Ostsee-Gasterminal: Brandbrief der Insel-Bürgermeister
In der Ostsee vor Sellin auf Rügen hat eine große Arbeitsplattform die Anker gesetzt. Das schürt die Sorge auf der Insel, dass allen Protesten zum Trotz schon bald mit der Errichtung eines weiteren Importterminals für Flüssigerdgas beginnt. Die Empörung ist groß.
Der unangekündigte Start von Vorarbeiten für den geplanten Bau eines weiteren Terminals für Flüssigerdgas (LNG) vor Rügen hat auf der Insel für Entrüstung gesorgt. In einem von elf Bürgermeistern unterzeichneten Offenen Brief an Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) wird die Regierungschefin zum Handeln aufgefordert. "Rügen muss endgültig von der LNG-Agenda der Landes- und Bundesregierung gestrichen werden! Verhindern Sie mit aller Kraft, dass unsere einzigartige Natur, unser Wohlstand und unser friedliches Miteinander irreparabel zerstört werden", heißt es in dem Schreiben.
Darin bekennen sich die Kommunalpolitiker zur Verantwortung des Landes Mecklenburg-Vorpommern für eine sichere Energieversorgung Deutschlands. Doch dürfe dies nicht um jeden Preis und die Preisgabe demokratischer Grundfesten erfolgen, heißt es in dem von elf Bürgermeistern unterzeichneten Brief. Darin beklagen sie zudem "das intransparente und zögerliche Verhalten in Schwerin und Berlin".
Vorarbeiten ungeachtet von Protesten
Obwohl Schwesig gerade dem Terminalstandort direkt vor Rügens Küste öffentlich widersprochen habe, sei nun "mit schwerem Gerät klammheimlich" mit Vorarbeiten begonnen worden. Ungeachtet von Protesten aus der Bevölkerung und Ablehnung durch die Landesregierung waren am Wochenende erste Arbeiten für den Bau eines Terminals mit zwei Anlegern angelaufen. Wie ein Sprecher des Energiekonzerns RWE (Essen) mitteilte, handelt es sich dabei "lediglich um Erkundungsarbeiten". Diese seien vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Ostsee genehmigt worden.
Meyer: Suche nach alternativen Möglichkeiten
"Der Vorgang ist wirklich besorgniserregend. Noch am Freitag wurde uns von Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) versichert, dass der bisher geplante Standort keine Rolle mehr spiele und nach Alternativen gesucht werde. Und dann rückt am Tag darauf, völlig ohne Vorankündigung, eine Arbeitsplattform an", sagte der Bürgermeister des Ostseebades Binz, Karsten Schneider. Meyer bezeichnete die aktuelle Situation als "schmerzhaften Spagat". Auf der einen Seite müsse ein rechtsstaatliches Genehmigungsverfahren gewährleistet werden, bei dem es Anträge, Stellungnahmen und Fristen gebe. "Auf der anderen Seite hat sich die Landesregierung klar positioniert. An diesem Platz - fünf Kilometer vor Sellin - soll kein Terminal entstehen. Wir reden deshalb mit dem Auftraggeber des Vorhabens - dem Bund - weiter und suchen nach alternativen Möglichkeiten", sagte Meyer.
Bürgermeister befürchten Demokratieverdruss
Nach den Worten Schneiders entsteht in großen Teilen der Bevölkerung Verdruss. "Da muss man sich nicht wundern, wenn das Vertrauen in die Demokratie schwindet", sagte der parteilose Kommunalpolitiker. Bereits im Februar hatte er mit zahlreichen Amtskollegen in einer Erklärung die Pläne zum Bau des Importterminals in Sichtweite der Badestrände abgelehnt. "Wir, die Bürgermeister, werden mit aller Entschiedenheit und den uns zur Verfügung stehenden Mitteln gegen das Projekt an Rügens Küste vorgehen", hieß es darin. Befürchtet werden starke Beeinträchtigungen des Tourismus, dem wichtigsten Wirtschaftsfaktor Rügens. Den Bedenken hatte sich auch Schwesig angeschlossen und vom Bund Alternativen zum bisherigen Standort gefordert.
Mukran oder Rostock als mögliche Alternativen
Mit einem gemeinsamen Antrag im Landtag wollen SPD, Linke, Grüne und FDP eine erneute Prüfung des vor Rügen geplanten Flüssigerdgas-Terminals erreichen. Als potenzielle Alternativstandorte sehen die Fraktionen die Häfen Mukran und Rostock. Der CDU-Fraktion geht der gemeinsame Antrag nicht weit genug. Mit einem eigenen Antrag wolle die Union erreichen, dass das laufende Genehmigungsverfahren gestoppt wird. Den Angaben zufolge liegt die Verantwortung hierfür beim Staatlichen Amt für Landwirtschaft und Umwelt Vorpommern und dem Bergamt Stralsund.
Linke: Bundesregierung in der Pflicht
Daniel Seiffert von der Linksfraktion sieht die Bundesregierung in der Pflicht. "Der Bund muss unverzüglich das offenbar nicht angekündigte Vorgehen von RWE und der vom Konzern beauftragten Unternehmen stoppen. Schließlich handelt RWE im Auftrag des Bundes", erklärte Seiffert. Zudem solle das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Ostsee als Teil der Bundes-Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung angewiesen werden, weitere Genehmigungen und Verfahren ruhen zu lassen. "Solange alternative Standortuntersuchungen laufen und der Bund nicht zweifelsfrei belegt, dass überhaupt weitere LNG-Kapazitäten gebraucht werden, müssen jegliche Arbeiten eingestellt werden", forderte der Linke-Politiker.
Genehmigungsverfahren läuft
Die Deutsche Umwelthilfe hatte nach eigenen Angaben unverzüglich auf die Aktivitäten vor Rügen reagiert und noch am Samstag beim Bergamt Stralsund Widerspruch gegen die Erkundungsarbeiten eingelegt. Dieses hat nach eigenen Angaben in dem Falle aber keine Genehmigung erteilt, sei somit die falsche Adresse für den Widerspruch, hieß es. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums läuft derzeit das Genehmigungsverfahren für die Verlegung einer Rohrleitung vom geplanten Terminal-Standort nach Lubmin bei Greifswald. Dazu eingereichte Stellungnahmen und Einwendungen würden gegenwärtig bewertet.