Niedrige Bußgelder: Raserparadies Deutschland
Wer rast, der zahlt, wer nach Vorschrift fährt, der hat nichts zu befürchten. So einfach sollte das sein - ist es aber nicht. Denn das Risiko erwischt zu werden ist offenbar gering und die Bußgelder für Temposünder sind im europäischen Vergleich gerade zu läppisch. Kritiker fordern jetzt eine höhere Kontrolldichte und drastische Bußgelder für Temposünder.
3.475 Menschen starben im Jahr 2015 auf deutschen Straßen. Laut Statistischem Bundesamt waren das fast drei Prozent mehr als im Vorjahr. Damit stieg die Zahl der Verkehrstoten das zweite Jahr in Folge an. Killer Nummer Eins: überhöhte Geschwindigkeit. Die Zahl der Personen, die schwer oder leicht verletzt wurden, erhöhte sich 2015 gegenüber dem Vorjahr um mehr als ein Prozent auf etwa 393.700.
Europaweiter Blitzmarathon
Um Raser zu stoppen, veranstaltete die Polizei zum vierten Mal den sogenannten bundesweiten Blitzmarathon: Am 21. April nahmen Polizisten in zehn Bundesländern und im europäischen Ausland Autofahrer ins Visier, die ihren Fuß nicht vom Gas nehmen wollen. Im Internet und in den Verkehrsmeldungen im Radio wurden die Autofahrer vorher informiert, auf welchen Straßen genau geblitzt wird.
Die Bilanz in diesem Jahr: Bundesweit gerieten etwa zwei Millionen Fahrzeuge in die Geschwindigkeitsmessungen, dabei wurden rund 72.000 Raser erwischt. Damit waren 3,6 Prozent der Fahrer zu schnell unterwegs - im vergangenen Jahr lag die Quote noch bei 2,8 Prozent. Wie sinnvoll der vorher angekündigte Blitzmarathon ist, darüber streitet nun in Deutschland die Politik.
Ziel: Autofahrer sensibilisieren
In Hamburg und Schleswig-Holstein kontrollierten Hunderte Beamte an verschiedenen Kontrollpunkten. Der Blitzmarathon sei ein sinnvolles Mittel, um Autofahrer nachhaltig zu sensibilisieren, heißt es aus Polizeikreisen. An diesen angekündigten Tagen gebe es wesentlich mehr Autofahrer, die besonders aufpassen und deshalb nicht geblitzt würden, meint Sandra Mohr, Pressesprecherin der Polizeidirektion Bad Segeberg. "Uns geht es nicht darum, viele zu blitzen, sondern auf das Thema aufmerksam zu machen. Das ist die Nachricht, die den Bürgern übermittelt wird."
Pistorius: Höhere Bußgelder für Raser
Im Gegensatz dazu nahmen Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen gar nicht erst am Blitzmarathon teil. Der Grund sei die ohnehin angespannte Einsatzsituation bei der Polizei, sagte ein Sprecher des Innenministeriums in Schwerin. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius zweifelt grundsätzlich an dem Sinn der Veranstaltung. Das Ziel, die Zahl der Unfälle, Verunglückten und der Getöteten zu senken, sei mit dem Blitzmarathon nicht erreicht worden.
Pistorius forderte angesichts der wieder steigenden Zahl von Verkehrstoten höhere Bußgelder für Raser. "Noch immer spielt zu hohes Tempo eine maßgebliche Rolle bei schweren Verkehrsunfällen", sagte der Minister. "Trotzdem bewegen wir uns bei der Höhe der Bußgelder europaweit im unteren Drittel." Er empfiehlt, sich die Niederländer zum Vorbild zu nehmen: Im Nachbarland sind die Unfallzahlen niedriger, die Bußgelder höher als in Deutschland.
Der Blick auf den europaweiten Vergleich zeigt: In den Niederlanden werden bei einer Tempolimit-Überschreitung um 20 km/h mindestens 165 Euro fällig, in Frankreich und Dänemark mindestens 135 Euro. In anderen europäischen Ländern wird noch kräftiger zur Kasse gebeten: In Schweden kostet der Verstoß mindestens 270 Euro und in Norwegen sogar mindestens 420 Euro.
Im Vergleich dazu fallen für die Überschreitung um 20 km/h in Deutschland maximal läppische 35 Euro an.
Konstanter Kontrolldruck gefordert
"Neben der Prävention gehört auch ein vernünftiges Maß an Strafen dazu. Der Mensch ist leider nur zu erziehen, indem er Härte spürt", sagt Manfred Börner, Chef der Gewerkschaft der Polizei in Schleswig-Holstein. Den Blitzmarathon hält er für eine plakative Aktion, nennt ihn einen "PR-Coup". Raser könnten sich darauf einstellen. Gewerkschaftschef Börner ist überzeugt, dass vor allem konstanter Kontrolldruck und eine flächendeckende ganzjährige Verkehrsüberwachung im Kampf gegen Raser helfe. "Das ist viel nachhaltiger, um die Menschen zu vernünftigen Autofahrern zu erziehen."