Das zweite Leben mit dem unheilvollen Krebs
In Mecklenburg-Vorpommern machen sich Menschen mit Bauchspeicheldrüsenkrebs gegenseitig Mut. Der Arbeitskreis der Pankreatektomierten organisiert zum Beispiel Ausflüge für sie.
"Sie haben Bauchspeicheldrüsenkrebs" - eine Diagnose, die für 90 Prozent der Betroffen den nahen Tod bedeutet. Sie sterben in den nächsten fünf Jahren. Damit ist die Krebsart eine der tödlichsten überhaupt. Das Leben auf Zeit hat neben der medizinischen auch eine psychische Komponente, nicht nur für die Erkrankten, sondern auch deren Familien. Wer in ein Loch fällt, kann Hilfe finden im "Arbeitskreis der Pankreatektomierten e.V." (ADP). Die Ausflüge der Selbsthilfegruppe sind alles andere als eine Zusammenkunft der Trauerklöße.
Lebensfrohe Krebspatienten
"Mit Kleinbahnfahrt, Schlossführung, Vortrag und Workshop für 15 Euro: Das wollte ich mir nicht entgehen lassen", meint Elke Frieder. Sie ist zum ersten Mal dabei und gerade mit der Kleinbahn "Lütt Kaffeebrenner" sechs Kilometer von Klütz nach Reppenhagen im Landkreis Nordwestmecklenburg unterwegs. Sie hatte in der Zeitung gelesen, dass eine Krebsgruppe eine Fahrt plant und sich spontan angemeldet. Vor zwei Jahren bekam die dreimalige Mutter die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs und lebt jetzt von Bluttest zu Bluttest. "Bei mir hat noch nichts gestreut, aber vor jedem Arztbesuch schlafe ich schlecht. Und meiner Familie will ich das nicht erzählen, die sind auch nicht so daran interessiert. Also mache ich das mit mir selber aus."
Soviel Spaß wie lange nicht mehr
Doch auf den harten Bänken der Kleinbahn zeigt sich ein anderes Bild. Die 73-jährige Elke schnattert wie aufgezogen. Im Gespräch mit dem Ehepaar Lenuweit neben ihr geht es um Urlaub, Ausflüge, neue Autos und Lieblingsspeisen. "Das ist ja total toll hier. Ich hatte Sorge, dass die Leute nur erzählen, sie hätten das und das und das. Stattdessen habe ich so viel Spaß wie lange nicht." 30 Mitglieder und Freunde des ADP sind ins Gespräch vertieft. Der Organisator der Fahrt, Uwe Buchsteiner, ist ein wenig ratlos: "Wie soll ich bei der Lautstärke die Gruppe über unser nächstes Treffen informieren?" Schließlich schafft er es und sorgt für eine Überraschung: "Kramt für den November schon mal Eure Jogginganzüge raus. Es geht dann um Sport." Tina Lenuweit ruft: "Und was für Kuchen am Ende?" Elke lacht laut - und mit ihr der ganze Wagen.
Gruppentreffen viermal im Jahr
ADP-Regionalleiter Uwe Buchsteiner ist gut gelaunt. "Eine große Gruppe, viele Interessierte. Das sieht gut aus." Doch was heißt "Aktionskreis der Pankreatektomierten"? "Es bedeutet, dass sich hier Menschen treffen, denen die Bauchspeicheldrüse entfernt wurde", erklärt er. 20.000 Krebserkrankungen dieser Art kommen jährlich deutschlandweit dazu. "Deswegen haben wir in unserem Bundesland auch fünf Regionalgruppen, damit jemand einen Ansprechpartner in der Nähe hat. Aber wir kümmern uns auch um Menschen mit Krebserkrankungen allgemein und deren Familien." Mindestens viermal im Jahr organisiert der ADP Ausflüge. Dieses Mal hat die AOK das Treffen finanziell unterstützt. Wer wollte, konnte sich mit dem Bus in Stralsund, Greifswald, Rostock oder Wismar abholen lassen. Das Ziel: Schloss Bothmer.
Krebs und die Psychologie
Für Elke Frieder und ihre Mitstreiter geht es von der Kleinbahn in den Vortragsraum im Schloss zum Vortrag von Dr. Gerald Ullrich. Der Psychoonkologe arbeitet unter anderem mit Krebskranken in den Helios-Kliniken in Schwerin. "Die Bedeutung der Psychologie bei Krebs" ist sein Thema. "Bei einer Straßenbefragung meinten 40 Prozent, dass die psychische Verfassung den Krebsverlauf beeinflussen könne. Das stimmt nicht. Positives oder negatives Denken hat keine Auswirkung auf die Krebszellen", erklärt der Experte, "aber der Demoralisierungsgrad bei einer Krebs-Diagnose ist verdammt hoch". Genau da setze die Psychologie ein. Wichtig sei es dann, zu planen und zu lernen. Immer mit dem Focus: Ich bin noch da und es lohnt sich zu leben.
Kaffee, Kuchen und Kontakte
Zum Mittagessen gibt es Hühnchen mit Reis, dazu Saisonmöhren in Butter geschwenkt, anschließend Kaffee und Gebäck. Elke Frieder zückt schon wieder ihr Telefon. "Der nächste Kontakt", sagt sie und tippt eine Handynummer ein. Jürgen Etzien sitzt am Nebentisch. Er ist seit mehr als zehn Jahren bei jedem Treffen dabei. "Für uns ist es immer ein kleiner Sieg des Lebens, wenn wir uns treffen und sehen ‚Du bist ja auch noch da." Jürgen hat 19 Chemotherapien hinter sich, seit 14 Jahre lebt er mit der Krankheit mit einer guten Prognose. "Aber ohne meine Frau hätte ich das nicht geschafft", meint er und schaut nach links. Da sitzt seine Dagmar und stößt ihn in die Seite: "Wir sind doch ein Team und hatten uns beide." Elke Frieder hat sich derweil entschlossen. Sie will in den ADP eintreten und ist beim nächsten Treffen auf jeden Fall dabei. "Einen Jogginganzug habe ich und in der Sporthalle zeige ich es allen", versichert sie. Der ganze Tisch lacht.