Städtepartnerschaft mit China: "Chancen und wahnsinnige Naivität"
Sind Sicherheitsbedenken wegen einer angedachten Städtepartnerschaft von Kiel mit dem chinesischen Qingdao berechtigt? China-Experte Finn Mayer-Kuckuk forderte im Gespräch mit NDR Info, nicht blauäugig in eine solche Partnerschaft einzuwilligen, aber auch die Chancen und Vorteile zu sehen. Wichtig sei, dass es zukünftig mehr China-Expertinnen und -Experten in den beteiligten Städten gibt.
Chinas Weltmachtsanspruch, seine Haltung zu Russland, der Taiwan-Konflikt und die kritische Menschenrechtslage - die Rahmenbedingungen für Partnerschaften zwischen deutschen und chinesischen Städten könnten deutlich besser sein. Dennoch prüft die Stadt Kiel derzeit eine mögliche Partnerschaft mit der chinesischen Millionen-Metropole Qingdao. Ist das nachvollziehbar? Und was gilt es dabei zu beachten - auch mit Blick auf Sicherheitsfragen? Über diese und weitere Fragen hat NDR.de mit dem Sinologen Finn Mayer-Kuckuk gesprochen, der die Redaktion des Newsletters China.Table in Berlin leitet.
Herr Mayer-Kuckuk, der Rat der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel prüft eine mögliche Städtepartnerschaft mit Qingdao. Kiel beheimatet aber einen der wichtigsten deutschen Marine-Stützpunkte. Jetzt werden Bedenken geäußert im Hinblick auf eine mögliche Spionage-Gefahr beim Schiff- und U-Boot-Bau. Teilen Sie diese Bedenken?
Finn Mayer-Kuckuk: Ja, die Bedenken würde ich teilen. Aber ich sehe es etwas differenzierter als viele der Kritiker. Ich glaube, man kann so eine Städtepartnerschaft sehr gut eingehen, wenn man genau beobachtet, wie sie sich in der Praxis gestaltet. Was will die chinesische Seite sehen? Welche Interessen könnten dahinter stecken? China arbeitet unglaublich zweckorientiert und hat sich - ganz allgemein gesagt - in der Vergangenheit überall auf der Welt Wissen angeeignet und es dann auch genutzt. Wenn, dann sollte es also eine Städtepartnerschaft mit einer ordentlichen Portion Misstrauen sein.
Wie sähe beim Beispiel Kiel - Qingado denn das Worst-Case-Szenario aus?
Mayer-Kuckuk: Wenn es so laufen sollte, dass man diese Partnerschaft eingeht und als erstes wollen die Chinesen dann die U-Boote im Marinestützpunkt sehen - das wäre natürlich ein No-Go. Militärstandorte sollten nicht Teil einer Städtepartnerschaft sein, aber das wäre auch sehr ungewöhnlich. Wenn also das Hauptinteresse der chinesischen Seite auf der U-Boot-Basis und dem Wissenschaftsinstitut Geomar liegen sollte, dann müssten die Alarmglocken schrillen und entsprechend die Notbremse gezogen werden. Es kann ein U-Boot-Interesse der chinesischen Seite dahinterstecken auch vor dem Hintergrund des Taiwan-Konflikts, ausschließen würde ich das nicht. Aber Chinesen können nach Deutschland einreisen, sich hier frei bewegen und nach Kiel fahren. Spione würden also ohnehin von außen an die Militärstandorte in Schleswig-Holstein herankommen. Ganz anders verhielte es sich mit einer Städtepartnerschaft, deren konkrete Ausgestaltung in einen Schüleraustausch, klassischen Konzerten und dergleichen mündet. Das würde Deutschlands Sicherheit wohl kaum zusätzlich in Gefahr bringen.
Der Impuls, aus der schon bestehenden Städtefreundschaft eine offizielle Städtepartnerschaft zu machen, soll ja von chinesischer Seite ausgegangen sein. Was könnte denn ein "friedlicher" Grund dafür sein?
Mayer-Kuckuk: Warum Qingdao ausgerechnet jetzt mit dem Ansinnen um die Ecke kommt, muss man tatsächlich hinterfragen. Es gibt aber erst einmal keinen Grund, eine Partnerschaft kategorisch abzulehnen oder auszuschließen. China ist gerade auf einer diplomatischen Charmeoffensive. Staatschef Xi Jinping schüttelt einem Staatsgast nach dem anderen in Peking die Hand. Das hat den ganz konkreten Hintergrund, dass China nach dreijähriger Corona-Isolation wieder sein außenpolitisches Gewicht in die Waagschale werfen will. Wenn von der Staatsführung vorgegeben wird, wir verbinden uns wieder mit dem Ausland, dann ziehen alle Ebenen der Staats- und Parteiapparate mit. Es kann also durchaus sein, dass einfach nur das Ansinnen dahinter steckt, eine Städtepartnerschaft zu vertiefen, und nicht der Versuch, die U-Boote in Kiele auszuspionieren. Nicht, dass ich das für wahrscheinlicher halte, aber: Völkerfreundschaft und Völkerverständigung gehören schon seit den Zeiten von Mao zur politischen DNA Chinas.
Ist eine ausgeglichene Partnerschaft mit chinesischen Städten - ohne Gefahren für die deutsche Seite - aus Ihrer Sicht überhaupt möglich?
Mayer-Kuckuk: Das ist absolut möglich! In einer Welt, die so schwierig und gefährlich geworden ist, können zum Beispiel Schüleraustausche ausgesprochen nützlich sein. Außerdem gibt es noch die Bereiche Kultur, Theater oder auch Sport. Bei Kiel und Qingdao ist zum Beispiel das Segeln eine große Gemeinsamkeit. Das alles kann man ja auch festlegen als Punkte für eine offizielle Partnerschaft. Und dann gäbe es keinen Grund, mit Paranoia an das Projekt heranzugehen.
Welche Chancen bietet dann so eine unverfängliche Städte-Beziehung "auf Augenhöhe"?
Mayer-Kuckuk: Das kann zum Beispiel auch aus gesamteuropäischer Perspektive nützlich sein, wenn die geopolitischen Beziehungen zwischen beiden Seiten so im Keller hängen wie derzeit. Dann eröffnet eine Städtepartnerschaft Gesprächskanäle und einen Rahmen, in dem Deutsche und Chinesen zusammenkommen und etwas Sinnvolles machen können.
Mit Blick auf die derzeit angespannte Lage: Sehen Sie mehr mehr Chancen oder mehr Risiken für Partnerschaften zwischen Deutschland und China?
Mayer-Kuckuk: Ich sehe mehr Chancen, ich sehe aber auch eine wahnsinnige Naivität in Deutschland. In der Bubble der China-Forschung merken wir immer wieder, dass deutsche Akteure sehr blauäugig an die von China gepriesenen "Kooperationen" herangehen. Sie gehen davon aus, dass die chinesische Seite ähnliche Interessen hat wie sie selbst. Man darf nicht vergessen: In China ist alles dem Parteistaat untergeordnet, auch die Stadt Qingdao etwa ist letztendlich ein Organ der Kommunistischen Partei in Peking. Das Sagen hat nicht der Bürgermeister, sondern der Parteisekretär von Qingdao. Dieses Bewusstsein dafür, wer eigentlich meine Gesprächspartner auf der anderen Seite sind und was sie wollen, das fehlt häufig. In Deutschland ist in den vergangenen Jahrzehnten vielleicht auch ein bisschen das Gespür dafür verloren gegangen, dass es Geheimdienstaktivitäten und Spionage gibt. Deswegen muss in den Städten, die eine Partnerschaft mit China anstreben, auch jemand tätig sein, der die nötige China-Kompetenz besitzt und Ahnung davon hat. Das Problem ist also nicht eine Städtepartnerschaft mit China an sich, sondern eine blauäuige. Übrigens: Es ist sogar Teil des Koalitionsvertrags, die China-Kompetenz in Deutschland zu stärken.
China ist ein wichtiger Handelspartner Deutschlands, aber auch ein starker Rivale und vor allem eine Weltmacht mit autoritärer Agenda - das bietet Anlass für Debatten und auch Sorgen. Haben sich denn die Rahmenbedingungen für Städtepartnerschaften verändert in jüngster Zeit?
Mayer-Kuckuk: Früher wurde müde gelächelt und gesagt: "Dann sollen sie halt kommen und was lernen." Jetzt aber, wo Chinesen plötzlich bessere und günstigere Autos bauen als die Deutschen und wo die geostrategische Weltlage so viel Sorge bereitet, hat sich das Bewusstsein für die potenzielle Gefährlichkeit solcher Beziehungen dann doch geändert. Aber die Welt ist nun einmal ein gefährlicher Ort; wenn man versucht, alle Risiken zu vermeiden, dann geht man irgendwann gar nicht mehr aus dem Haus. Ein bisschen Austausch muss es ja schon geben.
Vor welchen Herausforderungen stehen denn Partnerschaften mit Städten in China in diesen unruhigen Zeiten und auch vor dem Hintergrund, dass China sich nicht von Russland distanziert?
Mayer-Kuckuk: Wir sollten keine schlimmen Ereignisse vorwegnehmen, bevor sie überhaupt passiert sind. Russland hat seinen friedlichen Nachbarn brutal überfallen. China macht im Inland schreckliche Menschenrechtsverletzungen. Aber das ist nicht neu, das macht China seit der Machtübernahme der Kommunisten 1949. Das war auch zu jedem Zeitpunkt bekannt, als die bestehenden Städtepartnerschaften eingegangen wurden. So gesehen gibt es da jetzt keine objektive qualitative Veränderung. Hüten sollte man sich aber natürlich davor, die Menschenrechtsverbrechen in der Region Xinjiang zu ignorieren und dadurch zu legitimieren. Das ist ja dem VW-Konzern aus Wolfsburg passiert, der ausgerechnet dort ein Werk gebaut hat. Wenn solche Ansinnen kommen, sollte man bewerten können, was das für langfristige Konsequenzen haben kann. Für Volkswagen bedeutet das Werk in Ürümqi mitten im Zentrum dieser Menschenrechtsverletzungen jetzt erhebliche Image-Nachteile und auch mittelfristig möglicherweise Probleme mit den Lieferkettengesetzen.
Das Interview führte Uli Petersen, NDR.de.