Ostsee: Blaualgen setzen den Dorsch auf Diät
Rostocker Wissenschaftler konnten erstmals nachweisen: Massive Blüten von Blaualgen wirken negativ auf den Dorsch ein.
Mit der sogenannten Stickstoff-Isotopenanalyse gelang Meeresbiologen des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung (IOW) in Kooperation mit dem Thünen-Institut für Ostseefischerei der Durchbruch. Die bisher wenig bekannte Methode half, das Nahrungsnetz der Dorsche in der Ostsee besser zu verstehen.
Dorsch erholt sich nicht
Der einstige Brotfisch füllt längst nicht mehr die Netze der Berufsfischer. Der Dorsch ist so selten, dass er nicht mehr gezielt gefangen werden darf. Seit Jahresbeginn ist er auch für Angler tabu. Diese strikten Fangverbote dienen dem Schutz der Tiere. Doch die Bestände erholen sich entgegen den Annahmen der Experten nicht.
Wissenschaftler suchen nach Gründen
Wenn Uwe Krumme, Forschungsleiter vom Thünen-Institut auf der Ostsee schippert, findet selbst er kaum Dorsche. "Dabei brauchen wir nur wenige Tiere, die wir erforschen wollen, um zu verstehen, warum der Dorschbestand sich nicht erholt." Dennoch oder deshalb gibt der Dorschexperte auch gern Fische ab. Zum Beispiel an Markus Steinkopf, Meeresbiologe am IOW. Der 27-Jährige braucht ohnehin nur ein winziges Stück Muskelfleisch.
Darin liegt die Antwort: "Ich schaue mir die Stickstoffzusammensetzung in den Dorscheiweißen an. Die sind wie ein Fingerabdruck. So kann ich zurückverfolgen, was der Dorsch gefressen hat." Die Stickstoff-Isotopen-Analyse hilft ihm, dass Nahrungsnetz des Dorsches zu rekonstruieren. Mit dieser wenig bekannten Methode hat er eine spektakuläre Entdeckung gemacht: Blaualgen bestimmen nun das Nahrungsnetz des Dorsches.
Dorsch ist in der Energiekrise
Statt kleine Algen bilden nun größere, fädige Blaualgen die Grundlage allen Lebens im Meer. Das Problem: Aufgrund ihrer Größe, Form und wohl auch wegen ihrer Giftigkeit schalten sich Mikroben als zusätzlicher Gast in das Nahrungssystem des Dorsches ein. Nur diese kleinen Einzeller können die Blaualgen verwerten. Stellt man sich das Nahrungsnetz der Dorsche vereinfacht als Kette vor, gibt es nun also ein weiteres Glied.
Von Kettenglied zu Kettenglied geht aber 90 Prozent der Energie als Wärme verloren, so Dorschexperte Uwe Krumme. "Umso länger die Kette ist, desto weniger Energie kommt am Ende an. Unterm Strich bleibt dem Dorsch also kaum noch Energie." Er wächst schlecht und zeugt weniger überlebensfähigen Nachwuchs. Solange die Blaualgen einen so massiven Einfluss haben, kann sich der Dorschbestand nicht erholen.
Blaualgenblüte als Folge von Überdüngung und Klimawandel
Doch die fädigen Meeresbewohner bleiben, denn sie finden vor allem in der östlichen Ostsee optimale Bedingungen. "Große Mengen an Nährstoffen gelangen aus der Industrie und Landwirtschaft immer noch in die Meere. Hinzu kommt, dass das Wasser immer wärmer wird. Das lieben Blaulagen. Sie vermehren sich ungehindert", sagt Markus Steinkopf. Es entstehen riesige Blaualgenteppiche über den tiefen Becken der östlichen Ostsee. So groß und bläulich-grün schimmernd, dass sie sogar aus dem Weltall zu sehen sind.
Gleiche Ursache, andere Wirkung in der westlichen Ostsee
In der westlichen Ostsee gibt es diese massive Blüte der Blaualgen nicht. Sie fühlen sich nicht wohl in den flacheren Gebieten vor Mecklenburg-Vorpommern. Doch auch hier wirken Überdüngung und Klimawandel - nur eben ganz anders.
Den Hauptgrund sieht Uwe Krumme in der sogenannten Sommerzange: "Im Sommer steigen Zonen ohne Sauerstoff nach oben - warme Wasserschichten sinken von der Meeresoberfläche nach unten. Da der Dorsch atmen will und warmes Wasser nicht mag, wird er in einer schmalen Schicht eingeschlossen." Der Fisch gerät unter Stress, was wiederum zu kaum überlebensfähigem Nachwuchs führt.
Ostsee braucht Zeit zur Erholung
Die Ergebnisse der Rostocker Experten zeigen: Soll der Dorschbestand sich erholen, müssen Überdüngung und Folgen des Klimawandels weiter eingeschränkt werden. "Das geht nur, wenn alle Ostseestaaten noch besser an einem Strang ziehen. Politische Maßnahmen müssen nicht nur umgesetzt, sondern kontrolliert werden", so Markus Steinkopf vom IOW.
Laut ihm braucht die Ostsee vor allem Zeit, um sich erholen zu können, das gehe nicht von heute auf morgen. Der Meeresbiologe ist aber zuversichtlich, dass das gelingen kann und irgendwann wieder viele Dorsche durch die Ostsee streifen werden.