VIDEO: Norddeutschland im Trockenstress: Der Kampf ums Wasser (11 Min)

Klimawandel: Dürre trifft Norddeutschland besonders stark

Stand: 13.07.2023 07:12 Uhr

Stärker als andere Regionen Deutschlands ist der Norden von Dürren betroffen. Auch Hitze und Starkregen nehmen zu: Um mit den Folgen gut leben zu können, braucht es Anpassung. Bereitet sich der Norden darauf vor? Eine Recherche von NDR, WDR, BR und Correctiv zeigt: Es ist noch Luft nach oben.

von Anna Behrend, Isabel Lerch, Michael Hörz

Starkregen und Hitzewellen - eine Zunahme dieser beiden Wetterereignisse fürchten die meisten norddeutschen Landkreise und kreisfreien Städte. Das geht aus einer gemeinsamen Recherche von NDR, BR, WDR und CORRECTIV hervor, in der alle 400 Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland dazu befragt wurden, welche Folgen des Klimawandels sie für ihre Region fürchten und wie sie sich darauf vorbereiten. In den norddeutschen Bundesländern haben 90 Prozent geantwortet.

Die Sorge vor zunehmenden Dürreperioden scheint etwas weniger präsent zu sein. 75 Prozent befürchten, dass diese in ihrer Region bis 2050 häufiger auftreten werden. Und das, obwohl der Norden - anders als von Hitze oder Starkregen - von Dürre in den letzten Jahren in einigen Regionen stärker betroffen war als der Rest von Deutschland.

Daten des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung zeigen: Betroffen im Norden ist vor allem der Oberboden, also die Schicht, die etwa 25 Zentimeter tief geht. So haben weite Teile Niedersachsens - wie der Heidekreis, der Landkreis Celle, der Landkreis Gifhorn, der Landkreis Osnabrück und der Landkreis Nienburg - in den vergangenen vier Jahren im Schnitt mehr als sechs Dürremonate erlebt. In Schleswig-Holstein trifft das auf die Kreise Stormarn und Herzogtum Lauenburg zu.

Trockener Oberboden: Ein Problem für die Landwirtschaft

Ein ausgetrockneter Oberboden ist insbesondere für die Landwirtschaft problematisch. Denn die ersten 30 Zentimeter des Bodens ab der Erdoberfläche sind sehr humusreich und wichtig für die Versorgung von Pflanzen.

"Wenn man an die zunehmenden Trockenperioden gerade im Sommer denkt, ist es wichtig, dass die Böden Wasser aufnehmen können, wenn es regnet", sagt Sandra Singvogel, Professorin für Pflanzenernährung und Bodenkunde an der Universität Kiel. "Und stark ausgetrocknete Böden können bei plötzlichem Starkregen das Wasser kaum aufnehmen."

Das Meer als zusätzlicher Risikofaktor

Zusätzlich zu den Klimafolgen, die auch andere Landesteile Deutschlands betreffen, haben die Küstenregionen im Norden mit dem Anstieg des Meeresspiegels zu kämpfen. 91 Prozent der Anrainerkreise, die an Nord- und Ostsee grenzen, erwarten, dass die Situation sich verschlimmert.

Um die Gefahren durch Hochwasser abzuschätzen, sind die Bundesländer verpflichtet, sogenannte Risikokarten für Fluss- und Küstenhochwasser zu erstellen. Sie zeigen unter anderem, wie viele Einwohner potenziell von einem Hochwasser betroffen wären. Nur wenn ein Küstengebiet als "ausreichend geschützt" gilt, dürfen die Länder darauf verzichten, das Szenario für ein Jahrhunderthochwasser auszurechnen. Niedersachsen scheint sich sehr sicher zu sein, dass seine Deiche bei einem Jahrhunderthochwasser halten würden und veröffentlicht daher keine Risikokarte für diesen Fall. Aber es gibt Daten für die anderen Nord-Bundesländer. Aus ihnen hat NDR Data berechnet, wie stark die Bevölkerung vor Ort von einer Jahrhundertflut an Nord- und Ostsee betroffen wäre.

Auffällig sind vor allem Ostsee-Orte in Mecklenburg-Vorpommern: Am stärksten prozentual betroffen wäre Rostock mit sechs Prozent der Bevölkerung (knapp 13.000 Personen). In den Landkreisen Vorpommern-Greifswald und Vorpommern-Rügen würde eine Jahrhundertflut gut drei Prozent der Bevölkerung treffen. Innerhalb der Landkreise wären einzelne Gemeinden besonders gefährdet. So finden sich in der Liste der zehn am stärksten betroffenen Gemeinden beispielsweise Zinnowitz mit über 2.400 Personen und Prerow, wo es mehr als neun von zehn Personen treffen könnte (1.370 von 1.450 Personen).

Hitze, Dürre, Starkregen, steigender Meeresspiegel

Dürre und der Anstieg des Meeresspiegels – zwei Klimaphänomene, von denen Norddeutschland im Vergleich zum Rest der Republik besonders betroffen ist, aber auch die anderen Wetterphänomene machen dem Norden zu schaffen. Lena Hübsch, Leiterin des Kompentenzzentrums Klimawandel Niedersachsen, bringt es für ihr Bundesland auf den Punkt: "Wir haben den Meeresspiegelanstieg, der uns betrifft, wir haben die Starkregenereignisse, die besonders im Berg- und Hügelland mehr Gefahren bringen. Wir haben die Dürren, die unsere Landwirtschaft und natürlich auch unsere Wasserversorgung betreffen. Und wir haben in den Städten die Hitzewellen, die uns gesundheitlich treffen."

Doch was genau haben die Landkreise und kreisfreien Städte schon getan, um sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen? Und was ist in den nächsten Jahren geplant? Auch danach haben NDR, BR, WDR und CORRECTIV gefragt.

Was Kreise und kreisfreie Städte tun

Insbesondere an der Nordsee ist der Bau, beziehungsweise Ausbau von Deichen zum Schutz vor steigendem Meeresspiegel und Sturmfluten das Mittel der Wahl. Einige Kreise bauen zusätzlich Mauern oder Absperrwerke, einige arbeiten mit Sandaufspülungen oder nutzen Wellenbrecher. Der Kreis Wesermarsch an der Nordsee beispielsweise schafft neue Salzwiesen.

Abseits der Küste setzt man vor allem auf Begrünung, um die Städte und Ortschaften möglichst kühl und feucht zu halten. So werden in 57 Prozent der norddeutschen Regionen Bäume und Pflanzen angebaut, die mit Trockenheit besonders gut umgehen können. Auch das Begrünen von Fassaden und Dächern wird von fast der Hälfte der Kreise und kreisfreien Städte in Norddeutschland bereits umgesetzt.

Kühleffekte durch begrünte Fassaden, Rasenstreifen, Parks

Ein guter Schritt, findet Anja Bierwirth, Leiterin des Forschungsbereichs Stadtwandel am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. "Es ist egal, ob es eine begrünte Fassade an einem Gebäude ist, ein Rasenstreifen, ein grüner Mittelstreifen oder ein großer Park." All diese mitunter kleinen Maßnahmen haben zusammengenommen wichtige Kühleffekte, die helfen können, die Hitze-Perioden etwas erträglicher zu machen.

Begrünungsmaßnahmen sind also in vielen Städten und Kreisen bereits üblich. Über Hitzeaktionspläne, die die Bevölkerung vor Hitzephasen schützen sollen, etwa durch Frühwarnsysteme oder durch Informationen zum richtigen Verhalten, verfügen allerdings nur elf Prozent aller Kreise und kreisfreien Städte in Norddeutschland. Immerhin ein Viertel der Regionen plant ein solches Dokument in den kommenden fünf Jahren zu erarbeiten.

Personal für Klimaanpassung: In vielen Regionen Aufbau geplant

Beim Umsetzen von Maßnahmen sehen viele Kreise ein finanzielles Problem: 55 Prozent der norddeutschen Landkreise und kreisfreien Städte geben an, dass sie die nötigen Klimaanpassungsmaßnahmen in den kommenden Jahren vermutlich nicht werden finanzieren können. 31 Prozent gehen davon aus, dass sie nur einen Teil der nötigen Vorkehrungen bezahlen können. Damit sieht der Norden diesen Punkt ähnlich wie die deutschen Landkreise und kreisfreien Städte insgesamt.

Immerhin: Fast die Hälfte aller Kreise im Norden (48 Prozent) möchte in den nächsten zwölf Monaten Personal aufstocken und mindestens eine zusätzliche Stelle im Bereich Klimaanpassung schaffen. Damit liegt der Norden über dem Bundesdurchschnitt, wo dies nur 37 Prozent der Regionen planen.

Nur ein Viertel der Regionen hat ein Klimaanpassungskonzept

Bislang hat nur ein Viertel der norddeutschen Landkreise und kreisfreien Städte ein Klimaanpassungskonzept, weitere 23 Prozent erarbeiten eins. Aber eine Konzept allein lässt laut Klima-Expertin Hübsch noch keine Schlüsse darauf zu, ob eine Region gut vorbereitet ist oder nicht: "So etwas hilft sicherlich beim strukturierten Vorgehen. Aber ich nehme an, dass die Landkreise, die kein Konzept haben, das Thema schon mitdenken, weil es einfach alltäglich geworden ist."

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 13.07.2023 | 06:50 Uhr

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