Kabinett billigt Cannabis-Legalisierung - Reaktionen aus dem Norden
Das Bundeskabinett hat am Mittwoch eine begrenzte Cannabis-Legalisierung auf den Weg gebracht. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erläuterte die Pläne. An ihnen gibt es viel Kritik - auch aus dem Lager der Regierungskoalition: unter anderem von Niedersachsens Innenministerin und Hamburgs Innensenator (beide SPD).
Lauterbach bezeichnete den Gesetzentwurf als "langfristige Wende in der Drogenpolitik". Das Gesetz dürfe aber nicht missverstanden werden: "Cannabiskonsum wird legalisiert. Gefährlich bleibt er trotzdem". Wer regelmäßig Cannabis konsumiere, schädige sein Gehirn, sagte der SPD-Politiker. Ziel sei es, den Schwarzmarkt und die steigende Drogenkriminalität zurückzudrängen, das Dealen mit gestreckten oder toxischen Substanzen einzudämmen und die Konsumentenzahlen zu drücken. Cannabisdelikte machten inzwischen 50 Prozent der Drogendelikte aus, so Lauterbach. Der Konsum solle begrenzt und sicherer gemacht werden.
Lauterbach: Mehr Jugendschutz und Aufklärungskampagne für junge Erwachsene
Lauterbach sprach von einem "Konzept der kontrollierten Legalisierung", man wolle "keinen Schwarzmarkt wie in Holland". Kritikern begegnete er mit dem Argument, dass diese selbst keine Antwort auf die Probleme hätten. "Die Legalisierung bleibt ausgeschlossen für Kinder und Jugendliche, stattdessen wird der Kinder- und Jugendschutz ausgedehnt", kündigte Lauterbach an. Auch eine Aufklärungskampagne für junge Erwachsene sei geplant. Damit werde schon während des Gesetzgebungsverfahrens dem Eindruck entgegengetreten, der Konsum von Cannabis sei ungefährlich. Lauterbach betonte aber auch, dass es durch Cannabis-Konsum nicht zu Todesfällen komme - anders als etwa durch Missbrauch "harter" Drogen oder Alkohol.
Keine völlige Freigabe geplant - Verbot für Minderjährige
Der Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, Cannabis im Betäubungsmittelgesetz von der Liste der verbotenen Substanzen zu streichen. Ab 18 Jahren soll künftig der Besitz von 25 Gramm erlaubt sein. Privat sollen maximal drei Cannabis-Pflanzen angebaut werden dürfen. In speziellen Vereinen, sogenannten Cannabis-Clubs, sollen Mitglieder die Droge gemeinschaftlich anbauen und gegenseitig abgeben dürfen.
Über das Gesetz muss nun der Bundestag entscheiden. Nach Angaben von Minister Lauterbach soll es zum 1. Januar 2024 in Kraft treten - der Bundesrat sei nicht zustimmungspflichtig.
Niedersachsens Regierung "skeptisch was Details angeht"
Bei der Umsetzung der geplanten Cannabis-Legalisierung äußerte Niedersachsens Landesregierung an mehreren Stellen Bedenken. Innenministerin Daniela Behrens sei "ausgesprochen skeptisch, was einige Detailregelungen angeht", sagte ein Sprecher des Innenministeriums in Hannover. Dabei gehe es insbesondere um Überwachungs- und Kontrollvorschriften. Man habe die Hoffnung, dass sich an dem Gesetzentwurf noch Änderungen ergeben. Auch ein Sprecher des Justizministeriums sagte, der Entwurf sei an einigen Stellen noch zu diskutieren. Eine Sprecherin des niedersächsischen Sozialministeriums sagte, die geplante Legalisierung dürfe nicht zu erhöhtem Cannabis-Konsum führen. Es brauche Präventionskonzepte und Kontrollmaßnahmen.
Hamburgs Innensenator befürchtet "Cannabis-Überwachungsbürokratie"
Hamburgs Innensenator Andy Grote äußerte sich schon vor dem Kabinettsbeschluss kritisch. NDR 90,3 sagte der SPD-Politiker: "Wenn wir irgendetwas jetzt nicht brauchen, dann ist es dieses Gesetz." Erfahrungen aus anderen Ländern würden zeigen, dass mit der Legalisierung der Konsum deutlich zunehme. Dass die Freigabe von Cannabis den Schwarzmarkt eindämmt, halte er für unwahrscheinlich, so Grote. "Es ist zu befürchten, dass illegales Cannabis aufgrund höherer Wirkungsgrade und günstiger Preise stark nachgefragt wird und sich Schwarz- und Legalmarkt vermischen." Zudem würden die in den Legalisierungs-Plänen vorgesehenen detaillierten Vorgaben "eine umfangreiche Cannabis-Überwachungsbürokratie" erfordern, sagte Grote.
Auch der Chef der CDU-Fraktion in Hamburgs Bürgerschaft, Dennis Thering, ist gegen die Legalisierung. Er sprach von "Drogenexperimenten" der Bundesregierung - dadurch würden Cannabis-Konsum und gesundheitsschädliche Folgen für viele Betroffene zunehmen. AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann kritisierte, der Schwarzmarkt werde sich durch eine Legalisierung "nicht in Luft auflösen". Der Konsum von Cannabis dürfe einzig zu medizinischen Zwecken erlaubt sein, forderte Nockemann.
UKE-Suchtmediziner Thomasius: Folgeschäden durch regelmäßigen Konsum
Auch der Hamburger Suchtmediziner und Kinder- und Jugendpsychiater Rainer Thomasius vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf warnte vor der Legalisierung. Dem Sender Phoenix sagte er, er bezweifle, dass mit der Gesetzesvorlage die Qualität von Cannabis-Produkten kontrolliert, gesundheitsgefährdende Verunreinigungen verhindert, der Jugendschutz gewährleistet und die Drogenkriminalität zurückgedrängt werden könnten. Erschreckend sei vielmehr, dass der tägliche oder fast tägliche Konsum von Cannabis in Ländern mit Legalisierung sehr stark ansteige. "Der regelmäßige Konsum ist es, der die Folgeschäden mit sich bringt", sagte Thomasius.
Ralf Hermes, Chef der in Lübeck ansässigen IKK Innovationskasse, befürchtet nach eigenen Worten höhere Kosten auf die Krankenkassen zukommen, da mit mehr jugendlichen Konsumenten zu rechnen sei, die im besonderen Maße gesundheitliche Schäden erleiden könnten. Er plädierte dafür, den Konsum frühestens ab dem 25. Lebensjahr zu erlauben.
Gesundheitsministerium Schleswig-Holstein: Cannabis-Freigabe nicht nachvollziehbar
Das Gesundheitsministerium von Schleswig-Holstein kritisierte die Pläne ebenfalls: "Fachlich ist hinreichend belegt, dass Cannabis eine Droge ist, deren Konsum schwere körperliche und seelische Erkrankungen zur Folge haben kann", sagte ein Sprecher. Es gebe außerdem keine belastbaren Belege, dass eine Legalisierung tatsächlich die schwere organisierte Kriminalität reduzieren werde. Zudem gehöre Cannabis bereits heute zu den am häufigsten verbreiteten Drogen im Straßenverkehr und gefährde damit nicht nur Konsumenten. "Eine Cannabis-Freigabe ist nicht nachvollziehbar und das falsche Signal insbesondere für junge Menschen." Das Gesundheitsministerium SH wird von Kerstin von der Decken (CDU) geleitet.
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Simone Borchardt aus Mecklenburg-Vorpommern sagte auf NDR Info, dass in Ländern mit Cannabis-Legalisierung der Konsum der Droge bei Kindern und Jugendlichen stark zugenommen habe. Sie sprach von einer "Verharmlosung" in der Debatte in Deutschland.
MV-Ministerin Drese befürwortet Legalisierung
Mecklenburg-Vorpommerns Gesundheitsministerin Stefanie Drese (SPD) rief dazu auf, die Cannabis-Legalisierung für Erwachsene nicht zu einem Kulturkampf aufzubauschen. "Wir sollten die grundsätzlichen Ziele nicht aus den Augen verlieren. Mit einer lizenzierten Abgabe von Cannabis soll der Anbau kontrolliert und damit der illegale Drogenhandel zurückgedrängt werden." Sie befürworte die Pläne, auch weil dadurch verunreinigten Substanzen entgegenwirkt sowie Justiz und Polizei entlastet werden könnten. Unabdingbar sei, dass der Kinder- und Jugendschutz dabei höchste Priorität habe und bei der Suchtprävention nicht gespart werde. Auch der Koalitionspartner begrüßte die Legalisierung: "Die auf Verbot und Bestrafung ausgerichtete Drogenpolitik des Bundes ist nachweislich bereits seit Jahren gescheitert", sagte die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion im MV-Landtag, Steffi Pulz-Debler.
Cannabis-Clubs bemängeln strenge Regeln - Polizei warnt vor "Schnellschuss"
Die Betreiber von Cannabis-Clubs in Mecklenburg-Vorpommern äußerten sich enttäuscht von dem Gesetzentwurf. Sie kritisierten zu strenge Dokumentationspflichten und Regeln. Das Ganze sei viel zu aufwendig, um in Vereinsstrukturen umgesetzt zu werden. Damit bleibe der Schwarzmarkt wohl erhalten. Außerdem fehle die Möglichkeit, im Verein in Gemeinschaft zu konsumieren.
Ähnliche Töne kommen auch von den Cannabis-Clubs in Schleswig-Holstein. Das Gesetz sei "großer Blödsinn", vor allem das Konsumverbot im Clubheim, sagt Thorge Schlisio, 1. Vorsitzender des CSC Kiel. Konsumenten würden auf diese Weise wieder in den Schwarzmarkt gedrückt.
Vor einem "Schnellschuss" warnte die Gewerkschaft der Polizei in MV. Die Ampel-Koalition müsse ihre Pläne stoppen und überarbeiten, sagte der Landesvorsitzende Christian Schumacher. Vieles sei ungeklärt - beispielsweise die Frage, wie die Polizei bei Verkehrskontrollen feststellen soll, ob Autofahrer nach Cannabis-Konsum noch fahrtüchtig sind.
FDP-Politikerin Lütke: "Gesetzes-Details werden noch angepasst"
Die FDP-Politikerin Kristine Lütke verteidigte die Pläne und wies auf NDR Info darauf hin, dass es neben dem Gesetz auch eine Präventions- und Aufklärungsstrategie geben soll. Die teilweise Freigabe von Cannabis sei ein "erster Schritt in die richtige Richtung". Der nun vorgelegte Gesetzentwurf sei auch noch nicht endgültig: "Im parlamentarischen Verfahren werden die Details noch angepasst und dann wird es ein gutes Gesetz werden." Nach dem Kabinettsbeschluss am Mittwochmittag forderte sie selbst bereits Nachbesserungen: "Durch viele kleinteilige Regularien entsteht ein unkontrollierbares Bürokratiemonster, das die Strafverfolgungsbehörden zusätzlich belastet."
Der Bundesdrogenbeauftragte Burkhard Blienert (SPD) befürwortet die geplante Legalisierung. Er hatte bereits vor einigen Wochen bei einem Besuch in Hamburg gesagt, Cannabis sei keine Einstiegsdroge. "Wir brauchen eine offene und aufrichtige Debatte über Cannabis." Alte Denkmuster würden nicht weiterhelfen, so Blienert.