Keine weiteren Bahnstreiks: 35-Stunden-Woche ab 2029
Der Tarifstreit bei der Deutschen Bahn ist beendet. Der bundeseigene Konzern und die Gewerkschaft GDL haben für das Schichtpersonal den schrittweisen Übergang zur 35-Stunden-Woche bis 2029 vereinbart. Wer mehr arbeiten will, kann das für mehr Lohn auch tun.
"Wir haben nach langem Ringen und einem schwierigen Tarifkonflikt eine Lösung gefunden und mit der GDL vor wenigen Stunden die Verträge unterzeichnet", sagte DB-Personalvorstand Martin Seiler am Dienstagvormittag in Berlin. Zuvor hatte die Lokführergewerkschaft GDL am Montagabend mitgeteilt, sie habe sich mit der Deutschen Bahn in dem seit Monaten andauernden Tarifkonflikt geeinigt. Kurz darauf bestätigte auch ein Sprecher der Deutschen Bahn die Einigung. Damit sind weitere Streiks nun endgültig abgewendet. "Die Unterschriften sind drunter, wir können uns alle auf die Ostertage freuen und eifrig Bahn fahren", sagte Seiler.
Weselsky sieht "Erfolg fast auf der ganzen Linie"
"Wir haben Erfolg fast auf der ganzen Linie", sagte der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky am Mittag. Das Schlechteste, was die Gewerkschaft in dieser Tarifrunde habe zugestehen müssen, sei der Punkt, dass es nicht gelungen sei, einen Tarifvertrag mit verbesserten Arbeitszeiten auch für die Infrastruktursparte abzuschließen. "Alle anderen Elemente haben wir erfolgreich und im Kompromiss zum Tragen gebracht." Zum einen gebe es eine zweistufige Lohnerhöhung, zum anderen sei ab 2026 der Einstieg in eine Arbeitszeitreduzierung für Schichtarbeitende beschlossen worden. Zudem sei es gelungen, die Fünf-Tage-Woche einzuführen.
"Wir bedauern, dass die Fahrgäste durch die Streiks derartig in Anspruch genommen worden sind", sagte Weselsky. Diese Auseinandersetzung hätte weder in der Länge noch der Härte sein müssen. "Mit Vernunft und Augenmaß wären wir zu diesen Kompromissen auch vorher in der Lage gewesen."
Arbeitszeitkorridor zur 35-Stunden-Woche bis 2029
Wesentlicher Punkt der Einigung ist ein Arbeitszeitkorridor, der am Ende im Jahr 2029 eine Wochenarbeitszeit von 35 bis 40 Stunden vorsieht. Das Wesentliche daran sei, dass sich die Mitarbeitenden entscheiden könnten, welche Wochenstundenzahl am besten zu ihnen und ihrer Lebenssituation passt, sagte DB-Vorstand Seiler bei der Vorstellung der Ergebnisse. Ein bloßes Überstülpen einer 35-Stunden-Woche halte die Bahn nicht für modern.
Konkret sieht das Modell so aus: Zum 1. Januar 2026 wird die Referenzarbeitszeit von 38 auf 37 Stunden abgesenkt. Im Vorfeld werden alle Mitarbeitenden gefragt, ob sie diesen Schritt mitgehen oder bei 38 Stunden bleiben oder gar auf 39 oder 40 Stunden erhöhen wollen. Wer nicht antwortet, geht automatisch auf 37 Stunden. In den nachfolgenden Jahren ist es anders herum: Wer sich nicht meldet, bleibt bei der höheren Wochenstundenzahl, erhält aber auch entsprechend mehr Geld. "Für jede Stunde, die zusätzlich geleistet wird, gibt es 2,7 Prozent mehr Lohn", so Seiler. Dieser Korridor werde Schritt für Schritt bis 2029 ausgeweitet, sodass die Arbeitszeit in fünf Jahren zwischen 35 und 40 Stunden pro Wochen liegen könne.
Wer mehr arbeitet, erhält bis zu 14 Prozent mehr Lohn
Mit der selbstbestimmten Wochenarbeitszeit würden die Bahnberufe insgesamt attraktiver, sagte Seiler. Der Kompromiss gebe auch dem Unternehmen die Möglichkeit und die Kapazität, trotz Fachkräftemangel weiter zu wachsen. "Wer sich für mehr Arbeit entscheidet, erhält pro Stunde 2,7 Prozent mehr Lohn", erläuterte die Bahn. So würden etwa Lokführer oder Zugbegleiterinnen in einer 40-Stunden-Woche rund 14 Prozent mehr verdienen als in einer 35-Stunden-Woche.
In zwei Schritten gibt es auch mehr Geld
Zudem gibt es eine Lohnerhöhung von 420 Euro in zwei Schritten: 210 Euro mehr pro Monat zum 1. August 2024 und noch mal 210 Euro zum 1. April 2025. Eine Inflationsausgleichsprämie über 2.850 Euro soll in zwei Stufen ab März ausgezahlt werden. Bis Ende Februar 2026 gilt nun eine Friedenspflicht mit der GDL. Der Tarifvertrag läuft 26 Monate bis zum 31. Dezember 2025, danach folgt eine zweimonatige Verhandlungsphase, in der ebenfalls keine Streiks möglich sind.
Fahrgastverband ist erleichtert
Der Fahrgastverband Pro Bahn hat die Tarifeinigung gelobt. "Das ist für die Fahrgäste eine ausgesprochene Erleichterung", sagte der Vorsitzende Detlef Neuß der "Rheinischen Post". Allerdings hätte die Einigung auch "ohne so viele Streiks" erzielt werden können. Die Umsetzung des Wahlmodells bei der Arbeitszeit bezeichnete Neuß als schwierig. "Man muss aber auch sagen: Ohne bessere Arbeitsbedingungen bekommt man kein neues Personal". Die Übergangszeit bis 2029 sei relativ lang, sodass das Unternehmen nun Zeit habe, neue Mitarbeiter anzuwerben.
Einen erheblichen Personalmangel beobachtet Malte Diehl vom Pro Bahn Landesverband Bremen/Niedersachsen schon jetzt unter anderem beim Metronom oder der Eurobahn in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. "Die Arbeitszeitverkürzungen helfen da zunächst überhaupt nicht. Wir hoffen, dass viele Lokführer, die bei der DB arbeiten, sich für das flexible Arbeitsmodell entscheiden", erklärte Diehl.
Wissing stellt Reform des Streikrechts erneut zur Debatte
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) bezeichnete die Tarifeinigung als frohe Botschaft, die zudem zur rechten Zeit komme. "Alle Menschen, die über Ostern zu Freunden und Verwandten reisen wollen, können endlich unbeschwert planen", sagte Wissing. Es sei auch eine gute Nachricht für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Erneut brachte Wissing eine Reform des Streikrechts zur Sprache. Zwar sei die Tarifautonomie ein hohes Gut in Deutschland. "Nach den vergangenen Monaten ist es kein Wunder, dass die Frage laut wurde, ob das Streikrecht womöglich an die Gegebenheiten unserer Zeit angepasst werden muss", sagte Wissing mit Blick auf die teils mehrtägigen Streiks in dieser Tarifrunde.
Experten loben den Tarifkompromiss
Der ausgehandelte Kompromiss am Ende des langwierigen Tarifstreits wird auch von Wirtschaftsexperten positiv bewertet. "Das wichtigste Ergebnis an dieser Einigung ist, dass die Arbeitszeit flexibel ist", sagte der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest. Wer mehr Stunden arbeite, erhalte auch mehr Geld. "Das ist für den Umgang mit der Fachkräfteknappheit besser als eine zwangsweise Senkung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden für alle", sagte Fuest.
Ähnlich äußerte sich der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber. "Beschäftigte können weniger arbeiten, ohne dass die berufliche Entwicklung leidet", sagte der Leiter des Forschungsbereichs "Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen" am Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB). Sie könnten aber auch mehr arbeiten, je nach eigenem Wunsch in der aktuellen Lebensphase. Die individuellen Modelle würden im Betrieb unter einen Hut gebracht. Selbstbestimmung bei der Länge und der Planung der Arbeitszeit, das sei die Zukunft, meint Weber. Er halte das Ergebnis für einen guten Kompromiss.
Sechs Mal gestreikt - Hunderttausende betroffen
Die Tarifverhandlungen hatten Anfang November begonnen. Seitdem streikte die GDL sechs Mal und teils über mehrere Tage. Zuletzt traten die Lokführer am 7. und 8. März für genau 35 Stunden in den Ausstand. Damit wollte die GDL ihrem Hauptziel, der Einführung der 35-Stunden-Woche, entsprechend Nachdruck verleihen. Die Bahn war bei einer vorigen Gesprächsrunde bereit, sich auf 36 Stunden bei vollem Lohnausgleich in zwei Schritten bis 2028 einzulassen. Die Gewerkschaft unter ihrem Vorsitzenden Claus Weselsky lehnte das allerdings ab.