Schlickverklappung vor Scharhörn: Hamburg will Ernst machen
Ab Januar will Hamburg Elbschlick vor der Vogelschutzinsel Scharhörn entsorgen. Damit könnte der Streit mit dem Nachbarland Niedersachsen eskalieren. Die rot-grüne Koalition dort erwägt rechtliche Schritte.
Sollen wir oder sollen wir nicht? Sollen wir Schlick aus dem Hamburger Teil der Tideelbe vor der Insel Scharhörn ins Meer kippen oder doch lieber nicht? Mit dieser Frage hat sich der Hamburger Senat ein gutes Jahr gequält. Nun gibt es eine Antwort. Wie aus einem Schreiben der Hamburg Port Authority (HPA), also der Hafenbehörde, hervorgeht, sollen "ab dem 01.01.2023" Sedimente aus dem Hamburger Abschnitt der "Bundeswasserstraße Elbe" hinaus vor die Elbmündung gebracht werden.
Neue rot-grüne Koalition lehnt Verklappung vor Scharhörn ab
Damit eskaliert der Streit mit dem Nachbarland Niedersachsen. Bereits die im Oktober abgewählte Große Koalition war gegen die Verklappung von Hamburger Schlick vor der niedersächsischen Küste. Die neue rot-grüne Landesregierung hat diese Ablehnung nun sogar in ihrem Koalitionsvertrag verankert. "Wir lehnen Schlickverklappungen vor der Vogelschutzinsel Scharhörn strikt ab und werden nötigenfalls rechtliche Schritte ergreifen", heißt es da.
Der ehemalige Umwelt- und jetzige niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) hatte gegenüber dem NDR Politikmagazin Panorama 3 bereits im März angekündigt, dass man vorsorglich eine Klage ausarbeiten werde. Niedersachsen befürchtet, dass Sedimente, die noch dazu mit Schadstoffen belastet sein könnten, an die niedersächsische Küste geschwemmt werden.
Elbvertiefung - Zugang zum Hamburger Hafen gefährdet
Im Oktober hatte der Hamburger Senat mitgeteilt, dass es 2022 keine Schlicktransporte ins Meer vor Scharhörn geben werde. Aber die Not scheint so groß zu sein, dass es jetzt gleich zu Beginn des neuen Jahres losgehen soll. In der Tideelbe lagert sich so viel Schlick ab, dass die mit dem neunten Ausbau der Fahrrinne angestrebten Tiefen nicht gehalten werden können. Der Schlick bedroht den sicheren Zugang großer Schiffe zum Hamburger Hafen. Hamburg hat zwar bereits eine Klappstelle in der Nordsee südlich von Helgoland. Aber die mit Schleswig-Holstein vereinbarten Mengen reichen nicht aus, um das Baggergut aus dem Hamburger Bereich der Elbe aufzunehmen.
HPA-Papier liegt NDR vor
In dem HPA-Papier vom 10. November, das dem NDR vorliegt, begründet Hamburg, warum es die Abladung von Sedimenten bei Scharhörn für zulässig hält: Die geplante Verbringstelle liege nicht in einem Naturschutzgebiet und außerhalb des Unesco-Welterbes Wattenmeer, heißt es da. Sie sei "Hamburgisches Staatsgebiet". Die HPA benötige für Maßnahmen zur Unterhaltung der Elbfahrrinne keine extra Erlaubnis.
Vor allem sei Hamburg nicht auf ein Einvernehmen mit den Nachbarbundesländern angewiesen. Die Nachbarn hätten der Elbvertiefung zugestimmt. Diese Zustimmung gelte auch für die Maßnahmen, die für die Freihaltung der ausgebauten Fahrrinne ergriffen werden.
Die HPA betont: "Soweit daher die in ihrer Verwaltungskompetenz durch einen Wasserstraßenausbau betroffenen Länder ihr Einvernehmen mit dem Wasserstraßenausbau erklärt haben (…), erstreckt sich dieses Einvernehmen auch auf die mit dem Ausbau notwendigerweise verbundenen Unterhaltungsmaßnahmen."
Koalitionsvertrag in Niedersachsen: Neunte Elbvertiefung ökologisch gescheitert
Unklar ist jedoch, wie es rechtlich zu bewerten ist, dass viele Annahmen des 2012 veröffentlichten Planfeststellungsbeschlusses zur Elbvertiefung sich als falsch erwiesen haben. So fällt in der Tideelbe deutlich mehr Schlick an als vorausgesagt. "Die neunte Elbvertiefung ist ökologisch gescheitert, das belegt die ungelöste Bewältigung der enorm gestiegenen Baggergutmengen", heißt es im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung in Hannover.
Niedersachsen will Baggergut für Deichbau nutzen
Niedersachsen, Schleswig-Holstein und der Bund treten für die Idee ein, Sedimente für den Deichbau zu nutzen. Angesichts des steigenden Meeresspiegels ist entlang der norddeutschen Küste eine Erhöhung der Deiche notwendig. Allein mangelt es an konkreten Plänen zur Umsetzung. In ihrem Papier schreibt die Hamburger Hafenbehörde, dass es an Kapazitäten für die Behandlung angelandeter Sedimente fehle. Im Übrigen gebe es "keine große Nachfrage nach derartigem Material".
Geplante Verklappung vor Scharhörn: 2,5 Millionen Kubikmeter jährlich
Bis zu einer Million Tonnen Trockensubstanz, das entspricht etwa 2,5 Millionen Kubikmetern ausgebaggertem Schlick, will Hamburg ab 2023 jährlich bei Scharhörn verklappen. Das bestätigte die Hamburgische Wirtschaftsbehörde auf Anfrage. Die Transporte sollen bis zum 15. März dauern und künftig am 1. November beginnen, teilte ein Sprecher mit. Ursprünglich war geplant, wie aus dem HPA-Schreiben hervorgeht, von Oktober bis April zu verklappen. Man habe den Zeitraum verkürzt.
Außerdem wolle Hamburg vornehmlich bei Ebbstrom verklappen, damit das Material in die Nordsee hinausgetragen werde. "Bis auf Weiteres" wolle Hamburg nur Schlick aus der Bundeswasserstraße, also aus dem Bereich vor dem Eingang zum Hafen und nicht aus den Hafenbecken, hinausbringen.
Reicht Niedersachsen die vorbereitete Klage ein?
Ob Niedersachsen sich mit diesen "Minderungsmaßnahmen" zufrieden geben wird, darf bezweifelt werden. Die Landesregierung muss nun entscheiden, ob sie die vorbereitete Klage gegen die Schlickverklappung bei Scharhörn vor Gericht einreichen wird.