Wie norddeutsche Städte sich auf Hitzewellen vorbereiten
Stand: 05.06.2024 05:00 Uhr
Heute ist bundesweiter Hitzeaktionstag. Ziel ist, auf das Thema Hitzeschutz für die Bevölkerung aufmerksam zu machen. Viele Städte im Norden setzen dabei auf ein Umdenken im Städtebau, manche auf einen Hitzeaktionsplan. Was die einzelnen Städte vorhaben, zeigt unser Überblick.
von Lilli Michaelsen, Daniel Sprenger und Marc-Oliver Rehrmann
Bis zu 40 Grad Hitze selbst in Hamburg, auch sonst verbreitet weit über 30 Grad: In den zurückliegenden Sommern gab es auch in Norddeutschland vielerorts Rekord-Temperaturen - eine Folge des Klimawandels. Und Hitzewellen dürften nach Erkenntnissen von Klimaforschern künftig noch länger anhalten und heftiger ausfallen. Die Region Hannover etwa rechnet damit, dass die Jahresdurchschnitts-Temperatur dort bald den Werten von Venedig und Mailand entspricht.
Um die Bevölkerung vor den Folgen der großen Hitze zu schützen und die Städte auch baulich anzupassen, gibt es in der Region Hannover seit dem Jahr 2023 einen Aktionsplan. "Durch die dichte Bebauung heizt sich der urbane Raum ganz stark auf", sagt Umweltdezernent Jens Palandt von der Region Hannover. "Mit vielen kleinen und größeren Maßnahmen lässt sich da Abhilfe schaffen." Ein positives Beispiel ist in der Stadt Ronnenberg zu finden.
Weitere Informationen
Das Thema sei lange vernachlässigt worden, sagte der SPD-Politiker anlässlich des heutigen Hitzeaktionstages auf NDR Info.
mehr
Grüner Stadtplatz bricht graue Betonfläche auf
Dort ist im Stadtteil Empelde ein zuvor betonierter Platz großflächig entsiegelt worden, auf dem lediglich vier Bäume in Kübeln aufgestellt waren. Nun sind neue Bäume, Stauden und Kräuter-Rasen gepflanzt, die auch gut mit Trockenheit klarkommen. Mehr als die Hälfte des Platzes ist jetzt Naturfläche. "Die Grünflächen heizen sich im Sommer, wenn die Sonne scheint, nicht so stark auf wie der betonierte Platz", sagt Katrin Weide. Sie ist die Klimaschutz-Beauftragte in Ronnenberg. "Und die Grünflächen haben - auch durch die Feuchtigkeit im Boden, die verdunstet - einen Kühlungseffekt auf die Umgebung." Zudem soll die Verschattung durch die neuen Bäume helfen.
Plöger: "Wir brauchen Grün und Blau und weniger Versiegelung"
"Wir brauchen weniger Versiegelung", sagt auch der Meteorologe Sven Plöger. "Wir brauchen Grün und Blau, also Wasser und Pflanzen." Denn Verdunstungskälte könne gegen die Hitze helfen. Zudem seien Luftkorridore in den Städten vonnöten, damit sich Gebäude und Straßen nicht übermäßig aufheizen. Denn insbesondere in Großstädten sind die Folgen langanhaltend hoher Temperaturen zu spüren. Städte seien mitunter fünf bis zehn Grad wärmer als das Umland, so Plöger.
Vor allem Großstädtern macht Hitze Sorgen
Die Sorge vor zukünftigen Hitzewellen ist offenbar vor allem bei älteren Menschen hoch. Das zeigt eine aktuelle, bundesweite Online-Befragung der Krankenkasse AOK. Demnach gibt knapp die Hälfte der Befragten in der Altersgruppe über 65 Jahre an, sich wegen zunehmender Hitzeperioden zu sorgen. Außerdem ist auffällig, dass besonders in Großstädten das Thema Hitze viele Menschen beschäftigt. Dort geben 52 Prozent der Befragten an, sich Sorgen wegen Hitzewellen zu machen, während es in Regionen mit sehr niedriger Bevölkerungsdichte nur 40 Prozent sind. In Hamburg liegt dieser Wert bei 50 Prozent.
Experte: Hamburg ist noch nicht gut aufgestellt
Auch begrünte Dächer wie hier in Hamburg können dabei helfen, dass sich Städte im Sommer nicht so stark aufheizen.
Was aber unternimmt eine Millionenstadt wie Hamburg gegen schwere Hitze-Folgen? Bislang nicht genug, meint Wolfgang Dickhaut von der Hafencity-Universität. "Hamburg ist noch nicht richtig gut auf die zu erwartenden größeren Hitze-Wellen vorbereitet", sagt der Professor für umweltgerechte Stadt- und Infrastrukturplanung. "Das liegt vor allem daran, dass es in vielen Bereichen im öffentlichen Raum kaum Verschattung gibt - also oft viel zu wenig Bäume."
"Die Konzepte müssen auch umgesetzt werden"
Immerhin erstellt die Stadt Hamburg gerade einen Hitzeaktionsplan, der im September 2024 vorgestellt werden soll. Zudem liegen Konzepte für mehr Grün im Stadtgebiet vor. "Konzeptionell ist die Stadt sehr gut aufgestellt", sagt Dickhaut. "Die große Problematik für Hamburg - wie für alle Städte - ist, diese Konzeptionen systematisch in Planung und Bau umzusetzen, sodass sie nicht nur in Neubau-Vorhaben umgesetzt werden, sondern auch im Bestand der Städte." Dickhaut fordert mehr Mut, um in Pilotprojekten Erfahrungen zu sammeln. "Es wäre fatal, darauf zu warten, dass beim Thema Hitzeanpassung erst die Regelwerke geändert werden."
Überblick: Was tun die Städte im Norden gegen Hitze?
Der Schutz der Bevölkerung bei Hitzewellen ist in Deutschland Aufgabe der Länder und Kommunen. Es gibt aber keine Verpflichtung, einen Hitzeaktionsplan zu erarbeiten. Ein solcher Plan soll Menschen vor Hitze schützen. Dafür müssten verschiedene Akteure zusammenkommen - zum Beispiel Stadtplanung, Gesundheitsamt und Umweltbehörde, um gemeinsam Hitzeschutz-Maßnahmen zu formulieren.
Wie weit sind die Städte in Norddeutschland? Welche konkreten Maßnahmen sind geplant und welche bereits umgesetzt? Einige der größten Städte im Norden haben auf diese Fragen geantwortet.
Was die norddeutschen Städte konkret umsetzen oder planen
Die Landeshauptstadt Hannover hat noch keinen Hitzeaktionsplan erstellt. Sie führt aber "bereits zahlreiche Maßnahmen zum Schutz und zur Vorsorge durch", beispielsweise für ältere und pflegebedürftige Menschen sowie für Obdachlose bei Hitzewellen. Daten zur Wärmebelastung in Hannover wurden erstmals 1992 aufbereitet, 2022 wurde die detaillierte Klimaanalyse für die Stadt aktualisiert. Eine Strategie zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels - erstmals 2012 erarbeitet - wird gerade aktualisiert und erweitert. Das Thema Hitzevorsorge als ein Topthema der Klimaanpassung soll dabei eine wichtige Rolle spielen. Die Stadt setzt auf Entsiegelung von Böden und mehr Grün, etwa durch Bäume. Bei städtischen Neubauten werden Gründächer installiert. Das Netz an öffentlichen Trinkwasser-Brunnen soll ausgebaut werden.
Weil die Durchschnittstemperatur in Kiel aufgrund des Seewindes als geringer wahrgenommen werde, sei das Problem an der Förde "nicht so groß" wie in Hamburg oder anderen Städten, heißt es von der Stadtverwaltung. Einen Hitzeaktionsplan gibt es nicht. Stattdessen werde ein mehrstufiges Konzept verfolgt, bei dem zunächst die vulnerablen Gruppen identifiziert, sensibilisiert und informiert werden. Ziel sei, das Pflege- und Betreuungspersonal zu sensibilisieren. Für die Gesamtbevölkerung sollen Karten mit kühlen Orten und kostenlosen Bezugspunkten für Trinkwasser erstellt werden. Der Umweltausschuss hat einen Antrag gestellt, dass die Verwaltung für alle städtischen Parkplätze überprüfen muss, ob sie mit wasserdurchlässigem Pflaster entsiegelt werden können und müssen im Sinne einer Schwammstadt.
Schwerin hat sich eine "klimagerechte Stadtentwicklung" vorgenommen. Dafür gibt es ein integriertes Klimaschutzkonzept aus dem Jahr 2012 und ein Klimaanpassungskonzept. An einem Hitzeschutzplan für die Landeshauptstadt wird noch gearbeitet. Dabei soll es unter anderem darum gehen, wie die Hitzebelastung in Gebäuden reduziert werden kann.
Die Stadt Hamburg erarbeitet aktuell einen Hitzeschutz-Plan. Genaueres wird im September 2024 bekannt gegeben. Für den Sommer ist eine Kampagne zum gesundheitlichen Hitzeschutz in Planung. Hierbei wird es auch um konkrete Maßnahmen gehen, wie zum Beispiel die Verfügbarkeit von Trinkwasser-Stellen und kühlen Orten im gesamten Stadtgebiet. Die Kampagne beinhaltet die wichtigsten Verhaltenshinweise bei Hitze unter Berücksichtigung verschiedener Zielgruppen. Sie macht die Bürger und Bürgerinnen auf das Thema Hitze aufmerksam und gibt Tipps und Empfehlungen zum richtigen Umgang an heißen Tagen. Die Umweltbehörde hat zudem vor dem Hintergrund der Fußball-Europameisterschaft insgesamt sechs neue Trinkwasser-Brunnen in der ganzen Stadt aufgestellt.
Das Land Bremen hat im Jahr 2018 eine Anpassungsstrategie an den Klimawandel entwickelt. Aktuell wird zusätzlich ein Hitzeaktionsplan erarbeitet, der noch im Jahr 2024 fertiggestellt werden soll.
Die Stadt Braunschweig verfügt nach eigenen Angaben über detaillierte Karten, an denen sich besondere Hitzebelastungen bestimmter Stadtbereiche ablesen lassen. In der 2018 erstellten Stadtklima-Analyse wurde auch die Temperatur-Entwicklung für eine Klimaprojektion bis 2050 betrachtet. Zudem bereitet das Projekt "Co-Adapted Braunschweig - gemeinsam an den Klimawandel anpassen" die Erstellung einer Klimaanpassungs-Strategie für die Stadt vor. Bei öffentlichen Neubauten - insbesondere bei Schulen und Kitas - wird bereits auf Vorrichtungen zum Sonnenschutz und Hitze-Vermeidung geachtet. Der Stadt will auch mehr öffentlich zugängliche Trinkbrunnen errichten.
Seit 2017 verfügt die Stadt Osnabrück über ein Klimaanpassungskonzept, das sich schwerpunktmäßig mit dem urbanen Hitzekomplex beschäftigt und 25 Schlüsselmaßnahmen beinhaltet. Die "grünen Finger" und Kaltluftschneisen, über die die Innenstadtbereiche mit Frischluft versorgt werden, sind besonders geschützt. Für die Begrünung von Gebäuden (Dächer und Fassaden) und Entsiegelung von Flächen gibt es das Programm "Grün statt Grau", mit dem private, unternehmerische und institutionelle Grund- und Gebäude-Eigentümer in Osnabrück dabei unterstützt werden, Begrünungsmaßnahmen am eigenen Gebäude und auf eigenen Flächen durchzuführen. Zudem baut die Stadt ein Netz an Trinkwasser-Spendern auf.
In den kommenden Jahren will Oldenburg ein integriertes Klimaanpassungskonzept erarbeiten. Im Rahmen einer Klima-Risikoanalyse soll ermittelt werden, in welchen Bereichen im Stadtgebiet der größte Handlungsbedarf besteht. Im Zentrum stehe die Planung und Umsetzung "grün-blauer Maßnahmen", um bei Starkregen Freiflächen zum Schutz vor Überflutungen zu nutzen und gleichzeitig mehr Stadtgrün zu schaffen. Zudem soll das Entsiegeln von Böden eine wichtige Rolle spielen. Bereits vorhanden sind eine Starkregengefahrenkarte sowie ein Gründachpotentialkataster. Zudem sind städtische Förderprogramme für Dach- und Fassaden-Begrünungen vorhanden.
Die Stadt Rostock teilt auf NDR Anfrage mit: "Insbesondere die Klimafolgen Hitze und Starkregen bilden einen großen Schwerpunkt in der Planung." Gezielte Hitzeschutz-Maßnahmen sollen in eine Strategie zur Klimaanpassung eingefügt werden, die gerade weiterentwickelt wird. Einen gesonderten Hitzeaktionsplan gibt es demnach nicht. Konkret geplant sind zu "Klimaoasen" umgestaltete grüne Plätze, die das Mikroklima verbessern. In der Innenstadt sollen zudem in diesem Jahr zwei öffentliche Trinkwasser-Brunnen aufgestellt werden, weitere Brunnen sollen später in anderen Stadtteilen folgen.
Die Stadt Greifswald teilt mit: Sie wolle zunächst keinen gesonderten Hitzeaktionsplan erstellen, sondern das Thema Hitzeschutz beim Konzept zur Klimafolgenanpassung berücksichtigen und dort auch die Gefährdung abzuschätzen, "die in Greifswald gewiss geringer ist als in Teilen Süddeutschlands ist". Bei allen Baumaßnahmen, Bebauungsplänen und Quartierskonzepten werde das Thema Hitze aber schon jetzt berücksichtigt, beispielsweise mit der Beachtung von Frischluftschneisen und der Förderung von Gründächern.
Einen eigenen Hitzeaktionsplan hat die Vier-Tore-Stadt noch nicht. Allerdings werde an einem Gesamtkonzept Klimaanpassung gearbeitet, teilt die Stadtverwaltung mit. Dabei solle nicht nur auf die Hitze reagiert, sondern sie auch vermieden werden. Einige Ziele sind der Ausbau zu einer Schwammstadt, um Wasser zu halten, der Anbau von Hitzestress-resistenten Pflanzen, die Schaffung von offenen Wasserflächen sowie Dach- und Fassadenbegrünung. Der Rathausvorplatz etwa werde entsiegelt und neu begrünt. Es wurde zudem analysiert, wo unter extrem heißen Bedingungen Hitzespots entstehen und wie sie künftig verhindert werden können.
Keine gesetzliche Grundlage auf Bundesebene
Die Beispiele aus Norddeutschland zeigen, dass die Städte recht unterschiedlich mit dem Thema Hitzeaktionspläne umgehen. Das sei kein Wunder, sagt meint Max Bürck-Gemassmer von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG). Schließlich gebe es dafür bisher keine gesetzliche Grundlage auf Bundesebene. Auch eine kommunale Anzeige- und Meldepflicht fehlt. "Wir haben deshalb auch keinen Überblick darüber, wo schon Hitzeaktionspläne erstellt wurden und wo sie auch wirklich umgesetzt werden", kritisiert Bürck-Gemassmer.
Auch eine Frage des Geldes
Außerdem seien Kommunen nicht ausreichend mit Geld ausgestattet, um auch langfristige Maßnahmen gegen Hitzewellen zu finanzieren. "Das sind Investitionen, die dringend notwendig sind und die sich nach hinten raus auch refinanzieren würden, weil wir sehr viel Leid und Krankheitslast vermeiden können - wenn wir die Bevölkerung gut schützen", sagt der Allgemeinmediziner. "Deshalb glaube ich, dass es einen gesetzlichen Rahmen geben muss, damit entsprechende Gelder in die Einrichtungen und Kommunen fließen können."
Ob solch ein gesetzlicher Rahmen auf Bundesebene kommen wird? Das ist unklar. Aktuell wird geprüft, ob Deutschland einen nationalen Hitzeaktionsplan einführen sollte. Eine Entscheidung dazu soll es im Jahr 2026 geben.
Weitere Informationen
Für die ganz heißen Tage im Sommer plant die Hamburger Sozialbehörde ein erweitertes Informationsangebot: Die "Kühle-Orte-Karte".
mehr
Kreislaufzusammenbrüche und Herzrhythmusstörungen können die Folge großer Hitze sein. Betroffen sind vor allem Ältere.
mehr
Wer im Sommer bei Hitze Sport treiben will, sollte Warnsignale seines Körpers ernst nehmen, um Gefahren zu vermeiden.
mehr
Hitze, Dürre, Starkregen: Welche Regionen im Norden sind vom Klimawandel stark betroffen? Und welche Klimaanpassungen ergreifen sie?
mehr
Die weltweite Klimakrise trifft auch Norddeutschland. Wie kann die Energiewende gelingen? Welches sind die besten Lösungen?
mehr
Dieses Thema im Programm:
NDR Info |
Aktuell |
05.06.2024 | 06:42 Uhr