Netzentgelte sorgen im Norden für höhere Stromrechnungen
Wer in Norddeutschland wohnt, zahlt mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr für den Strom als jemand im Süden der Republik. Der Grund dafür sind die sogenannten Netzentgelte. Paradoxerweise treibt der Ausbau von erneuerbaren Energien die Stromkosten im Norden immer weiter nach oben.
In der kleinen Gemeinde Waabs in Schleswig-Holstein steht bisher ein einziges Windrad, doch das soll sich bald ändern. 14 weitere sind in Planung. Der Bürgermeister der Gemeinde, Udo Steinacker (CDU), weiß jedoch nicht, ob er deswegen lachen oder weinen soll. Einerseits bringe der Ausbau der Windkraft die Energiewende voran, andererseits werde dadurch der Strom in der Gemeinde teurer. Und zwar für alle: Touristen, Betriebe und Bewohnerinnen und Bewohner. "Es ist ungerecht und belastet Norddeutsche natürlich extrem stärker. Und insofern ist das natürlich nicht in Ordnung", sagt Steinacker.
Anschlusskosten werden auf die Gemeinden umgelegt
Hintergrund sind die aktuellen Regelungen zum Ausbau der Stromversorgung in Deutschland. Egal welche Stromquelle gebaut wird - sei es ein Windrad, eine Photovoltaikanlage oder ein Kraftwerk - müssen die Anschlusskosten von den Menschen in den Gemeinden bezahlt werden, in denen etwa die Windräder stehen. Vereinfacht gesagt geht es dabei um das Kabel, das vom Windrad bis zur nächsten Steckdose führt. Diese Kosten werden regional umgelegt und erscheinen als sogenannte Netzentgelte auf der Rechnung - egal, ob der Strom vor Ort genutzt oder in andere Teile der Republik geschickt wird. Das trifft den Norden besonders, denn hier gibt es nicht nur besonders viele Windräder, sondern zugleich auch verhältnismäßig wenig Einwohner.
Durchschnittsfamilie zahlt in SH jährlich 180 Euro mehr
Das führt dazu, dass eine Durchschnittsfamilie mit einem Verbrauch von 4.000 Kilowattstunden in Schleswig-Holstein 180 Euro mehr im Jahr für ihren Strom zahlen muss, als würde sie in Bayern leben. Das macht den Minister für Energiewende in Schleswig-Holstein, Tobias Goldschmidt (Grüne), sauer. "Für mich ist ärgerlich, dass wir für den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze, die unser Land schon heute ganz stark verändern, die Zeche zahlen müssen. Wir müssen die Netze hier selbst zahlen, obwohl sie dazu dienen, dass ganz Deutschland mit erneuerbaren Energien versorgt werden kann", so Goldschmidt.
Auch "Wegwerfstrom" wird regional umgelegt
Doch die Anschlusskosten sind nicht alles: Wenn der Wind zu stark bläst und die Windräder mehr Strom erzeugen, als ins Stromnetz passt, müssen sie abgeschaltet werden. Dafür zahlen die Menschen im Norden nochmal drauf, ärgert sich der CDU-Bürgermeister von Waabs. Denn der Strom, der hätte erzeugt werden können, darf nach der aktuellen Gesetzeslage trotzdem abgerechnet werden. "Wir nennen es auch Wegwerfstrom beziehungsweise Strom, der nicht erzeugt werden kann oder darf, weil die Netze voll sind. Da hatten wir in den letzten Jahren immer so um die 300 Millionen Euro an Abschalt-Strom", so Steinacker. Auch diese Kosten werden regional über die Netzentgelte umgelegt.
Bezahlen müssen dann auch die Betriebe vor Ort, wie der Campingplatz von Familie Heide in Waabs. 5.000 Gäste können hier zugleich Urlaub machen. Geschäftsführer Karsten Heide zahlte zuletzt knapp 50.000 Euro nur an Netzentgelten. "Entsprechend legen wir das natürlich für unsere Gäste um. Und nicht jeder Gast ist darüber begeistert", erzählt Heide.
Goldschmidt warnt davor, dass die Stimmung kippen könnte
In Schleswig-Holstein drehen sich derzeit mehr als 3.000 Windräder. Weitere 100 sind schon genehmigt und noch viele mehr in Planung. Damit ist das nördlichste Bundesland ein zentraler Stromlieferant für die gesamte Republik. Doch mit den hohen Netzentgelten kippt in der Bevölkerung die Stimmung, warnt Energiewende-Minister Goldschmidt. "Ich schaue natürlich auch in die Zukunft. Und wenn ich sehe, dass wir heute mit hohen Netzentgelten ein Stück weit dafür bestraft werden, erneuerbaren Energien ins Land zu stellen und aufzubauen, dann wird das natürlich auch zu einer Akzeptanzfrage für die Bevölkerung."
Campingplatzbetreiber Karsten Heide findet, der Norden werde ausgenutzt. "Letztendlich wird der Strom von Fremdinvestoren aus anderen Bundesländern hier erzeugt und wir dürfen dafür bezahlen." Eine Verteilung auf alle Bundesländer wäre gerechter, findet er.
Schon länger Druck aus dem Norden auf den Süden
Die norddeutschen Minister für Energie und Wirtschaft machen deswegen schon länger Druck auf ihre Kollegen und Kolleginnen der süddeutschen Bundesländer - denn der Süden hinkt beim Thema Energiewende hinterher. In Bayern ist Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) für das Thema verantwortlich. War er noch vor einigen Jahren kein Freund von erneuerbaren Energien, verkündet er jetzt - nach dem Aus der letzten Atomkraftwerke in Bayern - eine Kehrtwende: Er will sich mit den Norddeutschen solidarisch zeigen, auch wenn es für die Menschen in Bayern dann mehr kosten könnte. "Es kann nicht sein, dass die einen erwarten, keine erneuerbaren Energien in ihrer Gemeinde zu haben und den billigen Strom der anderen zu bekommen. Weil dann werden andere sagen wir bauen nichts mehr aus, wenn wir die Gelackmeierten sind", so Aiwanger.
Aiwanger für Umlegung der Kosten auf alle
Im Interview mit dem NDR sagte Aiwanger, er könne sich vorstellen, dass die Kosten für alle gleich umgelegt würden: "Ich bin aber dafür, beispielsweise das Thema des Ausbaus der erneuerbaren Energien, so weit das kostenmäßig in den Netzentgelten aufschlägt, bundesweit zu wälzen. Dass wir bei diesem Thema nicht die bestrafen, die die erneuerbaren Energien ausbauen." Das fordern die norddeutschen Minister schon lange. Damit könnte sich nun eine Lösung des Problems abzeichnen - vorausgesetzt die Bayern stimmen höheren Kosten zu. Und dort sind im Oktober erstmal Wahlen.