Soziologe Axel Salheiser spricht in ein Mikrofon. © picture alliance/dpa Foto: Martin Schutt
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AUDIO: Soziologe: Wähler-Potenzial der AfD ist noch nicht ausgeschöpft (10 Min)

Soziologe: Wähler-Potenzial der AfD ist noch nicht ausgeschöpft

Stand: 25.02.2025 14:15 Uhr

Wie umgehen mit dem starken Bundestags-Wahlergebnis der in Teilen rechtsextremen AfD? Der Soziologe Axel Salheiser meint, die demokratischen Kräfte seien nun zu konstruktivem Handeln aufgefordert.

Die AfD hat in fünf ostdeutschen Bundesländern bei der Bundestagswahl die höchsten Stimmanteile geholt. Bundesweit kam die Alternative für Deutschland auf 20,8 Prozent und wurde nach der Union zweitstärkste Kraft. Wie sollen die übrigen Parteien, wie soll die Gesellschaft damit umgehen? NDR Info hat dazu Axel Salheiser interviewt, Soziologe und wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena.

Herr Salheiser - also wie umgehen mit diesem Wählervotum zur AfD?

Axel Salheiser: Die demokratischen Parteien sind aufgefordert, damit umzugehen. Man muss aber erst mal überhaupt sagen: Die Stärke der rechtsextremen AfD kommt durch die Schwäche und auch ein strategisches Versagen der demokratischen Parteien zustande - auch der ehemals großen Volksparteien -, Lösungen anzubieten, die vielleicht auch Wählerinnen von der AfD wieder wegziehen oder verhindern, dass AfD gewählt wird. Die AfD saugt politische Unzufriedenheit auf wie ein Schwamm. Der Anspruch war, die AfD zu halbieren, das war Aussage von Friedrich Merz. Nun hat sie sich exakt verdoppelt im Vergleich zu 2021. Sie hat auch einen nicht unerheblichen Nichtwähler-Zustrom und neue Wähler*innen rekrutieren können.

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Die AfD ist eine Polarisierungs-Unternehmerin - und das politische Klima ist zunehmend polarisiert. Dass die Wähler*innen ihre Stimme der AfD geben, das ist ihre demokratische Wahlentscheidung. Das macht die AfD aber nicht zu einer demokratischen Kraft. Sie ist antidemokratisch. Und es gab auch unter anderem von Friedrich Merz (CDU) die ganz klare Ansage: Mit der AfD wird er nicht koalieren. Die Demokrat*innen werden untereinander Kompromisse schließen. Und auch andere kleine Parteien - demokratische kleine Parteien - haben den Einzug in den Bundestag nicht geschafft. Dieser Wähler*innen werden auch von den anderen Parteien mitrepräsentiert - von deren Abgeordneten. Nur - aus der Wahl leitet sich selbstverständlich kein Gestaltungsanspruch ab. Ich verstehe das, da sehr viele Leute AfD gewählt haben. Aber so läuft es eben nicht in der parlamentarischen Demokratie. Und die AfD verbreitetet da auch Desinformationen und politische Lügen.

Sie haben es gerade schon gesagt: Für die Regierungsbildung spielt die AfD keine Rolle, weil die Union erst mal eine Koalition mit ihr ausgeschlossen hat. Aber welchen Effekt hat das dann? Noch mehr Frust bei den Wählerinnen und Wählern der AfD?

Salheiser: Dass die Menschen darüber nicht begeistert sind und dass sich AfD-Wähler*innen natürlich die Partei in der Verantwortung wünschen, das ist nachvollziehbar. Frau Weidel hat ja auch noch mal ausdrücklich gesagt, dass sie bereit sei zur Regierungsbeteiligung, um den Willen des Volkes, den Willen Deutschlands umzusetzen, wie sie sich ausgedrückt hat. Und sie hat auch gesagt: "Wenn man so weiter macht in den nächsten Jahren, dann werden wir stärkste Partei." Gerade im Osten ist dieses Ergebnis schon ein drastisches. Und ja, viele AfD-Wähler*innen mögen frustriert sein, viele AfD-Wähler*innen mögen den Erzählungen und auch den Versprechungen der AfD auf den Leim gehen. Aber es ist jetzt an der demokratischen Politik, wirklich Lösungsangebote zu finden, die letzten Endes auch den Frust der Wähler*innen so senken, dass sie eben nicht mehr geneigt sind, der AfD eine Stimme zu geben. Den Gestaltungsanspruch, den würde ich aufgrund der Tatsache, dass die AfD tatsächlich antidemokratisch, antiliberal, autoritär und rechtsextrem ist, eben zurückweisen. Das muss auch klarer kommuniziert werden als es in der Vergangenheit getan wurde.

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Wie erklären Sie sich, dass die AfD gerade in den ostdeutschen Flächenländern so erstarkt ist?

Salheiser: Das können wir natürlich auf die problematische Entwicklung in Ostdeutschland und die Abschichtung zwischen Ost und West zurückführen. Ostdeutschland ist in viel stärkerem Maße flächendeckend eine Gesellschaft, die von den Transformationsumbrüchen seit der Wiedervereinigung gebeutelt ist, wo es auch sozioökonomische Problemlagen anders noch mal gibt als in einigen Regionen von Westdeutschland. Und wir haben auch ein Demokratiedefizit. Also wir sehen letzten Endes Rechtspopulismus, der sich demokratisch kleidet, und auch eine vehemente und attraktiv wirkende scharfe Regierungskritik, populistisch kommuniziert. Und dass diese Propaganda und teilweise auch antidemokratische Hetze der extrem Rechten und ihrer parlamentarischen Kraft - der AfD -, in Ostdeutschland stärker verfangen. Hier kommen auch Einstellungspotenziale zusammen, die wir in der Demoskopie, in der Politikwissenschaft, in der Soziologie eben verstärkt in Ostdeutschland beobachten. Und das gilt auch zum Beispiel für Mecklenburg-Vorpommern.

Wie kommt man da raus? Die demokratischen Parteien haben ja viel probiert. Sie verweisen auf die rechtsextremen Tendenzen, sie versuchen, sie inhaltlich zu stellen. All das scheint ja erst mal nichts zu nützen. Also wie geht es besser?

Salheiser: Ein großer Treiber der Wahlentscheidung ist Statusverlust-Angst, rechtsextreme Orientierung oder die Unterstützung von rechtspopulistischen Aussagen, auch von scharfer Eliten-Kritik, hoher Demokratie-Unzufriedenheit und auch einer negativen Zukunftsaussicht. Und wir reden immer über Mangel von Visionen für die Zukunft, für die Orientierung - wenn eben nicht klar ist, wie es weitergeht, mit Deutschlands Zukunft. Ich meine, das war jetzt auch eine grundsätzliche Wahl, die unter dem Stichpunkt der Zeitenwende stattfand. Auch im Wahlkampf wurde das thematisiert: "So kann es nicht weitergehen!". Aber wenn die Leute keine verlässliche Orientierung bekommen und Angebote, die sie als überzeugend wahrnehmen, dann wenden sie sich eben Kräften zu, die populistisch vielleicht sogar eine Rückkehr zu einer ersehnten und vermeintlich besseren Vergangenheit versprechen. Dem muss entgegengewirkt werden.

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Denken Sie denn, dass die AfD noch stärker werden könnte, wenn Friedrich Merz womöglich auch nicht einhält, was er versprochen hat - bei der Migration, bei der inneren Sicherheit?

Salheiser: Ja, durchaus kann das sein, dass auch diese Problemlagen der inneren Sicherheit, auch der Migrationsfrage, da nun weiter unterstützend sind. Sie haben in der letzten Zeit gerade im Kontext der islamistischen Attentate, die von ausreisepflichtigen Asylsuchenden begangen worden sind, sehr stark gewirkt. Sie haben den Wahlkampf eben auch überstrahlt. In den nächsten vier Jahren wird sich zeigen, ob auch diese Problemfelder sachgemäß mit Augenmaß und demokratisch geregelt werden. Ansonsten droht natürlich die AfD auch aus diesem Potenzial weiterhin zu schöpfen, wie auch aus den sozioökonomischen Problemlagen in unserem Land - soziale Ungerechtigkeit und so weiter. Wo es der AfD ja auch gelungen ist, diese Themen mit zu bespielen, sie rassistisch und völkisch aufzuladen.

Also: Ich muss es ganz ehrlich sagen, das Wähler*innen-Potenzial der AfD ist weder in Ostdeutschland, noch in Süddeutschland, in Westdeutschland oder in Norddeutschland ausgeschöpft. Wir sehen sogar, dass oftmals dort, wo die AfD Direktmandate bekommen hat - und sie hat sehr viele Direktmandate gewonnen, gerade im Osten - die Direktkandidaten sogar noch mehr Stimmen bekommen haben als die AfD bei den Zweitstimmen. Das zeigt an, dass es noch sehr viele Leute gibt, die vielleicht der AfD noch zuströmen könnten. Außerdem haben wir gesehen, dass selbst immer noch auch Nichtwählerpotenziale nicht ausgeschöpft sind und die AfD davon profitieren könnte. Es ist jetzt mehr als ein Warnzeichen, weil: Der Schaden ist angerichtet. Wir haben eine starke AfD, eine unheimlich starke rechtsextreme Partei im neuen Bundestag, repräsentiert auf Länderebene. Und das wird Folgen für die demokratische Kultur haben und auch weiter zur Polarisierung der demokratischen Kultur beitragen. Dem müssen demokratische Kräfte - vor allen Dingen auch eine Zivilgesellschaft - mit konstruktiven Handlungen entgegenwirken.

Das Interview führte NDR Info Moderatorin Liane Koßmann

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NDR Info | Interview | 25.02.2025 | 08:21 Uhr

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