Landessportbund MV empfiehlt Suspendierung von Jugendtrainer

Stand: 30.11.2023 20:55 Uhr

Ronald R. fotografierte und filmte bei einer kirchlichen Jugendfreizeit 2020 in Zinnowitz. Dabei soll er sexualisierte Aufnahmen von Jugendlichen gemacht haben, unter anderem im Duschraum. Die Nordkirche hat ihm im Mai 2021 die ehrenamtliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen untersagt. Als Kinder- und Jugendtrainer ist er im Roll- und Eissportverein Insel Usedom nach wie vor aktiv.

von Claudia Arlt

Kerstin Mai ist beim Landessportbund Mecklenburg-Vorpommern für Jugend, Bildung und für Prävention verantwortlich. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen hat sie dem Roll- und Eissportverein Insel Usedom nahegelegt, Ronald R. von der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zu suspendieren. Sie hat dem Verein sowie dem übergeordneten Landeseissportverband Mecklenburg-Vorpommern auch Beratung angeboten. Es geht um Ronald R. Er ist der Vorsitzende des Usedomer Vereins und trainiert dort Kinder und Jugendliche. Beim Landeseissportverband Mecklenburg-Vorpommern bekleidet er laut Internetseite zwei Funktionen: Vizepräsident und Jugendwart.

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Nordkirche arbeitet Vorfälle auf

Die Nähe zu jungen Menschen sieht Kerstin Mai kritisch. Aus den Medien hat sie im September erfahren, dass Ronald R. sexualisierte Fotos und Videos bei einer Jugendfreizeit in Zinnowitz 2020 gemacht und diese an rund 20 Teilnehmende verteilt haben soll. Gemeinsam mit einem weiteren Mitarbeiter der Kirche betreut der damals Mitte 50-Jährige Jugendfreizeiten bereits seit Jahren. Weil Medien über Aufnahmen von nackten Jugendlichen in der Dusche und sexualisierte Fotocollagen berichten, entscheidet sich die Nordkirche, die Geschehnisse rund um Zinnowitz 2020 aufzuarbeiten. Sie reicht auch eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Stralsund ein, die sich auf die Foto-CD bezieht. Die Aufnahmen von Ronald R. sind nun bereits drei Jahre alt. Auch 2020 sind sie kirchenintern ein Thema, ebenso WhatsApp-Chats, die er als Trainer beim Roll- und Eissportverein Insel Usedom mit Konfirmandinnen, also minderjährigen Mädchen, geführt haben soll.

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Mädchen fühlen sich überfordert und gegebenenfalls belästigt

Die Präventionsstelle der Nordkirche prüft. In seiner Falldokumentation vom 12. November 2020, die dem NDR vorliegt, vermutet der Meldebeauftragte die "Ausübung sexueller Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen" und empfiehlt unter anderem "Entscheidungen im Blick auf Einbeziehung der Ermittlungsbehörde". Einen Tag später, am 13. November 2020, hat der Meldebeauftrage die Falldokumentation umgeschrieben. Er könne "keine eindeutigen Hinweise bzw. gewichtigen Anhaltspunkte auf eine Sexualisierung der Kontakte bzw. eine Kindeswohlgefährdung" finden. Es bestehe keine Notwendigkeit, Strafverfolgungsbehörden einzuschalten. Er sieht "grenzverletzendes Verhalten". In den Chats fühlten sich die Mädchen "überfordert und ggf. belästigt". Wie es zu diesen unterschiedlichen Einschätzungen in so kurzer Zeit kommen kann, erklärt die Nordkirche so: Es sei nicht unüblich, bei einer Ersteinschätzung zunächst von einem Worst-Case-Szenario auszugehen. Dass nach Sichtung von Materialien, Gesprächen, Befragungen und Beratungen eine solche Ersteinschätzung revidiert wird, sei nicht ungewöhnlich.

Eindeutig übergriffiges Verhalten

Seit Mitte September befasst sich die Nordkirche erneut mit ihren beiden Angestellten Ronald R. und einem weiteren Betreuer. Und sie bezieht den Landessportbund und deren Präventionsbeauftragte Kerstin Mai ein. Sie hat sich ein Bild machen können und ist der Meinung, dass "es sich hier nicht mehr um eine Grenzverletzung handelt, sondern um eindeutig übergriffiges Verhalten. Und eine Person, die Fotos von nackten minderjährigen Schutzbefohlenen macht und diese in Umlauf bringt, ist in unserem Ermessen nicht in der Lage, mit Kindern und Jugendlichen umzugehen." Doch sowohl der Landeseissportverband als auch der Usedomer Roll- und Eissportverein sehen das anders. Beide würden sich hinter Ronald R. stellen, weil es keine strafrechtliche Relevanz gebe, erklärt Kerstin Mai.

Staatsanwaltschaft: Aufnahmen mit Einverständnis

In der Tat hat die Staatsanwaltschaft Stralsund nach Prüfung der Foto-CD keine Ermittlungen aufgenommen. Nach Angaben eines Sprechers muss davon ausgegangen werden, dass alle Betroffenen mit den Aufnahmen einverstanden sind. Es habe sich jedenfalls niemand darüber beschwert. Auch dass diese Aufnahmen verbreitet worden sind, habe niemand beklagt.

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Das betont auch der Roll- und Eissportverein Usedom, der über eine Frankfurter Anwaltskanzlei Fragen des NDR beantwortet. "Es gab nach Kenntnisstand unseres Mandanten zu keinem Zeitpunkt eine Beschwerde eines Teilnehmers der fraglichen Freizeit und sämtliche Aufnahmen, die dort gefertigt wurden, sind mit dem absoluten Einverständnis der Jugendlichen und deren Eltern getätigt worden." Die Eltern der beim Verein trainierenden Kinder und Jugendlichen hätten sich ausdrücklich hinter den Vorsitzenden gestellt. "Die Eltern waren eher besorgt was passiert, wenn Herr R. kein Trainer mehr wäre, dass dies unvorstellbar sei und für ihre Kinder eine Welt zusammenbrechen würde." Was die WhatsApp-Chats betrifft, die seien immer von den Jugendlichen ausgegangen, schreibt das Anwaltsbüro. "Der Trainer hat darauf reagiert, wie es sich für einen verantwortungsbewussten Erwachsenen gehört, er hat die entsprechenden Ängste ernst genommen und den Jugendlichen Mut zugesprochen."

Der Meldebeauftragte der Präventionsstelle der Nordkirche hat dazu im Herbst 2020 ein anderes Fazit gezogen. "Zwischen Ronald R. und den Mädchen besteht ein 'Machtungleichgewicht', dass durch Ronald R. zur Befriedigung eigener Bedürfnisse ausgenutzt wird." Im Mai 2021 hat sie Ronald R. "von allen Tätigkeiten in der kirchlichen Arbeit mit jungen Menschen suspendiert." 

Kinder und Jugendliche sollen übergriffiges Verhalten melden

Für Kerstin Mai vom Landessportbund spielt es keine Rolle, dass die Staatsanwaltschaft nicht ermittelt. "Es sind eindeutig die Werte und die Grundsätze des Landessportbunds verletzt. Und es wurde auch gegen den Ehrenkodex verstoßen, den jeder Trainer unterschreiben muss." Mai ist nicht überrascht, dass sich Eltern auf die Seite von Ronald R. stellen. "Das ist leider kein Einzelfall. Und es gibt leider auch so eine gewisse schweigende Masse, die ihrerseits dann ein gewisses Einverständnis mit dieser Situation signalisiert." Mai spricht von einem bundesweit zu beobachtenden Phänomen.

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Ihr liegt am Herzen, dass Kinder, Jugendliche und ihre Eltern im Umgang mit sexuellen Übergriffen sensibilisiert werden. Was ist eine Grenzverletzung? Was ist strafrechtlich relevant? "Wir haben auch ein Plakat entwickelt, da sind drei Affen drauf zu sehen, die kennt man ja, nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Und wir fordern mit diesem Plakat Kinder und Jugendliche aktiv auf, auch hinzusehen, hinzuhören und sich auch einzumischen und etwas zu sagen und übergriffiges Verhalten oder auch nur verdächtiges Verhalten an bestimmte externe Anlaufstellen oder auch an Vertrauenspersonen im Verein zu melden."

Staatsanwaltschaft prüft weitere Fotos und Berichte

Die Nordkirche hat der Staatsanwaltschaft im Oktober weitere Fotos zur Verfügung gestellt, die nicht auf der CD enthalten waren, und Berichte von Betroffenen, die über die Geschehnisse im Jugendcamp 2020 hinausgehen. Die Staatsanwaltschaft prüft dies aktuell. Sprecher Martin Cloppenburg: "Also Tatbestände, die man da in Betracht ziehen kann, sind einmal die der sexuellen Belästigung. Zum Teil kommt auch wohl sexueller Missbrauch von Kindern jedenfalls erst mal theoretisch in Betracht. Dabei ist insbesondere auffällig, dass die Geschädigten und Verletzten bisher namentlich nicht benannt sind und sich auch nicht an uns gewandt haben bisher." Hier wolle die Staatsanwaltschaft nachfragen.

Der Landessportbund will die Sache nicht auf sich beruhen lassen. "Wir werden da weiter am Ball bleiben", sagt Kerstin Mai.

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Nordmagazin | 20.11.2023 | 19:30 Uhr

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