Migration: "Merkel gegen Merz" auch im Landtag in MV
Der Migrations-Antrag der Union im Bundestag und die Zustimmung durch die AfD haben den Landtag Mecklenburg-Vorpommerns beschäftigt. Ministerpräsidentin Schwesig kritisierte das Vorgehen von CDU-Chef Merz scharf. Auch Altkanzlerin Merkel spielte eine Rolle.
Um 10.09 Uhr trat Manuela Schwesig ans Pult - überraschend, nur die eigenen Leute waren eingeweiht. Mit steinerner Miene redete sie etwas mehr als fünf Minuten über die Vorgänge am Mittwoch in Berlin. Am Ende gab es minutenlangen Applaus, ihre Koalitionsfraktionen von SPD und Linke waren fast vollständig versammelt, erhoben sich. Auch von der Regierungsbank klatschte Agrarminister Till Backhaus (SPD) ins Plenum, obwohl das die Geschäftsordnung eigentlich nicht zulässt. Es sind außergewöhnliche Tage - auch im politischen Schwerin.
Schwesig attackiert Merz
Schwesig sagte, es könne nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen werden. Wie andere Spitzensozialdemokraten überall im Land sagte auch sie, zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik habe es am Mittwoch eine Mehrheit im Deutschen Bundestag mit einer zumindest in Teilen gesichert rechtsextremen Partei gegeben. Schwesig meinte die AfD. "Es war ein schwarzer Tag für unsere Demokratie", befand die Regierungschefin und attackierte dann den Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz.
In der Mitte "Mehrheiten ausloten"
Der habe persönlich versprochen, "nur Anträge einzubringen, wo klar ist, dass es eine Mehrheit aus der demokratischen Mitte gibt und wo man nicht für eine Mehrheit die Stimmen der AfD braucht". Dieses Wort habe Merz im Bundestag mit Ansage bewusst gebrochen. Schwesig legte nach: "Es ist ein schwerer Tabubruch und ein schwerer Schaden für unsere Demokratie." Sie appellierte an Merz, es dürfe keine Mehrheiten jenseits der demokratischen Mitte geben. "Wir müssen immer schwere Entscheidung fällen. Wir müssen in der Lage sein, in der demokratischen Mitte Mehrheiten auszuloten."
Zwischenrufe und Auszeit
Es hagelte Zwischenrufe aus den Fraktionen von AfD und CDU, die Union füllte schnell ihre bis dahin eher lückenhaften Abgeordnetenreihen auf. Um Landtagspräsidentin Birgit Hesse (SPD) bildete sich eine Traube der Fraktionsgeschäftsführer. Die AfD wollte über Schwesigs Aussagen debattieren lassen. Nach einer fast einstündigen Auszeit startete die Debatte mit dem AfD-Vizefraktionschef Enrico Schult. Der sagte, der Mittwoch sei ein Segen für die Demokratie gewesen, der in Erinnerung bleiben werde. "Sie werden es nicht mehr aufhalten. Es hat sich etwas Bahn gebrochen und wir werden noch ganz andere Dinge erleben in den nächsten Wochen."
Barlen hört Drohung heraus
Auch wenn Schult nicht sagte, was er damit meinte, SPD-Fraktionschef Julian Barlen hörte aus den Worten Schults eine Art Drohung heraus. Barlen erinnerte an die offenen rechtsextremen Ausfälle der AfD, beispielsweise als Fraktionschef Nikolaus Kramer mit dem österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner offen über einen Umsturz - "einen Regimechange von rechts" - fabulierte. Sozialdemokrat Barlen berief sich dann ausgerechnet auf Altkanzlerin Angela Merkel von der CDU. Die hatte erst kurz zuvor über ihr Büro in Berlin eine persönliche Erklärung zu den Vorgängen im Bundestag veröffentlicht.
Merkel distanziert sich von Merz
Merkel distanzierte sich darin klar von ihrem Parteifreund Merz, erinnerte an dessen Zusage, sich nicht auf Stimmen der rechtsextremen AfD zu verlassen. Das sei Ausdruck großer staatspolitischer Verantwortung gewesen, schrieb Merkel in der Erklärung. Und im Landtag in Schwerin zitierte Barlen vom Pult aus die Kernaussage der Altkanzlerin: "Für falsch halte ich es, sich nicht mehr an diesen Vorschlag gebunden zu fühlen und dadurch am 29. Januar 2025 sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen." Barlen meinte vor den betreten dreinblickenden Unionsabgeordneten, die Altkanzlerin habe sicher nicht nur ihm aus der Seele gesprochen.
CDU-Fraktionschef vermisst Aussage zu Aschaffenburg
CDU-Fraktionschef Daniel Peters blendete Merkels Anti-Merz Hinweise aus und schaltete auf Gegenangriff. Schwesig habe nichts über die Taten von Solingen, Magdeburg oder Aschaffenburg gesagt. "Kein Wort zu den Opfern, schämen sie sich", giftete Peters Richtung Regierungsbank. Die Regierungschefin habe auch inhaltlich kein Wort über die Vorschläge der Union für eine Begrenzung der Migration verloren.
Peters über Schwesig: "Ich muss feststellen, dass sie ihr Amt und das Parlament für eine billige Wahlkampfrede missbraucht hat." Der CDU-Fraktionschef beteuerte, es gebe keine Zusammenarbeit mit der AfD. Die SPD aber hetze gegen seine Partei in einer "Scheindebatte". "Wir lassen uns weder von der SPD noch den Grünen und schon gar nicht von der Linken verbieten, inhaltliche Anträge zu stellen."
FDP: SPD lenkt ab
FDP-Fraktionschef René Domke sprang seinem CDU-Kollegen zur Seite. Die AfD werde auch deshalb immer stärker, weil Migrations-Themen "nicht gelöst werden". Domke warf der SPD ein Ablenkungsmanöver vor: "Sie versuchen eine Sachdebatte, die dringend geführt werden muss, in eine emotionale Auseinandersetzung um den Umgang mit der AfD umzudeuten." Reiner Wahlkampf sei das, meinte der Liberale. Widerspruch erntete er bei seiner Kollegin von Bündnis90/Die Grünen. Constanze Oehlrich meinte, wichtig sei, die "aktuellen Herausforderungen mit Verstand, Herz und Menschlichkeit anzugehen". Aber Merz und die Seinen hätten sich aus dem Kreis derer, die dieses anstrebten, verabschiedet.
Linke: CDU hat Lawine losgetreten
Die Debatte trieb nach mehr als einer Stunde immer stärker einen Keil zwischen die Parteien jenseits der AfD. Michael Noetzel (Linke) erinnerte an den Jahrestag der sogenannten Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933, vor genau 92 Jahren. Er schlug einen Bogen zur CDU und der Abstimmung im Bundestag. Die Union paktiere in "völliger Geschichtsvergessenheit erneut mit Rechtsextremisten". Noetzels Fazit: "Für die CDU steht der Feind links und um diesen zu bekämpfen, ist jedes Mittel recht." Die CDU habe eine Lawine losgetreten, die sie nicht mehr aufhalten könne.
Innenminister: Zurück an die Verhandlungstische
FDP-Mann Domke meinte dagegen, es werde zu Gewalt aufgerufen. Domke bezog sich auf eine Äußerung der Linken-Abgeordneten Heidi Reichinnek am Mittwoch während der Debatte im Bundestag. Sie appellierte an die Menschen und forderte: "Auf die Barrikaden." Bürgerkriegs-Atmosphäre wollte Domke nicht aufkommen lassen: "Pfeifen sie ihre Leute zurück", rief er und meinte damit nicht nur die Linken, sondern auch die AfD. CDU-Fraktionschef Peters hatte zuvor "Tendenzen der Radikalisierung" beklagt.
Die Polizei habe die Union deutschlandweit darüber informiert, dass "die linke Szene Besetzungen und Krawallakte" gegen Büros der Union plane. Das müsse man ernst nehmen. Es war der Innenminister, der am Ende für versöhnliche Töne sorgte. Christian Pegel trat als SPD-Abgeordneter ans Pult und richtete diesen Appell an die Abgeordneten, auch die eigenen: "Kommen sie alle miteinander zurück an die Verhandlungstische. Demokratie lebt vom Kompromiss. Es gibt nicht die eine, wahre Auffassung."