Speiballen für die Forschung: Wieviel Dorsch frisst der Kormoran?
Der Dorschbestand in der westlichen Ostsee befindet sich auf einem historischen Tiefststand. Erstmals überhaupt untersuchen Wissenschaftler nun, ob dessen Population möglicherweise vom Kormoran nachhaltig beeinflusst wird.
An der deutsch-dänischen Studie beteiligen sich auch Rostocker Forscher. Dr. Uwe Krumme sitzt in seinem Büro im Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock. Der Fischereibiologe schaut sich auf seinem Computer Fotos an. Sie zeigen Rast- und Brutplätze der Kormorane hierzulande: "In Mecklenburg-Vorpommern nutzen wir den Beuchel. Das ist eine Kormoranbrutkolonie auf Rügen. Wir versuchen z.B. noch auf der Greifswalder Oie, das ist in der Pommerschen Bucht und in Ahrenshoop, um Kormorankolonien zu beproben." Überall dort gibt es zu gewissen Zeiten sehr viele Kormorane. Das nutzen die Wissenschaftler aus.
Vogelkundler sammeln Speiballen
Um herauszufinden, wieviel Dorsch Kormorane wirklich fressen, wollen die Wissenschaftler Speiballen auswerten. Erfahrungen zeigen, dass ein Kormoran im Schnitt alle ein bis zwei Tage solch einen Ballen erbricht. Ornithologen, also geschulte Vogelkundler, suchen kontinuierlich über das Jahr verteilt die Kolonien nach Speiballen ab. Los geht es im Februar nächsten Jahres: "Und wenn wir diese Speiballen analysieren, dann sehen wir all das, was vom Fisch übriggeblieben ist." Die erfahrenen Ornithologen beobachten auch die brütenden und rastenden Kormorane, sie dokumentieren ihre Beobachtungen, was sie unabhängig von den Speiballen noch an Fischresten finden, um möglichst viele Daten sammeln zu können. Denn viele Speiballen fallen auch mal ins Meer oder in eine Felsspalte und werden von den Wissenschaftlern nicht gefunden.
Studie hat mehrere Partner
Das Institut für Binnenfischerei in Sacrow bei Potsdam leitet die Untersuchung. Die Experten dort analysieren die Speiballen, trennen sämtliche Fischreste voneinander und legen sie in einzelne Schälchen. Mit Wissenschaftlern vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie in Leipzig wird das Erbrochene auch genetisch untersucht, um das komplette Artenspektrum in den Speiballen zu erfassen. Das Rostocker Team um Dr. Uwe Krumme kennt sich mit Meeresfischen aus. Im Thünen-Institut für Osteefischerei werden sämtliche Dorschreste aufwendig analysiert: "Alle Dorsch-Otolithen, die dann anfallen, werden wir hier bei uns im Institut einbetten, werden wir Dünnschnitte erzeugen und die fotografieren und dann können wir das Alter der Dorsche bestimmen."
Kormoran frisst bevorzugt junge Dorsche
Seit Jahren zeigt der Dorschbestand der westlichen Ostsee keine Anzeichen von Erholung, trotz strikter Fangbeschränkungen und Schutzmaßnahmen. Noch nie gab es so wenig Elterntiere, seit 2017 produzieren sie sehr wenig Nachwuchs. Allerdings wissen die Rostocker Wissenschaftler um Dr. Uwe Krumme, dass der Meeresfisch noch Nachwuchs produziert und Kormorane junge Dorsche bevorzugen, die maximal 30 cm lang sind: "Sie fressen auch mal einen 40 cm Dorsch. Das haben wir auch schon beweisen können, in dem wir auf dem Beuchel die Reste von zwei besenderten Dorschen in der Kolonie wiedergefunden haben." Dennoch bleibt die Frage bislang unbeantwortet, ob Kormorane mengenmäßig so viele Jungdorsche fressen, dass sie die Erholung des Westdorschbestandes nachhaltig beeinflussen. Die Studie will das ändern.
Dänemark macht mit
Auch in Schleswig-Holstein und Dänemark werden Speiballen gesammelt und ausgewertet. Denn Kormorane fliegen weit, immer auf der Suche nach ausreichend Futter. "Auch der Dorsch, der vor der deutschen Küste herumschwimmt, kann ein paar Tage oder Wochen später vor der dänischen Küste auftauchen. All diese Dorsche gehören zum Dorschbestand der westlichen Ostsee." Und so können länderübergreifend verschiedene Kormorankolonien beprobt werden.
Dorsche mit Mikrochip
Die Wissenschaftler arbeiten auch mit Fischern zusammen, die junge Dorsche fangen, um sie mit einem sehr kleinen Mikrochip auszustatten. Dieser Chip liegt in einer kleinen Kapseln, die in den Bauch der Dorsche injiziert wird. Danach werden die Tiere wieder freigelassen. Dr. Uwe Krumme geht davon aus, dass diese Projektphase im Herbst nächsten Jahres starten wird: "Wenn Kormorane diese Dorsche dann fressen und zurück in ihre Kolonie bringen, können wir mit einem Metalldetektor in der Kolonie herumlaufen und die Chips dort möglicherweise wiederfinden." Auch diese Daten fließen in die Studie mit ein.
Vier Jahre Forschung
Die Studie ist auf vier Jahre angesetzt. Schleswig-Holstein fördert das Projekt finanziell mit insgesamt 758.000 Euro. Dr. Uwe Krumme ist davon überzeugt, dass er und die anderen Forscher bis dahin erste aussagekräftige Daten sammeln können.