Kommentar: "Scholz kann nun zeigen, dass er nicht am Amt klebt"
Deutlich früher als ursprünglich geplant wird Olaf Scholz am 16. Dezember die Vertrauensfrage stellen. Aber sollte der Kanzler nun nicht auch den Weg frei machen für einen anderen Kandidaten?
Ein Kommentar von NDR Info Aktuell-Chefin Christiane Uebing
Olaf Scholz stellt die Vertrauensfrage noch vor Weihnachten, ganz wie von Friedrich Merz gefordert. Das ist für die Union und ihre Wahlstrategen eine gute Nachricht, aber auch für die Bürgerinnen und Bürger. Nicht nur, weil sich Deutschland keine lange Hängepartie leisten kann - angesichts der wirtschaftlichen Herausforderungen und des Machtwechsels in den USA. Sondern auch, weil sich die Mehrheit eine zügige Neuwahl wünscht.
Weiteres Termin-Tauziehen hätte öffentliche Debatte vergiftet
Dass es für Olaf Scholz zu dieser Korrektur des Zeitplans keine Alternative gab, zeichnete sich in den vergangenen Tagen ab. Denn das weitere Tauziehen um die Terminierung der Vertrauensfrage hätte die öffentliche Debatte vergiftet, extremen Parteien weiter Auftrieb gegeben und so der Demokratie geschadet. Es hätte einen Kompromiss auf wichtigen politischen Feldern, wie beim Gesetzesvorhaben zur Stärkung des Bundesverfassungsgerichts, unmöglich gemacht. Und es hätte so maßgeblich den Parteien der Mitte, also auch der SPD, geschadet.
Möchte Scholz enden wie Joe Biden in den USA?
Doch was heißt das jetzt für Olaf Scholz? Und wie sollte sich die SPD zu ihm verhalten? Scholz selbst sollte sich fragen, ob er so enden möchte wie Joe Biden in den USA, von dem viele Demokraten sagen, er habe den Weg für Kamala Harris zu spät frei gemacht. Und die SPD? Sie sollte zumindest kurz innehalten, ob sie mit einem Kanzler ins Rennen gehen will, mit dessen Regierungsarbeit weniger als ein Viertel der Bürger zufrieden ist.
Pistorius kann auch "Staatsmann"
Zumal es ja nicht so ist, dass die SPD keine anderen Kandidaten hätte: Lars Klingbeil wird in dieses Rennen wohl nicht mehr einsteigen. Aber mit Boris Pistorius, dem derzeit beliebtesten Politiker, hätte die SPD einen Kandidaten, der erst am Dienstag beim Bundeswehr-Gelöbnis in Hannover gezeigt hat, dass er auch "Staatsmann" kann; wenngleich er zumindest nicht aktiv in die erste Reihe drängt.
Scholz hat zuletzt immer wieder betont, er klebe nicht am Amt. Genau das kann er nun zeigen und den Weg frei machen für einen neuen Kandidaten. Die Wahlstrategen in der Union würde eine Kandidatur von Boris Pistorius mit Sicherheit nervös machen. Und sie würde die Chancen der SPD auf ein respektables Ergebnis bei der Neuwahl Ende Februar erhöhen.
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