Wie ein Arzt aus Indonesien gegen Plastikmüll kämpft
Ein indonesischer Arzt ermöglicht Patienten eine kostenlose Behandlung, indem er sie mit Einwegflaschen bezahlen lässt. Auch Deutschland könnte dazu beitragen, dass weniger Plastikabfälle in Asien landen. "Die Industrie muss umdenken", meint eine norddeutsche Aktivistin.
Seit Tagen plagen Ujang Zaenudin Kopfschmerzen. Der 58-Jährige geht unsicher, ist fast taub, sein Nachbar Agus muss ihn zum Arzt begleiten. Aber vorher schauen sie noch beim Recyclinghof vorbei, um Plastikflaschen abzugeben. Nur so könne er sich den Arztbesuch überhaupt leisten, erklärt der Nachbar. "Mein armer Freund hat keine Krankenversicherung, es geht ihm nicht gut, aber medizinische Behandlung ist teuer. Zum Glück gibt es hier das kostenlose Programm von der Klinik, wenn du Plastik sammelst."
Plastikflaschen als Zahlungsmittel
Für zehn Flaschen händigt ihnen ein Wertstoffhändler einen Gutschein über zehn Cent aus. Dafür gibt's eine medizinische Behandlung. Dr. Yusuf Nughraha von der Harapan Sehat Klinik in der Kleinstadt Cianjur hatte die Idee. Sein Ansporn: Die Welt vom Plastikmüll befreien. Gesundheit und Umweltschutz gehören für den 44-Jährigen zusammen. Er möchte vor allem die ärmeren Menschen in Cianjur erreichen: "Die Umweltschutzprogramme sind häufig zu abgehoben, das verstehen viele Menschen nicht. Deshalb kam mir die Idee, Plastikflaschen als Zahlungsmittel zu nutzen." Zu ihm trauten sich auch die Ärmeren, denen er so helfen könne, sagt er.
Behandlung und Medikamente kostenlos
Wie Ujang kommen täglich 30 bis 40 Patienten mit einem Gutschein in seine Klinik. Krankenversicherungen sind vielen zu teuer. Gemeinsam mit acht anderen Ärzten behandelt Dr. Yusuf sie hier gratis bei Husten, Fieber oder Verletzungen. Dabei arbeitet er nach einer Art Solidarsystem. Bei Patienten, die mehr zahlen können, passt er den Preis für die Behandlung an: "Meine Patienten wissen, dass sie das Gratis-System mitfinanzieren. So machen wir das einfach hier in der Klinik." In der Region fühlen sich viele alleingelassen mit dem ganzen Müll, vor allem seit die einzige Deponie wegen Überfüllung dichtgemacht hat. Eine Müllabfuhr gibt es auch nicht.
Die Jugend zum Umweltschutz motivieren
Indonesien versinkt im Müll. Gerade gingen erschreckende Bilder von der Insel Bali um die Welt. Am Strand liegen Müllmassen von allen Kontinenten - kein Sand, nur Plastikmüll. Dr. Yusuf aus Cianjur will nicht tatenlos zuschauen. Stattdessen will er zusätzlich die nächste Generation zu Umweltschützern machen. Einmal im Monat besucht er eine Grundschule. Kaum ein Kind in Indonesien hat schon mal von Mülltrennung gehört. Hier lernen sie, warum sie Tüten und Verpackungen nicht einfach in die Natur schmeißen sollen: "Als ich selbst ein Kind hier in Cianjur war, gab es noch saubere Flüsse. Und heute sehe ich, dass wir im Müll versinken und die Menschen Plastik sorglos in die Umwelt werfen." Auch deswegen komme er zu den Kindern - in der Hoffnung, dass sich alles wieder zum Guten wenden kann.
Dr. Yusufs Patienten sammeln 400 Flaschen pro Tag
Dr. Yusuf hat einen ansteckenden Optimismus. Bei den älteren Schülern spricht der Arzt über sauberes Trinkwasser. Auch das ist in Indonesien keine Selbstverständlichkeit. Darum kaufen so viele hier Plastikflaschen. Wasser muss abgekocht oder aus Trinkwasserspendern gezapft werden. Der Arzt erklärt den Schülerinnen und Schülern, wo sie anfangen können, Müll zu reduzieren. Schülerin Natascha merkt gleich einen Unterschied beim Auffüllen ihrer Flasche: "Wenn ich Wasser in Plastikflaschen kaufe, dann verbrauche ich sehr viele." Auch Schüler Aghna fühlt sich vom Arzt zum Umweltschutz inspiriert. Nur etwa zehn Prozent des Plastikmülls in Indonesien werden recycelt, es gibt zu wenige Wertstoffhöfe. In Cianjur kommen an einem Tag manchmal 400 Flaschen allein von Patienten von Dr. Yusuf. Sie landen im Schredder, werden verkauft und in neuer Form wiederverwendet.
Problem liegt auch bei uns in Deutschland
Schaut man sich aber an, wer die großen Verursacher von Plastikmüll sind, landen Länder wie Australien mit 59 Kilogramm pro Kopf und die USA mit 53 Kilogramm pro Kopf auf den vorderen Plätzen. Indonesien ist auf den ersten zehn Plätzen gar nicht zu finden, Deutschland landet immerhin auf Platz acht. Doch das Problem wird buchstäblich ausgelagert: Gewaltige Mengen Plastikmüll werden Jahr für Jahr aus Deutschland gen Asien verschifft. Im Jahr 2023 waren es 158.000 Tonnen, Tendenz steigend. Meeresschützerin Jennifer Timrott aus Schleswig-Holstein weist darauf hin, dass bei der Berichterstattung über Indonesien ein falscher Eindruck entstehen könne: "Vielleicht lenken wir von den großen Problemen ab, wenn wir erzählen, wie Menschen vor Ort in Asien nach Lösungen suchen", sagt sie: "Wir haben zu viel Plastik und wir haben zu viel Armut. Wir müssen uns endlich diesen Herausforderungen stellen."
Meeresschützerin Timrott: Thema ganzheitlich angehen
Jennifer Timrott setzt sich schon seit über zehn Jahren auf unterschiedliche Weise für weniger Plastikmüll ein. Sie sammelt nicht nur selbst Müll an deutschen Küsten ein, sondern hofft auch mit ihrer App "Replace Plastic" etwas bewegen zu können. Gleichzeitig mahnt sie aber auch an, dass der Blick nicht immer auf den Einzelnen gehen dürfe, obwohl es ein systemisches Problem gebe: "Die Industrie muss zum Umdenken bewegt werden und es muss ein Zusammenspiel aus Politik, Bürgern und Wirtschaft sein. Es bringt nichts, wenn wir alle mit dem Finger aufeinander zeigen." Dass in dieser Richtung zu wenig passiert, ist aus ihrer Sicht auch dem massiven Einfluss einer übermächtigen Lobby zu verdanken.
Mehrwegsysteme müssen raus aus der Nische
Auch die Kieler Politikerin Delara Burckhardt, seit 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments, macht sich für weniger Verpackungsmüll stark. Sie bestätigt, dass Maßnahmen zur Verpackungsreduzierung unter enormem Druck der Verpackungslobby stehen, "die einen Wandel hin zu mehr Mehrweg und weniger Verpackungsmaterial zu verhindern versucht", heißt es in einer Pressemitteilung. Was muss also passieren, damit sich etwas ändert? Für Jennifer Timrott ist klar: "Wir müssen mehr Richtung Mehrweg denken. Dafür braucht es aber ein anderes System. Unser Einwegsystem ist hochfinanziert und sehr komplex - genauso komplex müsste das Mehrwegsystem sein. Das ist eine gesellschaftliche Gestaltungsfrage, die jetzt ansteht." Auf jeden Fall könne es nicht sein, dass wir unter dem Druck der Konzerne Plastikverpackungen in Länder wie Indonesien schicken, die kaum Infrastruktur zur Entsorgung haben.
Behandlung auch mitten im Wohnzimmer
Dr. Yusuf, vor Ort in Indonesien, kann das Problem nicht auf einer übergeordneten Ebene lösen. Er macht stattdessen weiter Werbung für sein Programm. Damit noch mehr Menschen davon erfahren, macht er auch Besuche vor Ort. Heute ist er mit einem kleinen Team in ein nahegelegenes Dorf gefahren, und bietet Vorsorge-Untersuchungen an. Das Wohnzimmer des Dorfvorstehers dient als Praxisersatz. Der Arzt arbeitet auch hier kostenlos für alle, die Müll mitgebracht haben. Auch die 69-jährige Eti will den Arzt sehen, weil ihre Muskeln schmerzen: "Als ich am Dienstag beim Beten in der Moschee war, hat mir unser Dorfchef gesagt, dass wir Flaschen sammeln sollen, weil der Doktor kommt und es heute hier eine Gratis-Vorsorge gibt."
Hoffnung treibt den Arzt an
Patientin Eti kann für zehn Plastikflaschen wiederkommen. Sie bekommt dann einen genauen Check-up in der Praxis. Am Nachmittag sind schon wieder zwei Säcke voll mit Plastikflaschen. Insgesamt sind 18 Frauen und Männer in Dr. Yusufs mobile Sprechstunde gekommen. Der Arzt wünscht sich mehr Achtsamkeit bei dem Thema: "Ich hoffe, dass die Menschen hier langsam verstehen, welche Probleme der Plastikmüll mit sich bringt." Der Name seiner Klinik Harapan Sehat, südlich von der Hauptstadt Jakarta gelegen, steht auch auf dem Auto, mit dem der Arzt von Dorf zu Dorf fährt. Übersetzt heißt das "Gesunde Hoffnung" und steht für Dr. Yusufs Antrieb im Einsatz für die Gesundheit und die Umwelt.