Kindergrundsicherung: Sozialverbände im Norden kritisieren Kompromiss
Die Bundesregierung plant für die Kindergrundsicherung ab 2025 Mehrausgaben von zunächst etwa 2,4 Milliarden Euro ein. Die Sozialverbände im Norden und die Linke in MV bezweifeln, dass die Summe ausreicht.
Nach monatelangem Streit zwischen Grünen und der FDP über die Finanzierung der Kindergrundsicherung haben die Parteien der Ampelkoalition in der Nacht zu Montag eine Einigung erzielt. Sie soll ab 2025 wesentliche familienpolitische Leistungen bündeln und so leichter zugänglich machen. 2,4 Milliarden Euro Mehrkosten werden im Jahr der Einführung 2025 veranschlagt.
Die Kindergrundsicherung sei die zentrale Antwort, um Kinderarmut wirksam zu bekämpfen, erklärte Familienministerin Lisa Paus (Grüne). Für Kinder bringe sie einfach zugängliche Leistungen und schaffe mehr Gerechtigkeit. Sie habe sich mehr gewünscht, sei aber mit den gefundenen Eckpunkten zufrieden, sagte Paus. Es sei die "umfassendste sozialpolitische Reform seit vielen Jahren".
Landesarmutskonferenz: Einigung ist Kapitulation
Kritik kommt von der niedersächsischen Landesarmutskonferenz (LAK) und von der Diakonie. Die von der Bundesregierung vereinbarte Kindergrundsicherung sei finanziell unzureichend ausgestattet und eine Kapitulation vor der Kinderarmut, die seit Jahren strukturell verfestigt ist, kritisierte LAK-Geschäftsführer Klaus-Dieter Gleitze. Verbände hätten bis zu 20 Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung gefordert, die Familienministerin habe anfangs den Bedarf mit rund zwölf Milliarden Euro beziffert. Ähnlich äußerte sich Diakonie-Vorstandssprecher Hans-Joachim Lenke: Er habe große Zweifel, ob 2,4 Milliarden Euro ausreichen.
Sozialverbände in SH: "Kein Kind wird so aus der Armut geholt"
Sozialverbände in Schleswig-Holstein sind ebenfalls enttäuscht von der bisher geplanten finanziellen Ausstattung der Kindergrundsicherung. "Mit den 2,4 Milliarden Euro wird kein Kind aus der Armut geholt", sagte der Landesvize der Arbeiterwohlfahrt Kai Bellstedt. "Es werden ihnen nur falsche Hoffnungen gemacht und weiter der Druck aufgebaut, dass sie für eine gute Zukunft allein selbst verantwortlich sind." Jetzt müsse im weiteren parlamentarischen Prozess im Sinne der Kinder deutlich nachjustiert werden, meinte die Landesvorsitzende des Kinderschutzbundes, Irene Johns. "Es geht um eine gerechte Lösung für alle Kinder - eine Lösung, die auch armen Kindern eine echte Chance für ihre Entwicklung, ihre Bildung, ihr Leben gibt." Der Bundesgeschäftsführer des Kinderschutzbundes, Daniel Grein, sagte auf NDR Info: "Insgesamt ist das Paket relativ enttäuschend." Der Kompromiss habe zwar einige positive Aspekte wie die stärkere Fokussierung auf Alleinerziehende. "Aber die Kindergrundsicherung als große Sozialreform, die Kinderarmut stark bekämpfen soll, ist das sicher noch nicht." Die Höhe der Leistungen sei vermutlich zu niedrig.
Kritik von der Linken in MV
Deutlicher formulierte es der kinder- und jugendpolitische Sprecher der Linksfraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Christian Albrecht: Von den ursprünglich von Familienministerin Paus veranschlagten zusätzlichen 12 Milliarden Euro bleibe lediglich ein "kläglicher Rest" von 2,4 Milliarden Euro übrig. Viele Menschen kämen trotz Arbeit nicht über die Runden, weil ihre Löhne zu niedrig seien. Albrecht verwies auch auf Menschen, die unverschuldet arbeitslos seien. "Auch und gerade bei Alleinerziehenden, die oft nur in Teilzeit arbeiten können, reicht das Geld hinten und vorne nicht."
Sozialverbände in MV: Neuer Weg, aber Summe nicht ausreichend
Die Reaktionen der Sozialverbände in Mecklenburg-Vorpommern fallen ebenfalls nicht euphorisch aus. Henrike Regenstein vom Diakonischen Werk in MV sagte dem NDR auf Anfrage, es sei einerseits gut, dass ein neuer Weg beschritten werde, wie Kinder in unserer Gesellschaft abgesichert werden. Regenstein bewertet es positiv, dass unbürokratische Wege gegangen werden sollen. Andererseits sei die geplante Summe nicht ausreichend.
Niedersachsen: Gut, dass Leistungen gebündelt werden
Niedersachsens Sozialminister Andreas Philippi (SPD) begrüßte die Einigung. Die Kindergrundsicherung sei ein zentraler Baustein bei der Bekämpfung von Kinderarmut, sagte er. Dass Alleinerziehende und insbesondere diejenigen in Erwerbsarbeit durch die neuen Regelungen bei der Unterhaltsanrechnung entlastet werden sollen, sei vollkommen richtig. Ob die 2,4 Milliarden Euro ab 2025 ausreichen werden, hänge von der Inanspruchnahme ab. Aber: "Ich sehe nicht, dass diese Summe zwingend ausreicht."
Der Ansatz, die Leistungen zu bündeln und zu verbessern und die Verfahren zu digitalisieren, habe seine volle Unterstützung, sagte er. Für die technische Umsetzung bei den Online-Dienstleistungen wünsche er sich vor allem bürgernahe Lösungen.
FDP und SPD: "Gutes Ergebnis"
FDP-Wirtschaftsminister Christian Lindner sprach von einem "guten Ergebnis". SPD-Chefin Saskia Esken erklärte, die Einigung sei eine "sehr gute Nachricht" für Familien mit geringen Einkommen. "Die Kindergrundsicherung ist ein Meilenstein im Kampf gegen Kinderarmut in Deutschland", sagte Esken der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Dienstagsausgabe).