Kommentar: Rammstein darf weiter auftreten - Man muss ja nicht hingehen
Ist es angesichts einer erdrückend großen Zahl von Vorwürfen gegen die Band Rammstein - vor allem gegen Sänger Till Lindemann - vertretbar, dass die Band jetzt zahlreiche Konzerte in Deutschland spielt?
Ein Kommentar von Ocke Bandixen
Worum geht es hier? Besser: Worum geht es nicht? Es geht nicht um Geschmack. Ob mir oder irgendwem die Musik, die Show, das Gehabe und das immerwährende Spiel der Band mit Provokationen in ihrer Musik, ihren Texten, ihren produzierten Bildern gefällt - das spielt keine Rolle. Mir gefällt es übrigens nicht. Worum es auch nicht geht: Darum, ob sich früher schon Rockstars schlecht benommen haben. Oder ob Menschen früher oder jetzt glauben, dass das irgendwie dazugehört. Oder woanders noch schlimmer war, in anderen Musikbranchen, anderen Zweigen der Kulturbranche. Natürlich muss man auch darüber reden, jetzt aber könnte es relativierend wirken, ablenkend.
Erdrückende Vorwürfe: Sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch
Worum es geht: Es geht um eine erdrückend große Zahl von ähnlich lautenden Vorwürfen gegen die Band, gegen das Umfeld, vor allem gegen Till Lindemann. Sexueller Missbrauch, Übergriffe, Drogenmissbrauch, Machtmissbrauch, womöglich Körperverletzung, ein System der Zuführung von potenziellen sexuellen Partnerinnen, darunter Minderjährige. Es wurde berichtet und wird weiterhin, es wird geprüft und gesammelt. Zweifelt aber wirklich noch jemand daran, dass an den Vorwürfen etwas dran ist?
Wenn bestehende Verträge gültig sind, finden die Auftritte statt
Warum darf dann die Band trotzdem auftreten? Wer sollte sie stoppen? Die Justiz? Die Polizei? Die Politik? Die öffentliche Meinung? Die Band sich selbst? Es mag schwer auszuhalten sein, wie auch das gefährliche Gerede von Roger Waters: Die Band kann auftreten, weil man im Moment dagegen nichts machen kann. Bestehende Verträge müssten gekündigt werden. Wenn der Veranstalter oder der Hausherr das nicht tut, ist alles rechtens. Wenn keine Anklage vorliegt, keine Verurteilung, keine rechtliche Begründung.
Schweigen und Wegschauen in der Branche müssen beendet werden
Und das ist dann vielleicht nicht schön, aber richtig. Worum es noch geht: Dass ein krankes System aufgedeckt wird, toxische Mechanismen transparent werden, dass Schweigen und Wegschauen in der Branche beendet werden. Was daraus folgen könnte? Vielleicht ja mehr, als nur die Forderung, dieses oder andere Konzerte nicht stattfinden zu lassen. Die moralische Entrüstung, so redlich, richtig und geballt sie auch sein mag, kann nicht der ausschlaggebende Grund sein für die Entscheidung, welche Konzerte stattfinden oder nicht.
Warum hat die Band nicht selbst die Konzerte abgesagt? In ihrem Statement von vor drei Tagen pochte man auf die Unschuldsvermutung. Man verurteilte "jede Form von Übergriffigkeit" und verzichtet jetzt auf eine Row Zero. Es liest sich wie Hohn, was da steht. Und sei es noch so verlogen: Die Band kann auftreten, weil die Band auftreten kann. Man könnte aber nicht hingehen.
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