Überfischung in der Ostsee: Smarte Netze sollen helfen
Einige Fischbestände in der Ostsee sind akut bedroht. Die Fischerei steckt in einer Krise. Forscher wollen nun mit künstlicher Intelligenz dem Artenschutz und der Fischerei helfen.
Viele lange Kabel, große graue Kapseln mit Computern und Kameras: Die Forscherinnen und Forscher haben viel Technik in ihr Schleppnetz eingebaut. Bei der Ausfahrt mit dem Forschungsschiff "Solea" muss das Netz viel aushalten: Mehrmals täglich wird das Geflecht in die Ostsee gelassen - wie beim Fischkutter. Aber eigentlich wollen sie gar keine Fische fangen - die werden sie anschließend wieder freilassen. Den Forschenden geht es darum, möglichst viele Daten aus dem Inneren des Netzes zu bekommen und direkt zu verarbeiten.
Fisch-Erkennung in Echtzeit
Das Team rund um Mathis Mahler macht sich für den Forschungs-Prototypen Künstliche Intelligenz zunutze. Mahler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Thünen-Institut für Ostseefischerei. Im Projekt "SmartFishing" entwickeln die Forscherinnen und Forscher ein Unterwasser-Kamerasystem mit KI-gestützter Bilderkennung, so Mahler. Die Kameras können den Netzhintergrund dank künstlicher Intelligenz ausblenden und nehmen so nur die Fische wahr.
Klappe auf - Fische weg
Die Forscherinnen und Forscher vom Thünen-Institut wollen die Technik in Zukunft zunächst für ihre eigenen wissenschaftlichen Untersuchungen einsetzen. Der Fischerei-Forschung soll das KI-System dann vor allem Daten zum Fischbestand nach Größe, Art und Gesundheitszustand sowie zu den Verhaltensmustern der Fische im Netz liefern. Die neue Technologie soll aber auch in der kommerziellen Fischerei Anwendung finden. Fischerinnen und Fischern soll die Echtzeiterkennung im Netz ermöglichen, die politisch vorgegebenen Fangquoten besser einzuhalten. Wenn sich zu viel ungewollter Beifang wie beispielsweise Dorsch im Netz befindet, wird eine Klappe im Netz geöffnet, um die Fische aus dem Netz entkommen zu lassen. Mathis Maler erklärt, dass damit verhindert wird, den Fischfang an Bord zu ziehen. Dabei würden oft viele Fische unnötig sterben.
Umstrittene Schleppnetze
Nach Angaben des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) werden jedes Jahr rund 150.000 Tonnen Plattfische aus der Nord- und Ostsee gefischt. Zumeist würden Schleppnetze eingesetzt - das ist umstritten. Umweltorganisationen wie der World Wide Fund For Nature (WWF) kritisieren, dass viel zu oft Ökosysteme am Meeresgrund zerstört würden. In Schleppnetzen lande zudem deutlich mehr Beifang. Der BUND schätzt, dass auf jedes Kilo gefangene Scholle oder Seezunge im Durchschnitt etwa zwei bis drei Kilo Beifang kommen.
Fangquoten sollen Bestände schützen
Die EU-Fischereiministerinnen und Fischereiminister hatten sich erst im Oktober darauf geeinigt, dass das Fangverbot für Dorsch im westlichen Teil der Ostsee auch 2024 bestehen bleibt. Das betrifft auch die Küstenfischerei vor Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Aktuell darf Dorsch dort nicht gezielt gefischt werden, sondern nur als Beifang in den Netzen landen. 2024 sinkt die für die westliche Ostsee erlaubte Fangmenge für deutsche Fischer um 30 Prozent auf 73 Tonnen. Starke Einschränkungen wurden auch für den Hering beschlossen.
Gehen die richtigen Daten ins Netz?
Bei der Erprobung des neuen KI-Systems landen die Fische aus den Probefängen zur Auswertung erstmal noch an Bord. Technikerin Kerstin Schöps und ihr Team vermessen und wiegen die Fische. Die händisch erhobenen Daten werden mit den automatisch generierten Zahlen des KI-Systems verglichen, um zu schauen, wie gut die Kameras den Fang ausmessen. Die meisten Fische, wie die Plattfische, überleben die Vermessungen an Bord, so Kerstin Schöps. Einige sensible Arten, wie der Dorsch, der ohnehin schon bedroht ist, sterben dabei immer wieder und können nicht wieder ins Meer gelassen werden.
In Zukunft soll die neue Technik ihre Arbeit erleichtern, um auch in der Forschung möglichst wenig Fische umkommen zu lassen. Bei der Erprobung der neuen Technik sind die Daten der Fischfänge allerdings eine wichtige Vergleichsgröße.
KI bewertet oberflächlich
Genau wie Kerstin Schöps und ihr Team soll das KI-System später die Fischarten anhand optischer Merkmale erkennen: Plattfische registriert das System beispielsweise anhand ihrer großen Fläche, Dorsche haben eine länglichere Struktur. Das erfasst die Bilderkennung samt künstlicher Intelligenz genauso wie der erfahrene Fischer oder Forscher. Feine Musterungen - wie beispielsweise bei der Scholle mit ihren kleinen Punkten oder beim Dorsch mit seinen Mustern an der Seite - sind weitere Merkmale an der Oberfläche der Fische, die das KI-System unterscheiden kann.
Die Entwicklung des KI-Systems ist Teil des Clusterprojekts des Ocean Technology Campus Rostock. Dabei wird das Forschungs-Team auch vom Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung und Framework Robotics unterstützt, die die Unterwasser-Technologie zur Verfügung stellen.
Entwicklung dauert voraussichtlich noch zwei Jahre
Forschungsleiter Mathis Mahler schätzt, dass der Prototyp des KI-Systems in den nächsten zwei Jahren einsatzbereit ist und verlässliche Echtzeit-Daten zu den Fischen im Netz liefern kann. Derzeit müsse die Technik noch mit viel Datenmaterial gefüttert werden und auf spezielle Merkmale der Fische trainiert werden.
Danach soll die Technik in kommerzielle Fischerei-Schleppnetze eingebaut werden. Perspektivisch wollen die Rostocker Forschenden das System über die Ostsee hinaus auch für andere Seegebiete fit machen. Dafür müssen der Technik mithilfe von neuen Bilddaten weitere Fischarten angelernt werden. Theoretisch sei das KI-System dann in jedem Weltmeer einsetzbar, so das Institut.