VIDEO: Bundesamt für Bevölkerungsschutz erarbeitet Bunkerplan (5 Min)

Lohnt es sich überhaupt, alte Bunker zu modernisieren?

Stand: 26.11.2024 17:15 Uhr

Für den Kriegsfall sieht es beim Zivilschutz düster aus: In Norddeutschland gibt es keinen einzigen öffentlichen Schutzraum, der einsatzbereit ist. Alte Bunker müssten erst für viel Geld modernisiert werden. Lohnt sich das überhaupt? Oder müssen wir uns auf eine andere Bedrohungslage einstellen?

von Marc-Oliver Rehrmann und Anna-Lou Beckmann

Auf den Internetseiten der Stadt Hamburg steht es unmissverständlich: In der Millionen-Metropole gibt es derzeit keine einzige öffentliche Anlage, in der Menschen im Falle eines Angriffs Schutz suchen könnten. Dabei war Hamburg einst die "Bunker-Hauptstadt" Deutschlands. "Während des Zweiten Weltkriegs hatte Hamburg rund 1.200 Bunker", sagt Ronald Rossig vom Verein "Unter Hamburg". Er kennt sich wie kein anderer aus mit der Bunker-Geschichte der Hansestadt. "Im Kalten Krieg wurden von den verbliebenen 800 Anlagen rund 50 Bunker wieder ertüchtigt."

Aber auch das ist längst Vergangenheit. Im Jahr 2007 beschloss der Bund, der für den Zivilschutz zuständig ist, dass keine Bunker mehr einsatzbereit gehalten werden müssen. Die Weltlage sah damals wenig bedrohlich aus. Vielerorts begann also der Rückbau der Anlagen.

"Zum Schutzraum" steht an einer Wand im Keller eines Hauses. © greatif Foto: Marita Gaul
AUDIO: Deutschlands Bunkerplan - was steckt dahinter? (52 Min)

Alte Bunker: "Immer noch besser als ein Heizungskeller"

"In Hamburg gibt es noch 450 bis 480 Bunker als Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg", sagt Rossig im Gespräch mit NDR Info. Darunter seien auch viele Röhrenbunker in Hinterhöfen von Mehrfamilienhäusern. "Die meisten von denen sind mit Wasser vollgelaufen, aber die Wände sind mindestens 80 Zentimeter dick." Von daher würden sie zumindest Schutz vor Bombentreffern in der näheren Umgebung bieten. "Bei einem Direkttreffer schützen sie zwar auch nicht, aber die alten Röhrenbunker sind allemal besser als ein Heizungskeller."

Wollen wir uns auch vor Atombomben schützen?

Ein Röhrenbunker in Hamburg-Eppendorf © picture alliance / dpa Foto: Malte Christians
So sieht einer der vielen Röhrenbunker im Hamburger Stadtteil Eppendorf aus.

Nur müssten die alten Bunker-Anlagen erst wieder reaktiviert werden. "Es ist natürlich eine Frage des Geldes und des politischen Willens", meint Rossig. "Und man müsste auch klären: Wovor will man sich eigentlich schützen?" Also: Sollen Bunker Schutz bieten bei einem Luftangriff wie im Zweiten Weltkrieg? Oder sollen sie auch helfen beim Einsatz von Atomwaffen oder Giftgas? "Gegen konventionelle Bomben helfen alle Bunker", sagt Rossig. "Was es aber wirklich teuer macht, ist, Bunker tauglich für den Einsatz von ABC-Waffen zu machen." Zu beachten sei auch: Atombomben aus Russland könnten Hamburg innerhalb weniger Minuten erreichen. Da bliebe für die Bevölkerung kaum Zeit, Schutz in einem Bunker zu suchen, so Rossig.

Gezielte Angriffe gelten heute als wahrscheinlicher

Auch der Krisenforscher Frank Roselieb fragt sich, ob Bunker überhaupt noch zeitgemäß sind. "Da habe ich so meine Zweifel. Denn wenn man sich die aktuellen Aktivitäten von Russland auch in Deutschland anschaut, dann spionieren die derzeit mit Drohnen Industrie-Anlagen und kritische Infrastruktur aus", sagt Roselieb vom Institut für Krisenforschung in Kiel. Er geht davon aus, dass Russland weniger auf die Masse der Bevölkerung abziele als eher auf punktuelle Angriffe, von denen dann die Bevölkerung auch betroffen wäre. "Aber nicht durch Waffeneinwirkung, wovor Bunker schützen würden, sondern eher durch Versorgungsunterbrechungen." Etwa beim Strom oder bei der Trinkwasser-Versorgung.

Der Bund geht ebenfalls von einem Szenario aus, wonach es künftig bei militärischen Angriffen nicht mehr um flächendeckende Zerstörungen in Städten geht, sondern um gezielte Angriffe mit Präzisionswaffen - vornehmlich auf militärische Anlagen, kritische Infrastruktur sowie Regierungs- und Verwaltungsgebäude.

Bundesweit nur 579 Schutzräume - aber keiner einsatzbereit

Der "Grüne Bunker" auf St. Pauli ist ein neues Wahrzeichen von Hamburg. © picture alliance / Eibner-Pressefoto Foto: Augst / Eibner-Pressefoto
Der Hochbunker in Hamburg-St. Pauli dient längst anderen Zwecken - neuerdings auch als Touristen-Magnet.

Der Beginn des Angriffskriegs von Russland gegen die Ukraine hat zu einem Umdenken beim Bund geführt. Der Zivilschutz wird nun wieder als wichtig angesehen. So ist der Rückbau der Bunker seit dem Frühjahr 2022 gestoppt. Gerade schaut das zuständige Bundesamt für Bevölkerungsschutz deutschlandweit, wo noch Schutzräume vorhanden sind. Die vorläufige Bilanz: Bundesweit gibt es 579 Schutzräume, die für nicht einmal 500.000 Menschen Platz hätten. Nur: Kein einziger davon ist einsatzbereit. Die Anlagen müssten erst wieder ertüchtigt werden.

Nach dieser Zählung gibt es in Hamburg 33 öffentliche Schutzräume mit knapp 31.000 Plätzen. In Niedersachsen sind es 58 Anlagen mit 25.000 Plätzen. Und Schleswig-Holstein kommt auf 14 Schutzräume für rund 10.000 Menschen. Aus Mecklenburg-Vorpommern gibt es keine Zahlen, da die Zivilschutz-Anlagen in ostdeutschen Ländern nicht erfasst sind.

Ein neuer Plan: Schutzräume im eigenen Keller

Um alle knapp 85 Millionen Menschen in Deutschland zu schützen, müssten nach Einschätzung von Experten rund 210.000 Großbunker gebaut werden. Das würde rund 140 Milliarden Euro kosten. So viel Geld wird der Bund wohl niemals für den Zivilschutz ausgeben.

"Über eins müssen wir uns im Klaren sein: Auch in früheren Zeiten konnte nur ein Bruchteil der Bevölkerung durch öffentliche Schutzräume oder Bunker geschützt werden", sagte Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) am Dienstag. Wichtig sei es deshalb, einen Leitfaden zu erarbeiten, wie Keller in Privathäusern zu Schutzräumen umgewandelt werden könnten. Laut dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe wären solche privaten "Selbstschutzräume" ein kostengünstiger Weg, von dem ein Großteil der Bevölkerung profitieren könnte. Eine Maßnahme dabei wäre das Abdecken von Kellerfenstern als Schutz vor Bombensplittern.

Zusätzlich sollen in Ballungszentren - wie in Hamburg - Kellerräume in öffentlichen Gebäuden oder in Kaufhäusern, Tiefgaragen und U-Bahn-Stationen zugänglich gemacht werden. Welche Orte dies konkret sein könnten, wird gerade geprüft.

Schutzbedürfnis in Krisenzeiten auch ein Geschäftsmodell

Aus dem Schutzbedürfnis in Krisenzeiten hat Zeeshan Nasir ein Geschäftsmodell gemacht. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Hamburger Firma EPP Riskmanagement. Ihr Spezialgebiet: Schutzräume für vermögende Privatpersonen. Auch hier stellt der russische Angriffskrieg einen Einschnitt dar. "Vor dem Ukraine-Krieg ging es unseren Kunden um den Schutz der Familie vor Einbrechern und Entführern", berichtet Nasir. "Seit dem Ukraine-Krieg ist die Nachfrage höher. Unsere Kunden wollen neuerdings auch über einen möglichen Kriegsfall sprechen, bei dem es Luftangriffe geben könnte." Für das Nachrüsten eines bestehenden Gebäudes würden mindestens 150.000 bis 200.000 Euro fällig, so Nasir. Bei Neubauten wäre es etwas günstiger, da Architekten und Statiker von vornherein mit einbezogen werden könnten.

Für alle Fälle: Lebensmittel-Vorräte anlegen

Ob man zu Hause einen eigenen Schutzraum hat oder nicht, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe empfiehlt, daheim für den Notfall vorzusorgen. Mit Lebensmitteln, Trinkwasser, Medikamenten und Taschenlampen beispielsweise. "Das Ziel muss es sein, 10 Tage ohne Einkaufen überstehen zu können", so das Bundesamt. Eine persönliche Checkliste für den Katastrophen-Fall ist im Internet zu finden.

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