Schweizer Gericht macht Gläubigern der Nord Stream 2 AG Hoffnung

Stand: 09.01.2025 18:55 Uhr

Die allerletzte Gnadenfrist von Nord Stream 2 läuft im März ab. Das Kantonsgericht im schweizerischen Zug hat überraschend die Entscheidung über ein mögliches Konkursverfahren für die hoch verschuldete Betreibergesellschaft der Pipeline vertagt.

von Martina Rathke und Martin Möller

Bis März müssen zunächst alle Forderungen der Kleingläubiger beglichen werden, darunter sind auch Firmen aus Mecklenburg-Vorpommern. Da geht es meist um Beträge im vier- bis sechsstelligen Bereich. Wenn dies geschieht, hat der Sachwalter noch bis zum 9. Mai Zeit, einen Nachlassvertrag - eine Art Vergleich - mit den Großgläubigern auszuhandeln. Da geht es dann allerdings um Milliardensummen.

Werden die Kleingläubiger nicht abgefunden, wird das Kantonsgericht den Konkurs bereits im März eröffnen. In Deutschland entspricht das einem Insolvenzverfahren. Im Falle eines Konkurses würden Vermögenswerte versteigert, um die Gläubiger zu bedienen. Größter Vermögenswert ist die Pipeline, die von Russland nach Lubmin in Vorpommern führt. An den Gesamtbaukosten in Höhe von rund zehn Milliarden Euro beteiligten sich damals fünf westeuropäische Energiekonzerne mit der Hälfte der Baukosten. Sie sind auch die größten Gläubiger.

Pipeline kostete zehn Milliarden Euro

Mit Kriegsbeginn im Februar 2022 verlor die Nord Stream 2 AG ihre Geschäftsgrundlage. Die fast zehn Milliarden Euro teure Pipeline ging nie in Betrieb, sie ist seitdem eine Investitionsruine. Die Betreibergesellschaft, die Nord Stream 2 AG, ist überschuldet. Das noch laufende Nachlassverfahren ermöglicht dem Unternehmen grundsätzlich eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern. Das Kantonsgericht Zug ist zuständig, weil in der Schweiz die Betreibergesellschaft von Nord Stream 2 sitzt, die wiederum dem russischen Staatskonzern Gazprom gehört. 

Bereits am 20. Dezember 2024 waren Gläubiger und Vertreter der Nord Stream 2 AG am Zuger Kantonsgericht erschienen. Damals waren auch überraschend viele Kleinanleger angereist, die teilweise ihre dramatische Situation schilderten. Manchen Unternehmen droht demnach selbst der Konkurs, wenn die Nord Stream 2 AG nicht die fälligen Rechnungen begleicht. Dabei geht es von Rechnungen für Büroeinrichtungen, über technischen Anlagenbau bis hin zu Dienstleistungen für die Umwelt- und Baudokumentation. Aber erst wenn alle Gläubiger den ausgehandelten Nachlassvertrag unterschreiben, kann Geld fließen, erklärte der Richter.

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Wie geht es weiter mit den Röhren?

Der 1.200 Kilometer lange Doppelstrang der Nord Stream 2 ist der große Vermögenswert der Gesellschaft. Die Pipeline, die 55 Milliarden Kubikmeter russisches Erdgas pro Jahr zum deutschen Anlandepunkt Lubmin transportieren sollte, ist geopolitisches Streitobjekt geblieben. Deutschland hatte kurz vor der Invasion Russlands in der Ukraine die laufende Zertifizierung ausgesetzt.

Der russische Gasriese Gazprom war - und ist noch immer - Gesellschafter der Nord Stream 2 AG. Fünf große westeuropäische Energiekonzerne hatten aber seinerzeit die Hälfte der Gesamtbaukosten in Höhe von 9,5 Milliarden Euro anteilig übernommen: OMV, Uniper, Wintershall Dea, Shell und Engie. Sie haben die Ausgaben in ihren Büchern von jeweils etwa einer Milliarde Euro abgeschrieben. Sie sind die Großgläubiger.

Konkursverfahren könnte vermieden werden

Unter dem vom Gericht eingesetzten Sachwalter Transliq unterbreitete die Nord Stream 2 AG den Gläubigern einen Vergleichsvertrag zur Abstimmung. "Wir haben den Bericht des Sachwalters der Nord Stream AG, Transliq, zum Stand dieser Abstimmung zur Kenntnis genommen", heißt es auf NDR Anfrage gleichlautend von Uniper und Wintershall Dea. Der Ausgang des Verfahrens hänge jetzt von der endgültigen Entscheidung des zuständigen Insolvenzgerichts ab.

Stimmt das Gericht dem Vergleichsvertrag zu, dessen Inhalt derzeit öffentlich nicht bekannt ist, kann ein Konkursverfahren vermieden werden. Eine Richtungsentscheidung also, ob, wie und durch wen die Pipeline künftig genutzt werden kann. Denkbar ist auch, den jetzigen Status quo mit einer zerstörten und ungenutzten Leitung so lange zu halten, bis sich die geopolitischen Spannungen in Europa abgebaut haben. Politisch derzeit absolut unvorstellbar, wäre dieses Szenario wirtschaftlich durchaus attraktiv, weil russisches Pipeline-Gas im Vergleich zu LNG aus Übersee und Erdgas aus Norwegen günstig ist.

Reparatur technisch möglich aber politisch undenkbar

Gazprom selbst glaubt weiter an eine Zukunft der Leitung, wenn sich die geopolitische Lage entschärft. Laut Schweizer Zeitung "Zentralplus" hat das Unternehmen bereits 633 Millionen Euro für Reparaturen eingeplant. Gazprom rechne mit einer 50-jährigen Betriebsdauer der Leitung, angefangen 2030. Aber das geht nur mit einer gültigen Zertifizierung und da haben auch die Ostseeanrainer ein Wort mitzureden, weil Nord Stream 2 durch mehrere Außenwirtschaftszonen verläuft. In Skandinavien, dem Baltikum und Polen ist der Wille, in naher Zukunft energiepolitisch wieder mit Russland zu kooperieren, nahezu null.

Unabhängig von den politischen Hürden, technisch möglich wäre eine Reparatur der beschädigten drei Stränge. Dazu bräuchte es Spezialschiffe und hochspezialisiertes Fachpersonal. Das müsste die durch die Explosionen strukturell geschädigten Abschnitte abtrennen. Neue Rohrsegmente müssten eingefügt und der aufgewühlte Meeresboden wieder planiert werden, so ein Experte gegenüber dem NDR, der anonym bleiben möchte.

Kosten einer Reparatur kaum zu kalkulieren

Den Zeitaufwand pro Reparaturstelle schätzt der anonyme Experte auf drei bis fünf Monate. Knackpunkte könnten seiner Einschätzung nach die sogenannten Omega-Loops werden. Das sind Rohrschleifen an den Reparaturstellen, die Spannungen in den Rohren ausgleichen. Reichen diese außerhalb des ursprünglich genehmigten Pipeline-Korridors, könnte ein ganz neues Genehmigungsverfahren notwendig werden. Auch deshalb sind die Kosten einer Reparatur oder eines Umbaus kaum zu kalkulieren. Die Schätzungen reichen von mehreren Hundert Millionen Euro bis über eine Milliarde Euro.

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Russisches Gas oder finnischer Wasserstoff?

Denkbar wäre allerdings auch noch ein anderes Szenario: Die Leitung könnte für den Wasserstofftransport umgerüstet werden und das Pipeline-Rückgrat eines Wasserstoffnetzes durch die Ostsee bilden. Das würde in Südwestfinnland beginnen und über die Ålandinseln, an Gotland und Bornholm vorbei bis nach Vorpommern führen. Die EU schätzt den Bedarf für klimaneutralen Wasserstoff im Jahre 2050 auf bis zu 2.000 Terawattstunden.

Eine Studie der Zertifizierungsgesellschaft DNV (Det Norske Veritas) sieht besonders großes Wasserstoff-Potenzial bei den Offshore-Windparks in der Ostsee und in Finnland. Durch den hohen Anteil an erneuerbarem Strom sind die Produktionskosten in dem skandinavischen Land besonders niedrig. Aber noch immer fehlt ein tragfähiges Geschäftsmodell für den großflächigen Einsatz von Wasserstoff in der Industrie. Hinzu kommt: Auch eine Wasserstoffpipeline wäre anfällig für Sabotageakte.

Versteigerung weiter möglich

Wie das juristische Tauziehen letztendlich ausgeht, ist unsicher. Noch ist eine Versteigerung der Leitung nicht vom Tisch. So oder so: Die 200.000 verschweißten Röhren aus Spezialstahl werden wohl noch lange Zeit ungenutzt auf dem Grund der Ostsee liegen, jedenfalls solange Russland seinen Eroberungskrieg in der Ukraine weiterführt. Der Gasmarkt-Experte Heiko Lohmann vom Portal Energate glaubt nicht, dass die Nord-Stream-2-Pipeline jemals wieder russisches Gas nach Lubmin liefern wird. Seiner Ansicht nach reichen die Kapazitäten der vorhandenen Landleitungen aus. Die Ukraine und Polen würden alles tun, um zu verhindern, dass russisches Gas nach Mitteleuropa strömt, ohne dass sie davon profitieren.

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NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 09.01.2025 | 17:00 Uhr

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