Stand: 20.11.2022 06:00 Uhr

Kommentar zur Fußball-WM in Katar: Konsequenz sieht anders aus

Heute beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Entsteht nun doch echte Fußball-Stimmung dort und hier? Oder wird die Kritik an dem autoritären Staat und den Lebensbedingungen der Arbeitsmigranten anhalten?

Ein Kommentar von Lars Haider, Chefredakteur des "Hamburger Abendblatt"

Es gehört in Deutschland fast schon zum guten Ton, sich über die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar aufzuregen, und es ist so wunderbar einfach, weil das Land und seine Menschen weit weg sind, und man trotz aller Berichterstattung nur wenig darüber weiß. Also bedient man sich des Schwarz-Weiß-Schemas, dass in Deutschland häufig benutzt wird, wenn es um die Bewertung anderer Staaten geht: Entweder ist alles schlecht oder alles gut, Letzteres allerdings deutlich seltener. Mit irgendetwas dazwischen, also, um im Bild zu bleiben, mit Grautönen, tun wir uns schwer, übrigens gern vor großen Sportereignissen wie Olympischen Spielen oder, wie jetzt, einer Fußball-Weltmeisterschaft. Wobei es mit der Empörung über Menschenrechtsverletzungen oder andere schlimme Verhältnisse im jeweiligen Ausrichterland schnell vorbei war, wenn der erste Deutsche eine Goldmedaille um den Hals hängen oder die deutsche Nationalmannschaft das erste Spiel gewonnen hatte. Ich bin gespannt, wie viele derjenigen, die jetzt vehement fordern, die WM in Katar nicht zu unterstützen, am Ende doch vor dem Fernseher sitzen, zumindest, wenn das eigene Team spielt.

Fans machen vor dem Schriftzug "Fifa Worldcup Qatar 2022" in der Stadt Doha Fotos. © dpa bildfunk Foto: Federico Gambarini
AUDIO: Wochenkommentar: Die wohlfeile Kritik an Katar (5 Min)

Widerspruch zwischen Reden und Handeln

Lars Haider, Chefredakteur des "Hamburger Abendblattes"
Lars Haider, Chefredakteur beim "Hamburger Abendblatt", meint, dass wir uns nicht als moralische Sieger generieren sollten.

Es wird sich auch bei dieser WM wieder ein Widerspruch zwischen dem zeigen, was wir, die Deutschen, sagen, und wie wir uns tatsächlich verhalten. Wir sind bereits jetzt Weltmeister im An- und Ermahnen, wir setzen überall wie selbstverständlich unsere eigenen moralischen Wertvorstellungen voraus und kritisieren sehr offen, was uns an diesem oder jenem Staat beziehungsweise dessen Regime nicht gefällt. Das ist sicher richtig so, aber es ist in Teilen leider nicht immer aufrichtig. Das beginnt damit, dass der Deutsche Fußball-Bund nicht eine Sekunde mit dem Gedanken gespielt hat, die WM in Katar, an der man so viel auszusetzen hat, zu boykottieren, und es endet bei Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, dem das Land als Lieferant von Gas mehr als gut genug ist.

Konsequenz im Reden und im Handeln sieht anders aus, und das gilt für ganz viele Beziehungen, die Deutschland mit und zu anderen Ländern hat. Aus deren Sicht dürften wir nicht selten als Besserwisser rüberkommen, als ein Volk von Menschen, das sich über andere moralisch erhebt, obwohl es dazu nicht immer einen Grund hat. Was wird man in Katar über einen Gast denken, der so viel zu meckern hat, es aber nicht erwarten kann, endlich Gas zu bekommen, gern billig? Vielleicht, dass er selbst nicht das macht, was er von anderen verlangt?

Globalisierung bietet große Chancen

Wenn wir nur noch mit Ländern handeln und Fußball spielen würden, die genauso ticken wie wir, würden selbst Partien gegen Österreich und die Schweiz schwierig. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir auf dieser Welt in der Mehrheit von Staaten umgeben sind, die sich in eine andere Richtung als wir entwickeln, und verstehen, dass es nicht klug wäre, den Kontakt zu ihnen abbrechen zu lassen. Den russischen Angriffskrieg in der Ukraine haben viele hierzulande als Anlass genommen, von dem Prinzip "Wandel durch Handel" abzurücken, und im Fall Russlands ist das auch verständlich. Grundsätzlich bietet das, was wir in den vergangenen Jahrzehnten als Globalisierung bezeichnet haben, also die enge Verzahnung von sehr unterschiedlichen Partnern, aber nach wie vor große Chancen. Wer Menschen zuhört, die sich in Katar und der Region besser auskennen als diejenigen, die nur mal hin und wieder eine Überschrift oder einen Text darüber lesen, erfährt, dass sich durch die Vergabe der WM einiges im Land verändert und sogar verbessert hat, selbst bei den oft kritisierten Lebensbedingungen von Gastarbeitern. Und dass die Einheimischen sich freuen, die Gelegenheit zu bekommen, sich der Welt einmal so zu zeigen, wie sie sind.

Soll heißen: Es ist gut, miteinander im Gespräch zu bleiben, andere Länder zu besuchen und deren Menschen kennenzulernen und vor allem voneinander zu lernen, und es ist für ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland alternativlos. Unsere wirtschaftliche Stellung haben wir nämlich vielen jener Staaten zu verdanken, über die wir uns so oft und ausführlich echauffieren. Um es ganz klar zu sagen: Wir kritisieren zum Teil andere Länder für Dinge, etwa die zu geringen Löhne oder miserable Arbeitsbedingungen, ohne die es den Wohlstand, den wir in Deutschland genießen, gar nicht geben würde. Das sollten wir, wenn wir Debatten wie jetzt über die WM führen und uns dabei gerieren wie der moralische Sieger, nicht vergessen.

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin/des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

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NDR Info | Kommentar | 20.11.2022 | 09:25 Uhr

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