34 Jahre Deutsche Einheit: Sind wir jetzt zusammen?
Zwei Ostdeutsche, zwei Generationen: Reinhard Wienecke und Anika Leese haben sich 2019 zum ersten Mal im Rahmen der NDR Serie "Mauerfall: Neu geboren 1989" getroffen und über ihre Erfahrung im vereinten Deutschland gesprochen. Wie blicken sie heute auf Ostdeutschland?
Geburtsdatum: 9. November 1989. So steht es im Impfpass von Anika Leese und ihrer Zwillingsschwester Annemarie. "Dieser 9. November ist ein historischer Tag", wird Hanns Joachim Friedrichs spät am Abend in den Tagesthemen konstatieren. SED-Politbüromitglied Günter Schabowski hatte wenige Stunden zuvor Reisefreiheit für die über 16 Millionen Bürger der DDR verkündet. Reinhard Wienecke ist damals 30 Jahre alt, hört Schabowskis Worte aus dem Autoradio. Daraufhin muss er erst mal völlig perplex rechts halten.
Freiheit ist "Glück und Verpflichtung" zugleich
Die Deutsche Einheit ist für beide ein Glücksfall: "Diese Erfahrung, dass sich ganz starre Strukturen so weit ändern können, dass komplette Lebensentwürfe nochmal überdacht und neu geschrieben werden können, [...] das ist für mich ein ganz großes Glück aber auch eine Verpflichtung", erzählt Wienecke 2019 im NDR. Anika Leese ist froh, im vereinten Deutschland aufgewachsen zu sein: "Unseren Eltern war es wichtig, uns mitzugeben: ihr könnt wirklich machen, was ihr wollt."
Fünf Jahre später: Was hat sich verändert?
Seit ihrem letzten Treffen ist viel passiert. Ist das Hochgefühl in Krisenzeiten verflogen? Reinhard Wienecke ist seit 2019 ehrenamtlicher Bürgermeister von Carlow (Landkreis Nordwestmecklenburg), einer kleinen Gemeinde unweit der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Egal ob Klimawandel, Corona-Pandemie oder Krieg in der Ukraine - die großen Probleme unserer Zeit beschäftigen ihn und seine Mitmenschen und erzeugen bei vielen große Sorge vor der Zukunft. "Wir waren in den Jahren eigentlich kaum im Normalmodus", stellt Wienecke fest. So etwas würde bei den Menschen wieder etwas triggern, "was schon einige Jahre nach der Wende da war", so Wienecke weiter.
Wienecke: "Wir leiden auf einem hohen Niveau"
Diese Stimmung zeigt sich auch in Zahlen: Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ist in den neuen Bundesländern nur noch ein Drittel (34 Prozent) mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden. In Westdeutschland ist es noch gut die Hälfte (52 Prozent). Trotz des breiten Unmutes, den Wienecke in vielen Bürgergesprächen wahrnimmt, plädiert er dafür, dass sich Ostdeutsche ihren Lebensentwurf nicht von Krisen oder einer "schlecht erklärten Politik kaputtmachen lassen" sollten. "Wir leiden auf einem hohen Niveau, gesamtgesellschaftlich gesehen", fügt er hinzu.
"Die positiven Dinge nach vorne bringen"
Anika Leese kommt es besonders darauf an, Positives nach vorne zu stellen. "Da fallen uns ein paar Dinge ein", meint sie. Mehr Zuversicht statt Missmut. Ihre eigene Biografie gibt ihr zumindest Recht. Zum Studieren zieht sie für mehrere Jahre nach Westdeutschland, beginnt dort auch zu arbeiten. Doch das Heimatgefühl, so sagt sie, hat sie wieder nach Mecklenburg-Vorpommern gebracht. Heute leitet sie das Amt für Soziales in Rostock. Reinhard Wienecke wagt nach der Wiedervereinigung den Schritt in die Selbstständigkeit und gründet eine Computerfirma. Es sind entscheidende Gegenentwürfe zum Negativ-Image des "perspektivlosen Osten".