Fürchtet Euch nicht (vor dem Falschen)!
Das Jahr 2016 war das Jahr der Angst - so jedenfalls lautet eines der Ergebnisse der sogenannten Angst-Studie der R+V Versicherung, die seit 25 Jahren den Sorgen der Deutschen auf den Grund geht. Nie zuvor seit Beginn der Erhebung waren die Sorgen demnach größer als heute. Aber in vielen Fällen steht die Angst gar nicht in einem proportionalen Verhältnis zur tatsächlichen Bedrohung. Und oft hat sie sogar relativ wenig damit zu tun. In der Reihe "NDR Info Perspektiven" fragen wir, warum das so ist und was man dagegen tun kann. Welche Ängste haben die Menschen und wie gerechtfertigt sind die Sorgen? Diese Fragen haben wir in einem Interview auch einem Psychologen und Risikoforscher gestellt.
Spätestens seit den Anschlägen von Paris, Nizza und Brüssel ist vor allem eine Angst in Deutschland größer geworden: die vor dem Terrorismus. Im Spätsommer bekannten Dreiviertel aller Befragten im ARD-DeutschlandTrend von Infratest dimap, sich vor einem Terroranschlag zu fürchten. Diese Sorge nimmt auch in der Angst-Studie Platz eins ein.
Dabei ist diese Gefahr für den einzelnen Deutschen bislang - statistisch gesehen - verschwindend gering. So kamen in Deutschland seit dem Jahr 2000 zwanzig Menschen durch Terroranschläge ums Leben. Die Hälfte von ihnen waren Opfer des NSU, in zwei weiteren Fällen kamen ausschließlich die Attentäter selbst ums Leben. Will man aus diesen 17 Jahren einen Durchschnitt errechnen, wären das 1,2 Todesopfer pro Jahr. Zum Vergleich: Die Zahl der Verkehrstoten lag nach Angaben des Statistischen Bundesamtes auch im Jahr 2014 wieder bei fast 3.600.
Sind die Behörden wirklich mit Flüchtlingen überfordert?
Ein weiteres Top-Thema, das die Menschen laut der Angst-Studie der R+V-Versicherung umtreibt, hängt mit den Flüchtlingen zusammen. So haben Menschen offenbar ausgerechnet dort am meisten Angst vor Flüchtlingen, wo sie besonders wenige zu Gesicht bekommen haben. In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise fürchten sehr viele Menschen, dass Deutschland und die hiesigen Behörden mit den Flüchtlingen überfordert sind. 81 Prozent geben diese Sorge bei der Angst-Studie an - obwohl das nordöstliche Bundesland nur zwei Prozent aller Flüchtlinge aufnimmt und die Behörden dort für schnelle Asylverfahren gelobt werden.
Gibt es heute wirklich immer mehr Einbrüche?
Einen der ersten Plätze im Angst-Ranking belegt auch die Sorge vor steigender Kriminalität. Tatsächlich gestiegen ist in diesem Jahr die Zahl der Wohnungseinbrüche: laut Polizeilicher Kriminalstatistik 2015 um fast zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr, auf rund 167.000 Fälle. Was allerdings weniger bekannt ist: In den neunziger Jahren waren die Einbruchszahlen deutlich höher als heute.
Wirklich gefährliche Dinge werden ausgeblendet
Im Übrigen lauern in der eigenen Häuslichkeit noch viel realere Bedrohungen als Einbrecher. Bei alltäglichen Arbeiten im Haushalt - etwa durch einen Sturz von der Leiter - sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2014 mehr als 9.000 Menschen ums Leben gekommen. Trotzdem fürchten sich die wenigsten, wenn sie eine Glühbirne auswechseln oder die Fenster putzen.
65 Prozent der jährlichen Todesfälle gehen außerdem auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs zurück. Obwohl jeder weiß, dass sich das Risiko dieser Erkrankungen durch Sport oder gesündere Ernährung senken ließe, fällt es den meisten leichter, diese Themen einfach ganz auszublenden.
- Teil 1: Wovor haben wir Angst - und warum?
- Teil 2: Interview: Was ist hilfreich im Umgang mit Ängsten?