Kommentar: Rammstein darf weiter auftreten - Man muss ja nicht hingehen

Stand: 12.06.2023 17:26 Uhr

Ist es angesichts einer erdrückend großen Zahl von Vorwürfen gegen die Band Rammstein - vor allem gegen Sänger Till Lindemann - vertretbar, dass die Band jetzt zahlreiche Konzerte in Deutschland spielt?

Ocke Bandixen © NDR Foto: Andreas Sperling
Beitrag anhören 2 Min

Ein Kommentar von Ocke Bandixen

Ocke Bandixen © NDR Foto: Andreas Sperling
"Rammstein kann auftreten, weil die Band auftreten kann. Man könnte aber nicht hingehen", sagt Ocke Bandixen.

Worum geht es hier? Besser: Worum geht es nicht? Es geht nicht um Geschmack. Ob mir oder irgendwem die Musik, die Show, das Gehabe und das immerwährende Spiel der Band mit Provokationen in ihrer Musik, ihren Texten, ihren produzierten Bildern gefällt - das spielt keine Rolle. Mir gefällt es übrigens nicht. Worum es auch nicht geht: Darum, ob sich früher schon Rockstars schlecht benommen haben. Oder ob Menschen früher oder jetzt glauben, dass das irgendwie dazugehört. Oder woanders noch schlimmer war, in anderen Musikbranchen, anderen Zweigen der Kulturbranche. Natürlich muss man auch darüber reden, jetzt aber könnte es relativierend wirken, ablenkend. 

Erdrückende Vorwürfe: Sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch

Worum es geht: Es geht um eine erdrückend große Zahl von ähnlich lautenden Vorwürfen gegen die Band, gegen das Umfeld, vor allem gegen Till Lindemann. Sexueller Missbrauch, Übergriffe, Drogenmissbrauch, Machtmissbrauch, womöglich Körperverletzung, ein System der Zuführung von potenziellen sexuellen Partnerinnen, darunter Minderjährige. Es wurde berichtet und wird weiterhin, es wird geprüft und gesammelt. Zweifelt aber wirklich noch jemand daran, dass an den Vorwürfen etwas dran ist?

Wenn bestehende Verträge gültig sind, finden die Auftritte statt

Warum darf dann die Band trotzdem auftreten? Wer sollte sie stoppen? Die Justiz? Die Polizei? Die Politik? Die öffentliche Meinung? Die Band sich selbst? Es mag schwer auszuhalten sein, wie auch das gefährliche Gerede von Roger Waters: Die Band kann auftreten, weil man im Moment dagegen nichts machen kann. Bestehende Verträge müssten gekündigt werden. Wenn der Veranstalter oder der Hausherr das nicht tut, ist alles rechtens. Wenn keine Anklage vorliegt, keine Verurteilung, keine rechtliche Begründung.

Schweigen und Wegschauen in der Branche müssen beendet werden

Und das ist dann vielleicht nicht schön, aber richtig. Worum es noch geht: Dass ein krankes System aufgedeckt wird, toxische Mechanismen transparent werden, dass Schweigen und Wegschauen in der Branche beendet werden. Was daraus folgen könnte? Vielleicht ja mehr, als nur die Forderung, dieses oder andere Konzerte nicht stattfinden zu lassen. Die moralische Entrüstung, so redlich, richtig und geballt sie auch sein mag, kann nicht der ausschlaggebende Grund sein für die Entscheidung, welche Konzerte stattfinden oder nicht.

Warum hat die Band nicht selbst die Konzerte abgesagt? In ihrem Statement von vor drei Tagen pochte man auf die Unschuldsvermutung. Man verurteilte "jede Form von Übergriffigkeit" und verzichtet jetzt auf eine Row Zero. Es liest sich wie Hohn, was da steht. Und sei es noch so verlogen: Die Band kann auftreten, weil die Band auftreten kann. Man könnte aber nicht hingehen.

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin/des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

Weitere Informationen
Shelby Lynn sitzt auf einem Sofa, hinter ihr an der Wand hängen gerahmte Fotos. © NDR

Sie löste den Rammstein-Skandal aus: Hausbesuch bei Shelby Lynn

Die Nordirin postete nach einem Konzertbesuch Vorwürfe gegen die Band Rammstein und Sänger Till Lindemann. mehr

Rammstein-Frontsänger Till Lindemann auf der Bühne © picture alliance/dpa Foto: Jens Koch
3 Min

Rammstein in München - So reagieren Fans auf die Vorwürfe

Das Konzert im Olympiastadion war das erste in Deutschland nach Bekanntwerden der Anschuldigungen gegen Frontmann Till Lindemann. 3 Min

Christian „Flake“ Lorenz steht mit einem Keyboard in den Händen auf einer Bühne. © picture alliance/dpa | Christophe Gateau

Vorwürfe gegen Rammstein: Worum geht's?

Mehrere Frauen haben Vorwürfe gegen Rammstein-Frontmann Till Lindemann erhoben. Am Hamburger Landgericht hat er nun eine Niederlage erlitten. mehr

Der Sänger der Band "Rammstein" bei einem Konzert in Odense in Dänemark am 2. Juni 2023. © picture alliance Foto: Sebastian Dammark

Rammstein: Zwischen Gewaltverherrlichung und DDR-Nostalgie

Rammstein gibt es seit fast 30 Jahren. Wer ist die Band, gegen die schwere Vorwürfe erhoben wurden? mehr

Das Münchener Olympiastadion im Dunkeln mit Flammen auf der Bühne. © picture alliance/dpa | Sven Hoppe

Rammstein nach Vorwürfen in München: War da was?

Der Auftritt von Rammstein fühlte sich an wie immer. Die Vorwürfe gegen Frontmann Till Lindemann scheinen bei den Fans abzuprallen. mehr

Till Lindemann hebt die Arme zur Seite hoch. © picture alliance/dpa | Boris Roessler

Verlag beendet Zusammenarbeit mit Rammstein-Sänger Till Lindemann

Nach den Vorwürfen gegen Till Lindemann hat der Verlag Kiepenheuer & Witsch die Zusammenarbeit mit dem Rammstein-Sänger beendet. mehr

 

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Kommentar | 07.06.2022 | 17:30 Uhr

Ein Smartphone mit einem eingeblendeten NDR Screenshot (Montage) © Colourbox Foto: Blackzheep

NDR Info auf WhatsApp - wie abonniere ich die norddeutschen News?

Informieren Sie sich auf dem WhatsApp-Kanal von NDR Info über die wichtigsten Nachrichten und Dokus aus Norddeutschland. mehr

Eine Frau schaut auf einen Monitor mit dem Schriftzug "#NDRfragt" (Montage) © Colourbox

#NDRfragt - das Meinungsbarometer für den Norden

Wir wollen wissen, was die Menschen in Norddeutschland bewegt. Registrieren Sie sich jetzt für das Dialog- und Umfrageportal des NDR! mehr

Mehr Nachrichten

Boris Pistorius (SPD) sitzt neben Olaf Scholz (SPD) © picture alliance/dpa | Christian Charisius Foto: Christian Charisius

Norddeutsche sehen Pistorius als besseren SPD-Kanzlerkandidat

Das ist das Ergebnis des aktuellen ARD-DeutschlandTrends. Sowohl Pistorius als auch Kanzler Scholz sind im Norden beliebter als in ganz Deutschland. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?