister in der Stromproduktion", gemessen an der jeweiligen erzeugten Jahresstrommenge.
  • 2002: Am Standort Grohnde wird ein Zwischenlager für maximal 40 Jahre genehmigt. Der erste Castor-Behälter mit radioaktivem Müll aus dem Kraftwerk lagert seit 2006 dort. Das Lager hat dem Betreiber zufolge eine Kapazität von 100 Behältern.
  • 27. April 2006: Das genehmigte Zwischenlager nimmt an diesem Tag seinen Betrieb auf. Gelagert werden dort nach Angaben des Betreibers Transportbehälter vom Typ Castor V/19, in denen abgebrannte Kernbrennelemente gelagert und transportiert werden können.
  • Juni 2011: Gemäß der von der Bundesregierung beschlossenen Energiewende soll der Meiler Ende 2021 vom Netz gehen.
  • Dezember 2012: Atomkraftgegner der Regionalkonferenz "Grohnde abschalten" teilen mit, dass es seit 1984, dem Jahr der Betriebsaufnahme des AKW Grohnde, 231 meldepflichtige Störungen gegeben habe. Unter den neun zu diesem Zeitpunkt noch laufenden Atomkraftwerken in Deutschland halte es damit den Negativ-Rekord. Der AKW-Betreiber Preussen Elektra legt Wert darauf, dass es sich dabei allerdings nicht um Störfälle im Sinne des Atomgesetzes gehandelt habe, sondern lediglich um "meldepflichtige Ereignisse". Die Zahl dieser Ereignisse stieg während der Laufzeit des AKW weiter an und lag am Ende bei 279, so das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base).
  • April 2014: Das AKW wird zu Routinekontrolle vom Netz genommen. Dabei stellten Techniker zunächst einen Schaden am Generator fest, dieser muss ausgetauscht werden. Später werden Schäden an den Drosselkörpern entdeckt. Es kommt zu einem heftigen Streit zwischen Betreiber E.ON und dem für die Atomaufsicht zuständigen niedersächsischen Umweltministerium über die Reparaturarbeiten. Erst im Juni darf E.ON das Kraftwerk wieder hochfahren.

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Das Atomkraftwerk Grohnde vor einem bewölkten Himmel. © NDR Foto: Eric Klitzke

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  • Dezember 2014: Im AKW treten erneut Störungen auf und Anwohnerinnen und Anwohner drohen mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg.
  • 28. Februar 2016: Nach Angaben des Betreibers Preussen Elektra erreicht das Kernkraftwerk Grohnde als erster Kraftwerksblock weltweit die erzeugte Strommenge von 350 Milliarden Kilowattstunden. Solch eine Strommenge reiche aus, um ganz Deutschland mehr als ein halbes Jahr mit Strom zu versorgen.
  • April 2016: Wegen eines Schadens an der Kühlpumpe muss das AKW heruntergefahren werden. Die Wiederinbetriebnahme des Reaktors verzögert sich daraufhin immer wieder. Seit April gibt es vier Versuche. Erst Mitte Juni geht das AKW wieder ans Netz. Die jährliche Überprüfung dauert dadurch länger als zehn Wochen, üblich sind zwei.
  • 30. Juli 2016: Das AKW muss für zwei Wochen vom Netz genommen werden. Grund dafür ist ein Leck, das durch die Schädigung einer Schweißnaht an einer Kleinleitung entstanden ist.
  • 26. Oktober 2017: Die Betreiberin Preussen Elektra beantragt auf der Grundlage des Atomausstiegs die erste von zwei Genehmigungen für die Stilllegung und den Abbau des Atomkraftwerks. 
  • 2018: Die Anti-Atomkraftorganisation "ausgestrahlt" zählt im gesamten Jahr 2018 acht Störfälle im AKW Grohnde. Damit steht das AKW bundesweit in diesem Jahr an zweiter Stelle, gemessen an der Anzahl der Störfälle. Die Störfälle seien jedoch von keiner oder geringer sicherheitstechnischer Bedeutung.

Blick auf das AKW in Grohnde. © dpa-Bildfunk Foto: Julian Stratenschulte
Im März 2021 findet die letzte Revision des Kernkraftwerkes statt. (Archivbild)

  • August 2018: Im nicht-nuklearen Teil des AKW verunglückt ein Mitarbeiter tödlich. Im Bereich der Hilfskesselanlage ist Wasserdampf ausgetreten. Dabei erlitt der Mitarbeiter so schwere Verletzungen, an denen er noch an der Unfallstelle stirbt.
  • Sommer 2019: Während der Hitzewellen in Europa besteht die Gefahr, dass das AKW Grohnde abgeschaltet werden muss. Der Grund: Die Weser ist als Kühlwasserlieferant stark aufgeheizt. Würde sie eine Temperatur von 26 Grad Celsius erreichen, müsste der Meiler abgeschaltet werden. Diese Prognose bestätigte sich jedoch nicht und die Temperatur der Weser bleibt bei knapp unter 25 Grad Celsius. Umweltaktivisten kritisieren jedoch, dass das AKW trotz der Hitzewelle und der dadurch angestiegenen Wassertemperatur nicht abgeschaltet wird.
  • Februar 2021: Das Kernkraftwerk erreicht eine Gesamtstromerzeugungsmenge von 400 Milliarden Kilowattstunden. Weltweit gibt es keinen weiteren Kraftwerksblock, der bislang mehr Strom erzeugt hat.
  • 19. März 2021: Das AKW wird am Abend für die letzte regelmäßige Revision heruntergefahren. In den kommenden Wochen werden zahlreiche Aggregate und Leitungen überprüft. Darüber hinaus wird der Reaktor geöffnet und mit neuen Brennelementen beladen. Die Revision kostet zwölf Millionen Euro.
  • April 2021: Die Öffentlichkeitsbeteiligung zum Rückbau des AKW beginnt. Bis Anfang Juli sollen sich Menschen informieren können, um gegebenenfalls Kritik gegen die einzelnen Maßnahmen vorbringen zu können.
  • 31. Dezember 2021: Das Atomkraftwerk Grohnde wird nach rund 36 Jahren abgeschaltet.
  • 6. Dezember 2023: Das niedersächsische Umweltministerium genehmigt den Rückbau des AKWs. Sechs Jahre hat das Genehmigungsverfahren gedauert.
  • 2. Februar 2024: Der Rückbau des AKW Grohnde soll beginnen. Rund 700.000 Tonnen Reststoffe fallen beim Abbau des Kernkraftwerks Grohnde an. Weniger als ein Prozent dieser Masse muss als radioaktiver Abfall entsorgt werden.

Rückbau des AKW wird wohl 15 Jahre dauern

Um mit dem Rückbau beginnen zu können, gab es in den vergangenen Jahren eine Reihe von vorbereitenden Maßnahmen. Unmittelbar neben dem Reaktorgebäude ist zum Beispiel eine neue Halle gebaut worden. Hier müssen alle demontierten Elemente wie Rohrleitungen und Armaturen freigemessen werden. Es werde geprüft, ob die verbleibende Radioaktivität gering genug ist, sagte Preussen-Elektra-Sprecherin Almut Zyweck. Herzstück des Kraftwerkes ist der Reaktordruckbehälter. Der radioaktiv strahlende 560 Tonnen schwere Stahlkoloss soll geflutet und unter Wasser zerlegt werden. Preussen Elektra rechnet damit, dass allein der anschließende nukleare Rückbau des Atomkraftwerks bis zum Jahr 2037 dauern wird. Dann sollen sich noch rund zwei Jahre für den konventionellen Abbruch der Gebäude anschließen. Für den Rückbau hat AKW-Betreiber Preussen Elektra eine Milliarde Euro zurückgelegt.


01.02.2024 15:13 Uhr

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels war von Störfällen im AKW Grohnde die Rede. Tatsächlich handelte es sich bei allen Vorfällen im Sinne des Atomgesetzes um sogenannte meldepflichtige Ereignisse. Wir haben die entsprechenden Passagen korrigiert.

 

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Hallo Niedersachsen | 02.02.2024 | 19:30 Uhr

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