Neustart bei den Grünen: "Zwischen Frust und Trotz"
Nach den schlechten Ergebnissen bei den jüngsten Landtagswahlen ziehen die Grünen Konsequenzen. Die Parteispitze und der Bundesvorstand der Grünen Jugend traten zurück - der Landesvorstand in Niedersachsen wirft ebenfalls hin und will die Partei verlassen.
Weitere Paukenschläge bei den Grünen: Nachdem die Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour am Mittwoch den Rücktritt des gesamten Parteivorstandes im November bekannt gegeben hatten, zog auch die Jugendorganisation personelle Konsequenzen. Der zehnköpfige Bundesvorstand will geschlossen zurücktreten und die Partei verlassen. In Niedersachsen ist der Landesvorstand der Grünen Jugend nun ebenfalls zurückgetreten. Drei Mitglieder des Bundesvorstandes kommen aus Niedersachsen.
Grüne aus SH wurden von den Rücktritten überrascht
Die Stimmung schwanke gerade zwischen Frust und Trotz - nach dem Motto "Jetzt erst recht", sagt Stephanie Matthes, Sprecherin des Grünen-Kreisverbands Segeberg dem NDR Schleswig-Holstein. Dass sowohl die Bundesvorsitzenden als auch der Vorstand der Grünen Jugend hinschmeißen – das habe sie überrascht.
Ingrid Nestle, Bundestagsabgeordnete der Grünen aus dem Wahlkreis Steinburg-Dithmarschen Süd, meint: Der Markenkern der Partei sei in letzter Zeit für viele Menschen "vielleicht nicht sichtbar genug" gewesen. Jetzt gebe es für die Grünen "eine Chance, neu wahrgenommen zu werden".
Bringen neue Gesichter erhoffte Aufbruchstimmung?
Dass der Vorstand der Grünen Jugend aus der Partei austritt, sei aber bedauerlich, sagt Nestle: "Es ist natürlich total schade. Ich halt’s auch strategisch nicht für vielversprechend, wenn wir unsere gemeinsamen Werte durchsetzen wollen, dass wir uns auseinanderdividieren. Aber klar: Jeder ist frei, seinen Weg zu gehen."
Sebastian Bonau, Co-Sprecher des Kreisverbands Schleswig-Flensburg, hofft auf neue Gesichter an der Parteispitze. "Sie könnten die Aufbruchstimmung bringen, die wir brauchen." Für die tägliche Arbeit in der Kommunalpolitik ändere das alles aber erstmal nichts. "Gerade an der Basis haben wir gelernt, dass wir den Kopf trotzdem oben halten müssen."
Niedersachsens Grünen-Chefin Garlichs bedauert Schritt
Auch der Rückzug des niedersächsischen Landesvorstands sorgte für Betroffenheit. Niedersachsens Grünen-Landesvorsitzende Greta Garlichs bedauere den Schritt. Der Partei gingen wichtige Nachwuchskräfte verloren, so Garlichs. Gleichzeitig sei sie überzeugt, dass die Grüne Jugend weiterbestehen und die Mutterpartei kritisch begleiten werde.
Ausscheidender Vorstand will neue linke Bewegung
Aus Unzufriedenheit mit der Politik der Grünen strebt der Führungsnachwuchs auf Bundesebene nun die Gründung einer neuen linken Bewegung an. Es brauche eine "politische Kraft, die dafür kämpft, die Wirtschaft endlich in den Dienst der Menschen zu stellen" und sich um ihre Sorgen kümmere, heißt es in einer Erklärung, die der Vorstand der Nachwuchsorganisation am Donnerstag veröffentlichte. Die Co-Vorsitzende Katharina Stolla sprach von einem "Entfremdungsprozess" und sagte: "Es ergibt dauerhaft keinen Sinn, linke Opposition zu einer Politik zu sein, die die eigene Partei mitträgt."
Die beiden ausgeschiedenen Landesvorsitzenden der Grünen Jugend Niedersachsen, Rukia Soubbotina und David Christner, haben auf ihren Instagram-Kanälen das Gründungsvideo der neuen Organisation "Zeit für was Neues" geteilt.
Entscheidung sei vor Bekanntgabe der Parteispitze gefallen
In einem offenen Brief an die Parteispitze betonten die scheidenden Vorstandsmitglieder, dass ihre Entscheidung bereits vor Bekanntgabe des Rücktritts des Parteivorstandes getroffen worden sei. Und weiter: "Wir gehen nicht davon aus, dass eine personelle Neuaufstellung zu einer inhaltlichen und strategischen Neuausrichtung der Partei in unserem Sinne führen wird. Es ist besser, wenn sich unsere Wege jetzt trennen und ihr gut neu starten könnt."
In ihrem Schreiben verweisen die Vorsitzenden Svenja Appuhn und Katharina Stolla auf "Konflikte zwischen grüner Partei und Grüner Jugend", die sich in den letzten Jahren "immer weiter zugespitzt" hätten - etwa das Sondervermögen für die Bundeswehr, die Asylrechtsverschärfungen oder der Protest gegen die Räumung der Ortschaft Lützerath in Nordrhein-Westfalen.
Die Grünen-Co-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann, die den Rücktritt der Parteivorsitzenden im ARD-"Morgenmagazin" als Ausgangspunkt für eine Neuaufstellung der Grünen bezeichnete, sagte zum Parteiaustritt des Nachwuchses, dass die Grüne Jugend bestehen bleibe und sich neu aufstellen werde.
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast zeigte sich angesichts des angekündigten Parteiaustritts des Grüne-Jugend-Vorstands gelassen. "Da wundere ich mich nicht und da weine ich auch nicht", sagte sie dem "rbb". Der Vorstand der Grünen Jugend sei "nicht realitätstauglich" gewesen und habe "einen Klassensystem-Sozialismus aufbauen" wollen.