Drogenhändler: "Dieb im Gesetz", Ex-Rocker, Versicherungsvertreter
Abwasseranalysen haben gezeigt, dass in Mecklenburg-Vorpommern überraschend viele illegale Drogen konsumiert werden. NDR Recherchen zeigen exemplarisch, wer den Markt in den vergangenen Jahren beliefert hat.
Vor rund vier Wochen haben Abwasseranalysen im Auftrag des NDR gezeigt, dass in Mecklenburg-Vorpommern deutlich mehr illegale Drogen konsumiert werden als gedacht. Doch die Messwerte zeigten nur, was und wie viel genommen wird. Offen blieb die Frage, woher der Stoff stammt und wer mit ihm handelt. Wer sind die Täter, die diese Mengen an Drogen ins Land bringen? Die NDR Journalisten Hannes Stepputat und Reiko Pinkert haben exemplarisch einige Fälle ausgewertet.
Der "Dieb im Gesetz“
Aleksej G. ist kein normaler Zeuge. Wenn er zum Landgericht in Rostock kommt, wird er per Hubschrauber eingeflogen, bewaffnete Spezialkräfte bewachen ihn auch im Verhandlungssaal. Denn G. hat jahrelang selbst im großen Stil mit Drogen gehandelt als sogenannter "Dieb im Gesetz". Als solchen führt ihn das Bundeskriminalamt seit zehn Jahren. Die "Diebe im Gesetz" sind eine der bedeutendsten und gefährlichsten Organisationen innerhalb der russischen Mafia-Strukturen. Zu den Regeln gehört, niemals mit der Polizei zu reden. Aber Aleksej G. hat nach seiner Festnahme im April 2022 nicht wie üblich geschwiegen, sondern ist zum Kronzeugen geworden. Und sagt nun gegen seine ehemaligen Mitstreiter vor Gericht aus.
In langen Vernehmungen hat Aleksej G. seine Lieferanten, Abnehmer und Vorgehensweisen beim Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern sowie bei der Staatsanwaltschaft Rostock preisgegeben. Die Drogen, die der 39-Jährige in Rostock handelte, bezog er demnach vor allem von zwei Lieferanten. Beide sind wie G. in der ehemaligen Sowjetunion geboren. Sie kommunizierten miteinander über Handys, die mit speziellen Programmen wie "SkyECC" und "Encrochat" verschlüsselt waren. Chatprotokolle dieser Programme sind seit Jahren wichtige Beweise in Drogenprozessen.
Geheimfächer für den Drogentransport
Mit diesen Chats verabredeten die Dealer laut Aleksej G. die Drogenlieferungen: wann, wo, welche Sorten und Mengen und den Preis. Gezahlt wurde in bar. Kuriere brachten die Drogen dann in speziell präparierten und mit Geheimfächern ausgestatteten Autos, oft aus Berlin, aber auch aus Spanien und den Niederlanden nach Mecklenburg-Vorpommern. Auf Parkplätzen von Supermärkten in den Rostocker Neubauvierteln fanden anschließend die Übergaben statt. Und hier, zwischen den Plattenbauten in Rostocks Nordwesten, wurde der Stoff auch gelagert - manchmal in Erdlöchern, aber auch in Kellern von Leuten, die Geld dafür bekamen.
Konflikte mit Gewalt gelöst
G. verkaufte die Drogen nicht selbst an die Konsumenten, sondern hatte unter sich weitere Zwischenhändler, die teilweise mehrere Kilo pro Woche kauften und wiederum an ihre Dealer weitergaben. Einige von ihnen sind deshalb bereits verurteilt worden. Konflikte wurden in diesen Kreisen oft mit Gewalt gelöst: Ein Zwischenhändler, der aus dem Geschäft aussteigen wollte, wurde unter einem Vorwand in eine Wohnung gelockt und zusammengeschlagen. Mit einem Revolver sei "Russisch-Roulette" mit ihm gespielt worden, sagte er in einer Vernehmung. Außerdem sei ihm mit "Tschetschenen" gedroht worden, die seiner Familie etwas antun würden. Täter aus dieser Runde sind mittlerweile wegen erpresserischen Menschenraubs zu Haftstrafen verurteilt worden.
Noch ist unklar, ob die Gruppierung auch mit korrupten Polizisten zusammenarbeitete. Zwar hat ein Zwischenhändler dies in einer Vernehmung ausgesagt, ein anderer wiederum will von so etwas nichts mitbekommen haben. Die Staatsanwaltschaft Rostock erklärte auf Anfrage, dass dazu derzeit nicht ermittelt werde. Am 21. September 2023 wurde Aleksej G. in Rostock wegen Handels mit Kokain und Cannabis im Wert von fast 1,8 Millionen Euro zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt. Strafmildernd wertete das Gericht unter anderem seine umfangreiche Aufklärungshilfe und die Belastungen durch das Zeugenschutzprogramm.
Der Ex-Rocker
Verglichen mit Aleksej G. war der Ex-Rocker wohl eher ein mittelgroßer Fisch im Rostocker Drogenhandel. Auch er kaufte seine Ware in Berlin und auch er nutzte speziell präparierte Autos, um die Ware zu transportieren. Der Mittdreißiger pflegte einen aufwändigen Lebensstil. Zwar hatte er mit einem gescheiterten Unternehmen Schulden gemacht, doch gleichzeitig wohnte er in einem Einfamilienhaus voll hochwertiger Ausstattung im Rostocker Speckgürtel, fuhr mehrere Autos, machte Fernreisen, wie Ermittler festhielten. Das war nicht in Einklang zu bringen mit seinem offiziellen Einkommen. Mithilfe der "Encrochat"-Protokolle konnten die Fahnder dem Messebauer schließlich den Kauf und Verkauf von 16 Kilogramm Amphetamin, vier Kilo Gras und gut zwei Kilo Kokain nachweisen. Knapp 160.000 Euro soll er damit eingenommen haben. Weil der Mann geständig war, wurde er zu nur dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.
Als junger Mann bei den "Hells Angels"
Polizeibekannt war er aber schon vorher. Bereits als Jugendlicher ermittelte die Polizei etliche Male gegen ihn wegen Gewaltdelikten, Betrugs, Bedrohung oder Diebstahl. Als junger Erwachsener schloss er sich für einige Jahre den Rockern der Hells Angels an. Seine Straftaten machten anschließend einen qualitativen Sprung: Er drängte seine Freundin in die Prostitution und zwang sie unter einem Vorwand, das Geld, das sie dort verdiente, an ihn abzugeben. Aus diesem Grund wurde er bereits damals wegen Menschenhandels und Zuhälterei verurteilt.
Der Versicherungsvertreter
In einem anderen Fall handelte ein Versicherungsvertreter kiloweise mit Amphetamin, Koks und Cannabis, sowie mit über 10.000 Tabletten Ecstasy. Auf einem Teil dieser Tabletten war ein Hakenkreuz geprägt, was er, so hielt es das Gericht fest, sehr lustig fand. In seiner Freizeit war der Endzwanziger aktiv in der Ultra-Fanszene von Hansa Rostock. Auch in diesem Fall konnte die Polizei den Mann vor allem anhand der "Encrochat"-Protokolle überführen. Die Ermittler erfuhren so, dass er den Stoff meist in Berlin bestellte - einer seiner Lieferanten war ein Hooligan eines Berliner Fußballvereins. Übergeben wurde die Ware mal auf einer Autobahnraststätte, mal in einer Tiefgarage in Rostocks Innenstadt.
"Vom rechten Weg abgekommen"
Der mögliche Grund für sein kriminelles Handeln: Den Lebensstil, den der Familienvater gerne führen wollte, konnte er sich nicht leisten. Vor Gericht bezeichnete er sich selbst als vom rechten Weg abgekommen: eigentlich aus einer guten Familie kommend, habe er jedoch versagt. Als gegen ihn Haftbefehl erlassen wurde, floh er ins Ausland und kehrte erst einige Monate später zurück. Das Gericht verurteilte ihn schließlich zu vier Jahren und neun Monaten Haft. Das Gericht ging in seinem Urteil davon aus, dass der Mann bei den angeklagten Taten knapp 250.000 Euro umgesetzt hat. Neben dem Drogenhandel soll er auch als Vermieter sogenannter "Modelwohnungen" aufgetreten sein. Das sind Wohnungen, in die sich Prostituierte einmieten und die dann de facto als Bordell dienen.