Ein Hecht im Müritzeum in Waren. © Müritzeum gGmbH Foto: Hans-Dieter Graf
Ein Hecht im Müritzeum in Waren. © Müritzeum gGmbH Foto: Hans-Dieter Graf
Ein Hecht im Müritzeum in Waren. © Müritzeum gGmbH Foto: Hans-Dieter Graf
AUDIO: Neue Maßnahmen sollen Boddenhechten rund um Rügen helfen (3 Min)

Land führt neue Schongebiete für Hechte rund um Rügen ein

Stand: 01.11.2024 11:50 Uhr

In den vergangenen viereinhalb Jahren haben verschiedene Interessengruppen im Rahmen des sogenannten Boddenhecht-Projektes Maßnahmen erarbeitet. Diese sollen den Hechten helfen, sich zu erholen. Nun setzt das Land erste Maßnahmen an den Küsten Rügens um.

von Ramon Gerwien

Seit dem ersten November gelten die Udarser Wiek, der Koselower See und die Neuendorfer Wiek (Landkreis Vorpommern-Rügen) erstmals offiziell als Winterlager. Neben diesen sind seit Jahren weitere Gewässer als Schongebiete für den Hecht ausgezeichnet. Dazu zählen die Häfen Stralsund und Wolgast, die Lanckener Bek, die untere Ryck und die untere Uecker. "In all diese Gebiete ziehen sich die Hechte zur Winterruhe zurück", sagt Thomas Richter, Leiter der Abteilung Fischerei und Fischwirtschaft beim Landesamt für Lebensmittelsicherheit, Landwirtschaft und Fischerei (LALLF). In den Wintermonaten würden sich dort also große Mengen Hecht ansammeln.

Neue Winterlager sollen Boddenhechte schonen

Nicht nur deshalb kommen viele Küstenfischer vermehrt in die Bodden. Denn weiter draußen dürfen sie Dorsche nur als Beifang mitnehmen. Auch für Heringe bleiben die Fangbeschränkungen streng, wie die erst im Oktober veröffentlichten Fangquoten der EU zeigen. "Weil die einstigen Brotfische fehlen, gab es einen regelrechten Krieg auf die Boddenhechte vor allem in der Udarser und Neuendorfer Wiek. Die Fischer haben dort so intensiv gefischt, dass es nicht nachhaltig für den Hecht war", sagt Robert Arlinghaus, Fischereiökologe am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei und der Humboldtuniversität zu Berlin. Die Berufsfischerei sieht er als einen Grund dafür, dass die Hechtbestände stark zurückgegangen sind. Seit den 1990ern habe sich die Anlandung von Hechten halbiert.

Berufsfischer sind gespalten über die neuen Verbote

Im Jahr 2010 hat Henry Diedrich aus Ummanz den kleinen Fischereibetrieb seines Vaters übernommen. Vor allem die Udarser Wiek ist ein Gebiet, das dem Boddenfischer nun fehlt: "Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Eines für die Fischerei, von der ich jetzt leben möchte und eines dafür, dass ich auch in den nächsten 20 Jahren Fischer sein will. Dafür muss der Hecht natürlich geschont werden." Deshalb hat er sich auch in den vergangenen viereinhalb Jahren am Boddenhecht-Projekt beteiligt. Mit dabei waren auch der Landesanglerverband, Naturschutz, Tourismus, Organisatoren von Angelausflügen sowie der Fischgroßhandel und Wissenschaftler. Für Henry Diedrich war klar, dass er die Perspektive des Berufsfischers mit einbringen wollte. "Ich wünsche mir, dass sich mehr meiner Kollegen an solchen Projekten beteiligen. Hinterher meckern ist zu einfach."

Forderung: Mehr Forschung zum Boddenhecht

Das sagt der 49-Jährige, obwohl eines der neuen Winterlager vor seiner Haustür liegt. "Henry Diedrich ist einer der Fischer, die es besonders hart trifft, obwohl er und sein Vater die Udarser Wiek in den letzten Jahren sogar geschont haben. Generell können die neuen Winterlager den Fischern aber auf lange Sicht helfen," sagt Robert Arlinghaus. Beide sind sich aber einig: Es braucht mehr Forschung zum Boddenhecht, damit Maßnahmen noch gezielter helfen können.

Immer mehr Freizeitangler haben dem Hecht zugesetzt

Neben der Berufsfischerei sieht Thomas Richter vom LALLF auch in den Freizeitanglern einen Grund dafür, dass es immer weniger Hechte gibt. Er deutet auf eine Grafik. Sie zeigt, dass die Anzahl der Angler seit den 1990ern förmlich explodiert ist. Von rund 35.000 stieg die Anzahl von Küstenangelkarten zwischenzeitlich auf 130.000. "Hinzu kommt, dass 2005 der Touristenfischereischein eingeführt wurde. Das haben bis zu 20.000 Angler außerhalb des Landes genutzt. Mittlerweile dürfen Angler auch Boote mit stärkeren Motoren nutzen. Damit können sie auch größere Flächen befischen", so Thomas Richter. Ein weiterer Aspekt: Der Einsatz von immer mehr sogenannten Bellybooten, einer Art Schwimmring mit Sitz. Sie erleichtern es Anglern, vor allem in den Bodden auf Jagd nach Hechten zu gehen.

Bisherige Fangbegrenzungen reichen nicht aus

Doch in der Udarser Wiek dürfen Angler schon seit Jahren nicht mehr fischen. Das Gebiet ist ein Nationalpark mit strengen Auflagen. In der Neuendorfer Wiek dürfen sie von nun an nur noch bestimmte Fanggeräte und Köder verwenden. Das sind vor allem die, mit denen sie sonst Hechte gefangen haben. "Außerdem haben wir in allen anderen Winterlagern strengere Fangbegrenzungen eingeführt. Freizeitangler dürfen nur noch einen Hecht pro Tag statt wie bisher drei mitnehmen", ergänzt Thomas Richter. Auch diese Maßnahme war ein Ergebnis des Boddenhecht-Projektes.

Drohnen helfen der Fischereiaufsicht die Winterlager zu kontrollieren

Es sei wichtig, dass die Maßnahmen auch umgesetzt werden, so Thomas Richter. Dazu müsse das LALLF auch kontrollieren, dass Fischer und Angler sie auch einhalten. Deshalb will die Fischereibehörde bald Drohnen nutzen, um die großen Schongebiete kontrollieren zu können. Dafür machen die Fischereiaufseher derzeit eine Ausbildung zum Drohnenpiloten. Bis dahin kontrollieren sie die Gebiete noch zu Fuß oder vom Boot aus. "In der Anfangszeit wollen wir Fischer und Angler über die aktuellen Regelungen in den neuen Winterlagern aufklären. Da sprechen wir nur Verwarnungen aus, später sicherlich auch Geldstrafen," sagt Thomas Richter.

Schlechte Umweltbedingungen belasten die Hechte

Weder Thomas Richter vom LALLF noch Fischereiökologe Robert Arlinghaus geben den Berufsfischern und Freizeitanglern die alleinige Schuld daran, dass es dem Hecht schlecht geht. Es sei vielmehr ein Bündel ganz unterschiedlicher Einflüsse auf den Hecht. Auch Klimawandel und Überdüngung der Ostsee spielen eine Rolle. Dadurch können zum Beispiel Wasserpflanzen schlechter wachsen. Die brauchen die Hechte aber, um ihren Laich daran zu heften. Viele Hechte wandern zum Laichen auch die Flüsse und Gräben hinauf. Doch alte Klappen versperren ihnen oft den Weg, so Robert Arlinghaus: "Diese Klappen müssen wir entfernen oder umbauen. Auch Hechtlaichwiesen an der Küste müssen wir in einen naturnahen Zustand zurückbringen." Diese Maßnahmen zählen zu den längerfristigen innerhalb des Boddenprojektes. Denn solche Prozesse brauchen Zeit. Schnellere Erfolge erhofft sich der Wissenschaftler davon, den Fischereidruck zu senken.

Robben und Kormorane räubern Boddenhechte

Weitere Empfehlungen betreffen zum Beispiel die Kormorane. "Eine Halbierung der Kormoranpopulation würde den Hechtbestand um 30 Prozent steigern. Doch die Tiere stehen unter dem Vogelschutz. Das ist also keine Maßnahme, die aus Sicht einiger Interessengruppen denkbar wäre", so Robert Arlinghaus. Ähnlich sieht es bei den Kegelrobben aus, auch sie fressen Hechte. Die Meeressäuger jedoch gezielt zu vertreiben oder gar zu bejagen, fand im Projekt ebenfalls keinen Konsens. Eine Maßnahme umfasst aber, dass Fischer entschädigt werden sollen, wenn Robben ihre Netze zerstören.

Neue Küstenfischereiverordnung

Diese und viele weitere Maßnahmen des Boddenhecht-Projektes will das Umweltministerium Mecklenburg-Vorpommern in einer neuen Küstenfischereiverordnung berücksichtigen, die es derzeit erarbeitet. Mit der neuen Ordnung ist jedoch nicht vor dem ersten Januar 2026 zu rechnen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 01.11.2024 | 12:00 Uhr

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Landkreis Vorpommern-Rügen

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