Todeszonen in der Ostsee: Warum das Meer zu ersticken droht
Eine dänische Langzeitstudie dokumentiert, wie Nährstoffeinträge das rasante Wachstum sogenannter Todeszonen fördern. Der Temperaturanstieg in der Ostsee verschärft das Problem zusätzlich.
Jacob Carstensen vergleicht die Ostsee gern mit einer gigantischen Badewanne: Schließlich ist das Binnenmeer relativ flach und fast geschlossen - so wie eine Badewanne. Nur über das Meeresgebiet Kattegat zwischen Dänemark und Schweden ist die Ost- mit der Nordsee verbunden.
Carstensen ist Ökologe und forscht an der Aarhus University zu Nährstoffeinträgen in der Ostsee. Dazu entnimmt er regelmäßig Wasser- und Bodenproben und untersucht sie unter anderem auf Stickstoff und Phosphor. Dabei sind es vor allem die Gemeinsamkeiten zwischen der Ostsee und einer Badewanne, die dem Wissenschaftler Sorgen bereiten.
30 Jahre für einen Wasseraustausch
"Es dauert rund 30 Jahre, bis das gesamte Ostseewasser einmal ausgetauscht ist. Das bedeutet, dass sich alle Verschmutzungen ansammeln, die wir in die Ostsee geben. Und das hat Effekte", erklärt Carstensen, der diese Effekte dokumentiert und dafür in diesem Jahr den Ostsee-Forscherpreis erhalten hat. Der gravierendste Effekt dieser Nährstoffeinträge - durch Düngemittel aus der Landwirtschaft oder Abwässer - ist Sauerstoffmangel.
Stickstoff und Phosphor fördern Todeszonen
"Wenn Nährstoffe ins Wasser gelangen, typischerweise Stickstoff und Phosphor, dann fördern sie das Algenwachstum", sagt Carstensen. Normalerweise treiben diese Algen im Oberflächenwasser, aber irgendwann sterben sie und sinken auf den Grund. Mikroorganismen verdauen die Biomasse und verbrauchen dabei Sauerstoff. Weil es kaum Austausch mit sauerstoffreichem Wasser gibt, entstehen sogenannte Todeszonen. Dort gibt es so gut wie kein Leben mehr, weil nahezu der komplette Sauerstoff verbraucht ist. Fische und die meisten wirbellosen Tiere brauchen nach Angaben des Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel mindestens zwei Milliliter Sauerstoff pro Liter, um zu überleben.
Klimawandel beschleunigt Sauerstoffverlust
Carstensens Forschung zeigt, dass die Fläche der Todeszonen in der Ostsee zwischen 1906 und 2012 von rund 5.000 auf etwa 60.000 Quadratkilometer angestiegen ist. In den 1990er-Jahren belebten zwischenzeitlich sauerstoffreiche Salzwassereinströme aus der Nordsee die Todeszonen. Doch der Temperaturanstieg der Ostsee lässt die Todeszonen zunehmend schneller wachsen, weil hohe Temperaturen das Algenwachstum fördern. "Große Gebiete sind jetzt schon tot. Und die toten Gebiete werden höchstwahrscheinlich expandieren in der Zukunft, wenn wir nichts dagegen tun. Das liegt daran, dass der Klimawandel unseren Bemühungen, die Situation zu verbessern, entgegenwirkt", sagt Carstensen. Zu diesen Bemühungen zählte zum Beispiel die Gründung der Helsinki-Konvention, die 1974 in Kraft getreten ist und den Nährstoffeinfluss der Länder einschränkte.
60 Prozent weniger Seegraswiesen
Wie hart der Nährstoffmangel das Ökosystem Ostsee trifft, zeigt zum Beispiel der Rückgang der Seegraswiesen in dem Binnenmeer. "Wir gehen vor allem durch Überdüngung von einem Rückgang von 60 Prozent im vergangenen Jahrhundert aus", sagt Thorsten Reusch vom Geomar-Institut in Kiel. Durch das trübe, nährstoffreiche Wasser hätten die Pflanzen zu wenig Licht erreicht, um zu überleben. Mittlerweile ist es vor allem der Temperaturanstieg, der den Bestand der wertvollen Pflanzen bedroht. Seegraswiesen gelten bei Forschenden als "Moore des Meeres", weil ihre Wurzeln große Mengen Kohlenstoff speichern können.
Sturmflut hat Wasser durchmischt
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Geomar-Instituts erforschen derzeit, welche Einflüsse die Sturmflut auf die Sauerstoff-Verteilung in der Ostsee hatte. "Ein unmittelbarer Effekt ist sicherlich, dass sich die sauerstofffreien Zonen in der Kieler Bucht aufgelöst haben - einfach durch Durchmischung. Die Frage ist, welche längerfristigen Folgen es haben wird", sagt Thorsten Reusch.