Stand: 09.05.2016 17:20 Uhr

Wie "Reichsbürger" Behörden lahmlegen

von Sandra Aïd & Kaveh Kooroshy

"Wer kennt das Handbuch der Behörden zum Umgang mit Reichsbürgern?“, fragt Erhard Lorenz spöttisch. Die rund 30 Anwesenden grinsen und einige melden sich. Im niedersächsischen Goslar ist das selbsternannte "Präsidium des Deutschen Reiches" zusammengekommen. Lorenz, seines Zeichens "Präsidialsenat des Deutschen Reiches" rümpft über das Buch abfällig die Nase.

VIDEO: Wie Reichsbürger Behörden lahm legen (6 Min)

Es geht um ein Handbuch, das vom brandenburgischen Verfassungsschutz mitgeschrieben wurde und Behördenmitarbeitern eine Handlungsanweisung für Männer und Frauen wie die in Goslar liefern soll. Denn die sogenannten Reichsbürger nerven Ämter und Behörden mit wirren Anträgen, Klagen und Beschwerden. Das Problem: Die Ämter müssen jeden Brief der "Reichsbürger" prüfen und so entsteht ein hoher, sinnloser Verwaltungsaufwand.

Weitere Informationen
Wirmerflagge auf Pegida-Demo in Dresden © picture-alliance Foto: Jan Woitas

Besorgte Bürger oder Terroristen?

Die "Wirmer-Flagge" fehlt auf keiner Pegida-Demo, ist auf AfD-Veranstaltungen zu sehen, auch Reichsbürger identifizieren sich damit. Welches Verhältnis haben die Träger dieser Flagge zur Demokratie? mehr

Unsinnige Anzeigen beschäftigen die Behörden

Margret Seemann, Bürgermeisterin von Wittenburg. © SPD-MV Foto: SPD-MV
Wird von sogenannten "Reichsbürgern" zur Terror-Helferin erklärt: Bürgermeisterin Margret Seemann (SPD).

In Wittenburg in Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise gibt es die Reichsbürger-Gruppe um Rüdiger Hoffmann. Er hat die Bürgermeisterin der Stadt angezeigt: Es bestehe der Verdacht der Beihilfe zur illegalen Einwanderung, Menschenhandel und Deckung und Schutz von Terroristen. Nun muss die Schweriner Staatsanwaltschaft, bei der die Anzeige einging, prüfen, ob die SPD-Bürgermeisterin Margret Seemann tatsächlich Terroristen schützt.

Gegenüber "Panorama 3" erklärte der zuständige Staatsanwalt Stefan Urbanek, dass Ermittlungen nicht geführt worden seien - es mangelte am Anfangsverdacht. Das Verfahren sei eingestellt worden. Die Bürgermeisterin kann über den Vorgang nur den Kopf schütteln: "Es ist ohnehin so, dass alle Behörden in den letzten Jahren massiven Personalabbau hatten und da werden Mitarbeiter mit Dingen beschäftigt, die völlig unproduktiv sind. Wir werden da mit völlig unsinnigen, destruktiven Sachen aufgehalten."

Wer sind die "Reichsbürger"?

Was sind "Reichsbürger" eigentlich? "Mit diesem Begriff werden Personengruppen und Einzelpersonen zusammengefasst, welche die Existenz der Bundesrepublik als souveränen Staat leugnen (...) Ebenso häufig glauben sie an die Existenz von Fantasie-Reichsregierungen, welche im Gegensatz zur Regierung der 'BRD GmbH' legitim seien“, sagt der Brandenburger Verfassungsschützer Michael Hüllen. Er sieht bei vielen Reichsbürgern auch Parallelen zum Rechtsextremismus. Sie leben in der Vorstellung, dass das Deutsche Reich weiterexistiert. Und glauben auch, dass Deutschland immer noch ein besetztes Land ist.

Hintergrund: "Reichsbürger"
Drei jugendliche Soldaten in Uniformen mit Pickelhaube auf einer schwarzweißen Fotografie aus dem Ersten Weltkrieg.

"Ist Deutschland ein souveräner Staat?"

Die Gedankenwelt der "Reichsbürger" erscheint oft abstrus. Der Bayerische Rundfunk hat fünf zentrale Behauptungen ihrer Ideologie einem Faktencheck unterzogen. extern

"Reichsbürger": Ein Handbuch

Das Brandenburgische Institut für Gemeinwesenberatung "Demos" klärt in einem Handbuch über die Gruppen der sogenannten "Reichsbürger" auf. Download (5 MB)

In Goslar zeigt der "Staatssekretär im Reichspresseamt", Roland Ziegler, seinen selbst gedruckten Ausweis. Die Ausweise müssen bei der so genannten "Deutschen Reichsdruckerei" beantragt werden. Der "Reichs-Personenausweis", der "Reichs- und Staatsangehörigkeitsausweis" oder die "Reichs-Fahrerlaubnis" kosten dabei zwischen zwanzig und dreißig Euro.

Sicherheitsschulungen für Mitarbeiter

Im Wittenburger Rathaus wird nicht nur die Bürgermeisterin von den Reichsbürgern belästigt. Auch ihre Mitarbeiter in der Stadtverwaltung sind immer wieder dem aggressivem Verhalten der Reichsbürger ausgesetzt. Deshalb haben sie nun Sicherheitsschulungen bekommen. Keine Scheren, keine Locher mehr offen auf dem Schreibtisch. Und: Das Rathaus in Wittenburg kann man auch nicht mehr einfach so betreten. Man steht vor einer geschlossenen Tür, muss klingeln und wird dann abgeholt.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 10.05.2016 | 21:15 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Rechtsextremismus

Ein Smartphone mit einem eingeblendeten NDR Screenshot (Montage) © Colourbox Foto: Blackzheep

NDR Info auf WhatsApp - wie abonniere ich die norddeutschen News?

Informieren Sie sich auf dem WhatsApp-Kanal von NDR Info über die wichtigsten Nachrichten und Dokus aus Norddeutschland. mehr

Eine Frau schaut auf einen Monitor mit dem Schriftzug "#NDRfragt" (Montage) © Colourbox

#NDRfragt - das Meinungsbarometer für den Norden

Wir wollen wissen, was die Menschen in Norddeutschland bewegt. Registrieren Sie sich jetzt für das Dialog- und Umfrageportal des NDR! mehr

Mehr Nachrichten

Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Demonstration stehen auf dem Betriebsgelände der Thyssenkrupp Marine Systems. © picture alliance Foto: Frank Molter

Metall- und Elektroindustrie: Gewerkschaft setzt Warnstreiks fort

Die IG Metall will die Aktionen heute im Norden nach ersten Arbeitsnieder-legungen am Montag ausweiten. Bislang gibt es im Tarifkonflikt keine Annäherung. mehr