"Man fühlt sich geborgen": Das Leben im Mehrgenerationen-Haus
Ganz allein, im Altersheim oder im Mehrgenerationen-Haus: Wie wollen wir im Alter leben? Diese Frage stellen sich viele im Norden. Aber wie fühlt sich das an: mit vier Generationen unter einem Dach? Familie Rust macht es vor.
Auf dem Hof in der niedersächsischen Gemeinde Stolzenau (Landkreis Nienburg/Weser) ist eigentlich immer etwas zu tun. 300 Milchkühe wollen versorgt werden. Am frühen Morgen sind zunächst die Kälber dran. Großvater Friedrich Rust packt wie selbstverständlich mit an. Dabei hat der 74-Jährige den Familienbetrieb schon vor 17 Jahren an seinen Sohn Torsten übergeben. Auch die drei Enkelkinder im Alter von neun und zehn Jahren helfen schon vor dem Frühstück fleißig mit, wenn gerade keine Schule ist. Torsten Rust ist stolz auf den Zusammenhalt - und freut sich, dass sein Vater noch mit anpackt. "Wir müssen meinen Vater bei der Arbeit eher mal bremsen und ihn daran erinnern, dass er Rentner ist und sich eine Ruhepause gönnt. Er ist einfach zu gerne dabei."
Die Familie Rust lebt zusammen unter einem Dach. Mit der 92 Jahre alten Großtante Hildegard sind es vier Generationen. "Man ist immer zusammen. Das schätzen wir", erzählt Friedrich Rust. "Wir helfen uns gegenseitig, man fühlt sich geborgen." Er möchte das Leben auf dem Hof nicht missen. "Ich muss hoffentlich nicht in ein Altersheim, sondern kann möglichst lange zu Hause bleiben." Er genießt auch das Zusammenleben mit den drei Enkelkindern. "Insgesamt haben wir sogar sechs Enkelkinder. Aber die anderen leben in der Nähe von Frankfurt. Die sehen wir nur ein paar Mal im Jahr."
Alle unter einem Dach: "Früher war das so üblich"
Auch wenn die Großfamilie Rust in einem Haus wohnt - es gibt zwei getrennte Wohnungen. Die Großeltern im Obergeschoss haben ihren eigenen Eingang und ihre eigene Küche. Darauf hat die Familie bewusst geachtet - und das Haus entsprechend umgebaut. "Zwei Generationen vor mir war es ja noch selbstverständlich, dass alle zusammen unter einem Dach wohnten", sagt Großvater Friedrich. "Man hatte damals sogar eine gemeinsame Küche. Und es gab nur ein Badezimmer, wenn es überhaupt ein Badezimmer gab. Heute trennt man das schon mehr." Und das sei auch gut so.
Vater und Sohn sind sich ähnlich
Den Hof an seinen Sohn Torsten zu übergeben, sei ihm nicht schwer gefallen. "Torsten hat als Agraringenieur mehr Wissen als ich. Und dieses Wissen sollte er auch möglichst früh in den Betrieb einbringen", so der Senior. "Mit den Jahren hat man dann nicht mehr die Lust, einen Betrieb zu verändern. Das macht man, wenn man jung ist." Von Vorteil sei, dass beide Männer auf einer Wellenlänge liegen. "Wir haben die gleichen Interessen, mit den Milchkühen." Zwar habe jeder seine eigene Meinung. "Aber wir finden immer einen gemeinsamen Nenner", sagt Friedrich Rust.
Jeder soll seine eigene Privatsphäre haben
Auch Torsten Rust schwärmt vom Zusammenleben in einer Großfamilie. Er ist 47 Jahre alt. "Klar, jeder hat mal schlechte Laune. Die muss man dann aushalten. Aber ich sehe ganz klar die Vorteile. Wir brauchen beispielsweise nie jemanden für die Betreuung der Kinder suchen."
Wichtig findet er gewisse Absprachen für den Alltag. "Wir haben uns angewöhnt, dass wir bei dem jeweils anderen anklopfen und nicht einfach in die Wohnung reinstürmen", sagt der Familienvater mit einem Schmunzeln. "Ein bisschen Privatsphäre leben wir dann doch." Klar ist auch, dass sich die Großeltern nicht in die Erziehung der Enkelkinder einmischen. "Da halten wir uns ganz raus", so der Großvater.
Für die Schwiegertochter war es Neuland
Am Frühstückstisch im Erdgeschoss sitzen meistens bis zu zehn Personen. Denn die Familie wird auf dem Hof noch von einer Handvoll Mitarbeitenden unterstützt. Bei einer gemeinsamen Tasse Kaffee lässt sich gut der anstehende Tag besprechen. Auch Torstens Frau Julia ist dabei. Die heute 39-Jährige hat in die Familie eingeheiratet. Mit Landwirtschaft hatte sie vorher nichts am Hut. Sie ist gelernte Rechtsanwaltsfachangestellte. Dann aber zog sie auf den Hof. "Da musste ich natürlich erst mal meinen Platz finden. Das war etwas Neues für mich, in eine Großfamilie reinzuwachsen."
Die Großeltern bewundern die Schwiegertochter für diesen Schritt: "Wir sind ganz stolz auf Julia. Es ist nicht selbstverständlich, dass jemand, der nie etwas mit der Landwirtschaft zu tun hatte, sich das antut und in die Landwirtschaft einheiratet", so der Großvater.
Sonntag ist Ausflugstag
Die junge Familie hat ihre eigenen Routinen. Auch das ist allen wichtig. So ist der Sonntag reserviert für Familien-Ausflüge. Und auch das Frühstück findet sonntags im kleinen Kreis statt. Die Kinder genießen beides - die großen wie die kleinen Runden am Frühstückstisch. Auch die jüngste Generation ist Fan vom Prinzip Alle-unter-einem-Dach. "Ich liebe es mit den verschiedenen Generationen", sagt der zehnjährige Ole. "Wenn Opa, Papa und ich bei den Kühen sind, macht mir das Spaß. Also, wenn wir alle zusammen sind."
Torsten Rust denkt auch schon mal daran, wie es bei ihm im Rentenalter aussehen könnte. Wird er dann mit seiner Frau weiter im Mehrgenerationen-Haus leben? Dann womöglich im Obergeschoss, so wie seine Eltern jetzt. "Das könnte ich mir später durchaus vorstellen. Aber das hängt natürlich davon ab, ob von unseren Kindern jemand den Betrieb mal weiterführen will."